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Was darf ein Essen kosten? So blicken Gastronomen aus der Region in die Zukunft

Wie viel darf ein Essen kosten? Und ab wann kochen die Leute lieber selbst? Steueranhebungen und steigende Preise lassen Gastronomen spitz kalkulieren - so sehen ihre Prognosen fürs kommende Jahr aus.
18.12.2023, 05:00 Uhr
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Von Petra Scheller Peter von Döllen

Die Gastronomie steckt weiter in der Krise. Betriebe ächzen unter den Kosten für Einkauf, Energie und Personal. Obendrauf kommt der alte Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent auf Speisen, die im Restaurant verzehrt werden, gleich zu Beginn des neuen Jahres. In Traditionshäusern wie dem Fidelio in Osterholz-Scharmbeck, im Hotel Worpsweder Tor, im Lilienthaler Hotel Rohdenburg oder im Tarmstedter Hof bereitet man sich „so gut es geht auf die neue Situation vor“, erklärt der Inhaber des Salvia in Borgfeld, Peyman Sadeghian, und spricht damit auch für seine Kollegen. Wichtig sei, dass man die Gäste nicht verliere, so die Gastronomen einhellig.

Leichter gesagt als getan, meint Carsten Rohdenburg. Der Vorsitzende des Deutschen Hotel und Gaststättenverbandes (Dehoga) für den Landkreis Osterholz berichtet von 1600 Betrieben in Niedersachsen, die laut Verbandsprognose im kommenden Jahr insolvenzgefährdet seien. „Jeder versucht, sein Geschäft irgendwie aufrecht zu erhalten, aber um das zu gewährleisten, müssen wir im kommenden Jahr die Preise erhöhen“, sagt der Inhaber des Landguthotels Rohdenburg in Lilienthal.

Enttäuschung in Osterholz-Scharmbeck

„Ich bin sehr von der Regierung enttäuscht“, sagt Wolfgang Müller. Wenn er die Möglichkeit dazu hätte, würde er vermutlich hinschmeißen, bemerkt der Gastronom. Zusammen mit seiner Frau betreibt er seit mehr als 30 Jahren das Fidelio in Osterholz-Scharmbeck. „Wir müssen die Mehrwertsteuererhöhung eins zu eins weitergeben“, erklärt er, ohne genau zu wissen, wie das funktionieren soll. Es müssten ja noch mehr Kostensteigerungen aufgefangen werden: Lebensmittel, Löhne und Energiepreis, wenngleich letztgenannte ja gerade etwas nachgäben. Er habe aber auch nicht das Gefühl, es würde sich etwas zum Guten ändern. Noch immer stiegen die Preise, Lieferanten wollten inzwischen Geld für die Lieferung oder schlügen Benzinzulagen auf. Manche Zutaten seien im vergangenen Jahr 40 bis 60 Prozent teurer geworden. Von der viel zitierten Inflationsrate sei das weit entfernt.

Um 20 Prozent müssten die Preise der Gerichte steigen. Das dürfte, damit rechnet Müller, dazu führen, dass er künftig weniger Gäste in seinem Lokal begrüßen kann, was wiederum weniger Einnahmen bedeuten könnte – eine Abwärtsspirale. Wolfgang Müller hätte sich gewünscht, dass die Mehrwertsteuern beim reduzierten Satz geblieben wären. Doch nun komme es anders. Er kenne jetzt schon drei Kollegen, die mit dem Gedanken spielten, aufzugeben und ihre Lokale schließen wollen. Bei ihm hänge aber das eigene Leben, das Einkommen daran. Ein großes Problem sei außerdem der Personalmangel. Dienstags bleibt das Fidelio geschlossen – zusätzlich zum Ruhetag am Montag.

Prognose aus Lilienthal

Um durchschnittlich circa 15 Prozent werde das Essen in Rohdenburgs Familienbetrieb in Lilienthal im kommenden Jahr wohl teurer. Das Schweineschnitzel für 17 Euro würde danach 19,55 kosten, aber weil das zu viel sei, werde er einen Preis um die 18,90 Euro kalkulieren, sagt der Dehoga-Sprecher. „Wichtig ist vielen Gästen, dass die Qualität stimmt. Aber hier auf dem Land gibt es auch viele ältere Menschen, denen ich mich verpflichtet fühle. Und viele sparen sich den Restaurantbesuch mühsam vom Munde ab“, berichtet der Gastronom.

