Bremen Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Lübberstedter Mühle Moderne Technik trifft auf historische Mechanik

Alte Windmühlen können von starkem Wind beschädigt oder zerstört werden, wenn die Flügel falsch zum Wind stehen. In Lübberstedt sorgt ein System für mehr Sicherheit. Wie es funktioniert.
21.01.2024, 05:00 Uhr
Lesedauer: 5 Min
Zur Merkliste
Moderne Technik trifft auf historische Mechanik
Von Peter von Döllen

Lübberstedt. Es ist relativ windstill in Lübberstedt und die Sonne lässt die Windmühle in einem zarten Goldton erstrahlen. Ganz oben in der Haube regt sich auch nichts, kein Knarren ist zu hören, nichts bewegt sich. Jörn Sackewitz wirft einen Blick auf die Mechanik der Rose. Alles scheint in Ordnung zu sein. Kernstück der Technik ist ein kleineres Windrad, direkt gegenüber den Flügeln. Bei Wind dreht es sich und überträgt diese Bewegung auf ein Zahnradsystem, das die Kappe und damit die Flügel in Windrichtung dreht – das kann sechs Minuten dauern. Die Vorrichtung ist eine Art Lebensversicherung für die Mühle, wie Sackewitz erklärt. Denn: Sollte der Wind von hinten auf die Flügel treffen, könnte sich die Kappe verschieben und beschädigt werden. Schlimmer noch kann sie sogar ganz abgerissen werden und herunterfallen. Das ist beispielsweise 2013 bei der grünen Greetsieler Zwillingsmühle passiert. Das Unglück wurde gefilmt und kann nun bei Youtube angesehen werden: 

Vollständig verlassen wollen sich die Mitglieder des Lübberstedter Mühlenvereins deshalb nicht auf ihre Rose. "Sie kann in einem Windschatten liegen", erklärt Jörn Sackewitz. Und ein technisches Problem kann auch nicht ausgeschlossen werden. "Wir haben deshalb immer ein Auge auf unsere Mühle", sagt Fred Ellmers, Vorsitzender des Vereins. Er wohnt nicht so weit entfernt und kann zumindest die Spitze sehen. Andere Mitglieder wohnen noch näher. Jetzt geht die Sache einfacher. Neuerdings setzen die Mühlenfreunde auf moderne Technik, die ähnlich auch in Windrädern zum Einsatz kommt.

Sensoren in der Mühlenkappe

Jörn Sackewitz zeigt auf einen unscheinbaren Kasten, der auf dem Boden der Mühlenhaube verschraubt ist, das sogenannte Magnetometer. Nach dem Prinzip eines Kompasses misst es die Stellung der Flügel und überträgt die Daten an ein Gerät, das im Mühlenschuppen Platz gefunden hat. Zur Übertragung wird das Protokoll Lorawan verwendet. Es wird üblicherweise für die Übertragung von Daten, die Sensoren ermitteln, verwendet und kann Distanzen von mehreren Kilometern überbrücken. 

Aus dem Schuppen gehen die Daten dann nach England. Hier werden sie mit Wetterdaten kombiniert. Das Ergebnis wird dann in Echtzeit ins Internet gestellt. Dort können die Mitglieder jederzeit sehen, ob sich die Mühle in Gefahr befindet – von jedem Ort, an dem es eine Internetverbindung gibt. Eine App für Handys steht auch zur Verfügung. In einer Grafik wird dargestellt, wie die Flügel stehen, aus welcher Richtung der Wind kommt und welche Stärke er hat. Die Farbe grün signalisiert, dass alles in Ordnung ist. Gelb zeigt, dass Aufmerksamkeit geboten ist, und bei Rot sollten alle Alarmglocken schrillen. Das System ermöglicht auch ein Push-Nachricht. Heißt: Bei einer kritischen Situation kann es Warnungen per E-Mail oder SMS verschicken. "Wir haben im ersten Schritt noch darauf verzichtet", erklärt Jörn Sackewitz. Ellmers gesteht, gleich nach dem Aufwachen einen Blick auf die App zu werfen.

