Ein bisschen mehr Vorlauf hätte Jan Schäfer gerne gehabt. Am Freitag erschien die jüngste "Änderung des zweiten Buches Sozialgesetzbuch" (SGB II) im Bundesgesetzblatt. Vier Tage später, am Dienstag, traten die Änderungen bereits in Kraft. Und die betreffen Schäfers Arbeitsalltag durchaus. Er ist stellvertretender Leiter des Jobcenters in Verden. Und seit dem 1. Juni ist er Ansprechpartner für einen Großteil der ukrainischen Flüchtlinge im Landkreis Verden.
Aus der Ukraine geflohene Menschen können seit Dienstag Leistungen gemäß SGB II – landläufig Hartz IV genannt – beziehen, wenn sie erwerbsfähig und hilfsbedürftig sind. Eltern mit Kindern haben Anspruch auf Kindergeld. Außerdem können sie ganz normal in die gesetzliche Krankenkasse eintreten. Vor allem haben sie Anspruch auf eine passgenaue Arbeitsvermittlung. Was für die mehr als 1200 Vertriebenen eine klare Verbesserung darstellt, bringt den Kreis und die Städte und Gemeinden durchaus ins Schwitzen.
Zwar war schon vor vergangenem Freitag klar, dass die Änderungen kommen würden, schließlich hatten Mitte Mai schon Bundestag und Bundesrat zugestimmt, doch die genaue Ausgestaltung blieb lange unklar. Der Landkreis Verden entschied sich, nicht tatenlos dazusitzen und abzuwarten, was der Gesetzgeber ihm präsentiert. "Wir sind von uns aus aktiv geworden", sagt Schäfer. Sämtliche Ukrainer im Kreisgebiet seien schriftlich über die neuen Leistungen informiert worden. Vorsorglich legte die Verwaltung dem auch Anträge für Sozialhilfeleistungen bei. In den Sammelunterkünften organisierte das Jobcenter Informationsabende mit eigenen Dolmetschern.
Zugang zur gesetzlichen Krankenkasse
Seit Freitag ist klar: Den Aufwand hätten sich die Behörden wenigstens zum Teil sparen können, denn für Ukrainer, die bereits bei der Ausländerbehörde registriert und erkennungsdienstlich erfasst worden sind, folgt der Wechsel der Zahlungen gemäß des Asylbewerberleistungsgesetzes auf Hartz IV automatisch. Auch für den Zugang zur gesetzlichen Krankenkasse hat sich laut Schäfer eine einfache Lösung ergeben.
Das Geld wird den im Kreis Verden lebenden Menschen aus der Ukraine ganz normal auf ein Bankkonto überwiesen. Wer kein Konto hat, muss zur Auszahlung persönlich im Jobcenter vorstellig werden. "Das hat bisher alles reibungslos geklappt", sagt Schäfer, der das Zusammenspiel der unterschiedlichen Fachdienste – Arbeit, Soziales, Ausländerbehörde - beim Landkreis lobt. Die Verwaltung hat mittlerweile eine gewisse Routine im Krisenmanagement.
Die Entscheidung, Flüchtlinge aus der Ukraine in das Sozialhilfesystem aufzunehmen, war von Kommunalvertretern im Vorfeld durchaus kritisch bewertet worden. Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistags, wies darauf hin, dass mit den immens wachsenden quantitativen Aufgaben der Jobcenter auch deren Mittelausstattung wachsen müsse. "Seit Jahren beklagen wir die zu geringen Verwaltungsmittel der Jobcenter. Dieser Umstand wird ab dem 1. Juni besonders spürbar werden."
"Leider nicht zu Ende gedacht"
Gerd Landsberg, Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, sagte, die Neuerung sei "ohne ausreichende Rücksprache mit der Praxis vorbereitet worden". Der Verwaltungsaufwand für die Kommunen sei enorm, ein Behördenchaos stehe zu befürchten. Stefan Frey, Landrat von Starnberg, meinte: "Das ist leider in Berlin überhaupt nicht bis zu Ende gedacht worden." Ihn ärgerte vor allem ein Detail, das mit dem Wechsel von Zuwendungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz zu SGB-II-Leistungen einhergeht: Die Aufgabe, eine passende Unterkunft zu finden, liegt streng genommen nicht mehr in den Händen der Kommunen, sondern bei den Flüchtlingen.
Theoretisch ist also der Landkreis Verden nicht mehr verpflichtet, Sammelunterkünfte für Flüchtlinge aus der Ukraine zur Verfügung zu stellen. Sollte einem Vertriebenen Obdachlosigkeit drohen, müsste die Stadt oder die Gemeinde einspringen, bei der der Betroffene gemeldet ist. "So steht es auf dem Papier", sagt Schäfer vom Verdener Jobcenter. Praktisch bleibt allerdings alles wie gehabt. "Wir betreiben die Sammelunterkünfte weiter", sagt Schäfer. Das gelte auch für die Geflohenen, die Sozialhilfeleistungen beziehen. Diese Entscheidung sei in Absprache zwischen dem Kreis und den Städten und Gemeinden getroffen worden.