13 Prozent mehr Grundsteuer für seine Immobilie müsse er im kommenden Jahr in Lilienthal zahlen, hinzu komme die geplante Anhebung der Gewerbesteuer – Gewerkschaften forderten einen Mindestlohn von 15 Euro. „Wir wissen einfach nicht, wie sich die Preisspirale noch weiter hochdreht“, sagt Carsten Rohdenburg. Viele Betriebe würden deshalb ihre Öffnungszeiten verkürzen: „Der Trend geht zur Bedarfsgastronomie. Die Leute machen dann auf, wenn sich das lohnt.“ Viele hätten neben der Gastronomie bereits ein zweites oder drittes Standbein.

Aussichten am Weyerberg

Thilo Drais, Geschäftsführer des Hotels Worpsweder Tor, will erst mal „ganz normal ins neue Jahr starten“. Dass die Anhebung der Mehrwertsteuer nun eine ganze Branche den Bach runter gehen lässt, daran glaube er nicht, unterstreicht der Hotelmanager. Was ihm und seiner Frau Almut Drais Sorgen bereite – beide leiten das Hotel Worpsweder Tor seit über zehn Jahren gemeinsam –, sei die Situation auf dem Arbeitsmarkt. „Eine Auszubildende hat uns nach drei Monaten verlassen, weil sie dachte, sie entscheide selbst, wann sie zur Arbeit kommt. Bei uns beginnt der Frühdienst nun mal um 6 Uhr.“ Ein anderer Auszubildender sei zu Hause geblieben, „weil es geregnet hat.“ Thilo Drais will künftig auf Quereinsteiger setzen. Doch die Arbeitszeiten in der Gastronomie seien ein großes Thema. „Wir haben jetzt am Sonntag und Montag Ruhetag. Das ist für unser Personal attraktiv. Ich könnte mir auch vorstellen, dass wir mittelfristig nicht um eine 4-Tage-Woche herumkommen.“

Um das Hotel-Restaurant „Paulas“ rentabel zu halten, habe man die Öffnungszeiten der Küche auf 18 bis 21.30 Uhr begrenzt. Wie die Preise dort im kommenden Jahr kalkuliert würden, sei noch unklar. „Die Einkaufspreise schwanken stark – wir haben an manchen Tagen Fischlieferungen, die sind dreimal so teuer wie am Vortag“, berichtet Drais. Das lasse sich so nicht an die Kunden weiterreichen. Das Wiener Schnitzel mit Kalbfleisch stehe mit 31 Euro auf der Karte – „und es wird nicht möglich sein, dafür 38 Euro zu nehmen“, sagt der Geschäftsführer. Um Preise nachhaltiger kalkulieren zu können, biete man eine 72-Stunden-Vorbestellungsoption an. „Das ermöglicht uns, gezielter einzukaufen, um den Gästen verhältnismäßig gute Preise anbieten zu können.“

Prüfstand in Tarmstedt

Im Tarmstedter Hof steht der Inhaber Ingo Lüpke selbst am Herd. Die Mehrwertsteueranpassung im kommenden Jahr und die damit verbundenen Preiserhöhungen seien belastend, sagt der Geschäftsführer. „Da hängt so viel dran: Die Karten müssen alle neu geschrieben werden. Die Kasse muss umgestellt werden. Alle Preise werden auf den Prüfstand gestellt.“ Ihn ärgere es, dass die Gäste dann mehr zahlen müssten. Das Schweineschnitzel sei dann wahrscheinlich nicht mehr für 17,50 Euro auf der Karte zu finden, sondern für 19 Euro.

Die Hauptgeschäftsführerin des Dehoga Bremen, Nathalie Rübsteck, verweist auf eine Umfrage des Verbands aus diesem Jahr: „Circa 50 Prozent der Betriebe haben gesagt, dass sie befürchten, eine Mehrwertsteuererhöhung nicht zu überleben“, berichtet die Juristin. Genaue Zahlen zu Insolvenzen sowie zu insolvenzgefährdeten Betrieben liegen ihr jedoch nicht vor. Rübstecks Empfehlung an die Betriebe: „Gut kalkulieren.“ Gerade habe sie von empfindlich steigenden „Logistikzuschlägen“ der Zulieferer gehört. „Ich kenne im Moment keinen Betrieb, der sich nicht auch Gedanken und Sorgen um die Zukunft macht.“

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