Der Mann, der am Montag als sachverständiger Zeuge vernommen wurde, hat mit dem mutmaßlichen Mörder der 17-jährigen Schülerin in Barenburg zuletzt am 5. September gesprochen – fünf Tage vor dem Tötungsdelikt. „Er wirkte gut aufgestellt“, sagte der Heilpraktiker für Psychotherapie vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Verden. Sein Patient habe ihm berichtet, die Eltern seien verreist, und er habe „alles Betriebliche gut im Griff“. Dem Zeugen erschien der Angeklagte damals auch „ausgeglichen“ und stolz, dass er die Arbeit schaffe. Er habe ihn als „glaubwürdig, erwachsen und handlungsfähig“ empfunden.
Die Befragung des erfahrenen Therapeuten (74) aus dem Kreis Nienburg nahm am zwölften Verhandlungstag im Prozess gegen den 43-jährigen Kirchdorfer Landwirt die meiste Zeit in Anspruch. Das Gericht hatte den Termin von vornherein auf die Vormittagsstunden begrenzt, aus gutem Grund: Das Verdener Justizzentrum liegt direkt an der Rummelmeile, bei der während der traditionellen Domweih ab Mittag Hochbetrieb herrscht; unter dem Altbau mit dem großen Gerichtssaal steht ein ausladendes Festzelt, ringsherum Vergnügungs- und Verpflegungsstände.
Angeklagter ließ Fragen zu früherer Tat unbeantwortet
Der Zeuge kennt den Angeklagten nach eigenen Angaben seit 2017. Die ersten Therapiegespräche, etwa sechs bis sieben, habe er mit ihm vor dem Prozess geführt, der dem Mann damals am Amtsgericht Stolzenau bevorstand. Ihm war vorgeworfen worden, rund ein Jahr zuvor einen 14-Jährigen „vom Fahrrad gerissen“ und in sein Auto „gestoßen“ zu haben (wir berichteten). Der Therapeut hatte schnell „das größte Problem“ des Angeklagten erkannt, nämlich „über Gefühle, Emotionen und Gründe“ für sein Verhalten zu reden. Auf alle Fragen, so auch nach dem Motiv für die Tat, habe er „keinerlei Antwort“ erhalten. Dass ihm alles leidtue, habe er zwar geäußert, „aber Einfühlung in das Opfer“ sei nicht erkennbar gewesen.
Der Kirchdorfer war später wegen versuchten sexuellen Missbrauchs, Freiheitsberaubung und Körperverletzung zu einer anderthalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Nach dem Schuldspruch sei er nicht mehr zu der verabredeten Sitzung erschienen, so der Zeuge. Er hat den Mann erst im August 2021 wiedergesehen. Aus eigenem Antrieb war er nicht gekommen, vielmehr „auf Wunsch seiner Eltern“, wie der Psychotherapeut betonte. Anlass sei deren Sorge gewesen, wie es mit dem landwirtschaftlichen Betrieb weitergehen sollte, wenn sie selbst sich aus Altersgründen zurückziehen müssten: „Sie haben ihm die Übernahme nicht zugetraut.“
In die Sitzungen alle vier Wochen seien die Eltern zeitweise einbezogen gewesen. Es habe gelegentlich auch gemeinsame Gespräche gegeben; das Ganze habe auch den Zweck des „Coachings“ angesichts wohl bestehender „Familienkonflikte“ haben sollen. Der Angeklagte habe besonders Konflikte mit dem Vater erwähnt, dem er „nichts recht machen“ könne. Beide seien „wie Feuer und Wasser“ gewesen, so der Zeuge. Dass er den Hof gerne übernehmen würde, habe der Sohn durchblicken lassen. Im Hintergrund habe aber stets auch die Befürchtung gestanden, dass sein Neffe – noch im Kindesalter – eines Tages den Betrieb weiterführen solle. Um den Enkel habe sich vor allem der Vater sehr gekümmert.
Die Mutter habe sich nach seinen Beobachtungen aus den Auseinandersetzungen zwischen Vater und Sohn „weitgehend herausgehalten“, erklärte der Zeuge. Sie habe auch „seine Eigenständigkeit gefördert“. Der Angeklagte hatte in den letzten Jahren eine separate Wohnung auf dem Hof. Von seinen Eltern habe er sich dennoch „manchmal wie ein Kleiner“ behandelt gefühlt, soll er dem Therapeuten gesagt haben. Die „hohe Erwartungshaltung“ habe er „durch passive Aggression unterlaufen“, hieß es weiter, „durch Nichterfüllen“ der elterlichen Ansprüche. Dies habe bei Vater und Mutter den Eindruck verstärkt, „sie könnten sich nicht auf ihn verlassen.“ Im Prozess wollen die Eltern nicht aussagen.
Nach dem besagten Fall mit dem Jugendlichen im Jahr 2016 hat sich der Angeklagte zwei Monate in einer psychiatrischen Klinik befunden. Über die Feststellungen bei seiner Aufnahme und den weiteren Verlauf gab jetzt eine Oberärztin Auskunft. Der seinerzeit 35-Jährige habe sich „auf freiwilliger Basis“ behandeln lassen. Sexuelle Neigungen bezüglich Männern und Kindern habe er verneint; die Tat sei ein „Ausraster“ gewesen, aus der Situation heraus entstanden. Der Mann habe seine Angst vor dem Prozess und den drohenden Folgen geäußert und auch davor, „er könnte weitere Taten begehen.“ Man habe ihn als „freundlich und offen“ erlebt, „aber ohne emotionale Beteiligung“. Eine "medikamentöse Therapie“ sei nicht angezeigt gewesen, man habe aber „eine psychiatrische Weiterbehandlung dringend empfohlen“ und Kontakt zum sozialpsychiatrischen Dienst hergestellt.