App steht jedem Interessierten offen

Nicht nur die Anwender können auf die Daten zurückgreifen. Jeder Interessierte kann sie sich im Internet unter www.smartmolen.com anschauen. Auf einer Karte werden zunächst alle Mühlen angezeigt, die das System derzeit verwenden. Die gewünschte Mühle kann aus der Karte oder der Liste ausgewählt werden. Derzeit sind 16 Anlagen mit den Sensoren ausgestattet und werden in der App angezeigt. "Wir waren die dritte Mühle in Deutschland, die mitmacht", berichtet Fred Ellmers stolz. Wobei die zweite Anlage gerade mal einige Stunden früher in die Wallmühle in Bremen eingebaut wurde.

Die Erfinder waren am 10. November aus England angereist und fuhren von Bremen direkt nach Lübberstedt, wo sie auch übernachteten. Der Einbau dauerte etwa eine Stunde. Die Magnetometer mussten noch kalibriert werden. Diese Einstellung wird noch verfeinert, wenn genügend erste Daten gesammelt wurden. Alles scheint aber schon gut zu funktionieren. Inzwischen ist auch die Paula Mühle in Steinhude mit im Boot. Die erste Installation bekam die Mühle in Labbus.

Freundschaft entstanden

Nach dem Einbau gab es bei einem gemeinsamen Essen in der Mühle viele Gespräche unter Mühlenfreunden, wie Ellmers und Sackewitz erzählen. Wie bei jedem Hobby gibt es genug Themen, über die geschnackt werden kann. Es habe sich bereits eine Freundschaft entwickelt. Aktuell gibt es schon Überlegungen zu einem Gegenbesuch in diesem Jahr. Dann ginge es nach Upminster, einem Ort im Schatten von London. Hier hat eine Gruppe von Mühlenfreunden die Mühle aufwendig restauriert. Die Arbeiten dauerten sieben Jahre und verschlangen viel Geld, das unter anderem aus verschiedenen Fördertöpfen kam. Der Zustand war nicht gut, erzählten die englischen Gäste bei dem gemeinsamen Abend. Zwar wurde möglichst viel originales Material wiederverwendet. Einiges musste allerdings neu hergestellt werden. Heute ist das Bauwerk ein beliebtes touristisches Ziel.

Justin Coombs und Cam Southcott entwickelten das Smartmolen-System, um die Bewegungen der neuen Kappe der Upminster Mühle beobachten zu können. Anlass waren Diskussionen zur Leistungsfähigkeit der Rose, die schließlich zur Idee führten, moderne Technik zu nutzen. Das war 2020. Im Internet suchten sie später Partner in Europa.

Ausbildung zum freiwilligen Müller 

Die Lübberstedter erfuhren bei einem Lehrgang von dem System. Jörn Sackewitz und Berhard Wellbrock haben gerade ihre Ausbildung zum freiwilligen Müller absolviert. Dafür haben sie sich 160 Stunden auf die Schulbank gesetzt und in Praktika alles über den Beruf erfahren. Ein Jahr lang dauerte die Ausbildung, die vornehmlich an Wochenenden stattfand. Damit verfügt der Mühlenverein jetzt über drei ausgebildete Müller. Bisher war der Vorsitzende Fred Ellmers der Einzige, der diese Qualifikation hatte. Peter Ahlers will sich in diesem Jahr ausbilden lassen. Somit kann die Arbeit und Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt werden.

Bei einem Workshop wurde auch das englische System vorgestellt. Jörn Sackewitz war begeistert und überzeugte auch seine Mitstreiter. Der Einbau hat 1000 Euro gekostet, die von der Firma WPD gesponsert wurde, die einen Windpark in Lübberstedt betreibt. Zukünftig soll das System noch erweitert werden, sagt Sackewitz. Zudem ist angedacht, eine Web-Cam aufzustellen, die es ermöglicht, die Mühle von jedem Punkt der Welt aus zu betrachten.

Zur Sache

Die Lübberstedter Mühle

Die 1909 von der Familie Bullwinkel errichtete Mühle wird seit 2001 vom Verein der Mühlenfreunde gepflegt. Errichtet wurde der Holländer auf einem Wall, der bereits eine frühere Mühle getragen hatte. Diese war 1872 gebaut worden und war mit fünf Stockwerken um einiges größer als das heutige Exemplar. Eine Durchfahrt im Wall diente dazu, dass Korn und Mehl von unten angeliefert werden konnte. Die erste Mühle wurde schließlich von einem Blitz zerstört. Ihre Nachfolgerin wurde vom Verein 2003 vollständig restauriert und ist in gutem, funktionsfähigem Zustand. Es ist eine weitere Sanierung mit Förderung aus der Dorferneuerung geplant. 

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)