Die Gewaltbereitschaft von Teilen der Demonstranten in Verden hat die Einsatzkräfte überrascht. „Diese Eskalation war nicht zu erwarten“, sagt Polizeisprecher Jürgen Menzel, zumal zwei Anti-Corona-Demos in den vergangenen Wochen friedlich verlaufen waren. Nicht so am Neujahrsabend: Drei Beamte und einer der mutmaßlichen Angreifer wurden bei Handgreiflichkeiten verletzt. Auch in anderen Städten in Niedersachsen fanden Kundgebungen statt.
Angriff mit Fahnenstange
Zu einer unangemeldeten Demonstration in der Verdener Innenstadt gegen die Corona-Politik hatten sich gegen 18 Uhr etwa 120 Teilnehmer versammelt. Viele hielten sich nicht an die erteilten Auflagen, Maskenpflicht und Abstand. Insgesamt 21 Teilnehmer wurden deshalb von der Veranstaltung ausgeschlossen. Die Beamten stellten die Personalien fest und leiteten Bußgeldverfahren wegen Ordnungswidrigkeiten ein. Als ein 45-jähriger Polizist zwei Männer ansprach und sie auffordern wollte, die Maskenpflicht einzuhalten, wurde er unvermittelt, unter anderem mit einer Fahnenstange, angegriffen und verletzt. Dabei zog sich der Beamte einen gebrochenen Finger sowie Prellungen und Abschürfungen zu. Weitere Einsatzkräfte kamen hinzu und überwältigten die beiden Männer. Insgesamt wurden drei Einsatzkräfte der Polizei bei dem Gerangel verletzt. Sie wurden im Krankenhaus behandelt. Neben dem 45-jährigen Beamten waren ein 28-Jähriger und ein 33-Jähriger beteiligt, sie zogen sich Prellungen zu.
Zwei vorläufige Festnahmen
Die beiden Angreifer wurden vorläufig festgenommen und später wieder auf freien Fuß gesetzt. Nach Polizeiangaben handelt es sich um einen 32-jährigen Mann aus dem Landkreis Osterholz sowie um einen 46-Jährigen aus dem Landkreis Verden. Gegen beide Männer leitete die Polizei Ermittlungen und ein Strafverfahren wegen tätlichen Angriffs und gefährlicher Körperverletzung ein. Der 32-jährige Tatverdächtige zog sich bei der Festnahme eine Platzwunde zu und musste medizinisch versorgt werden. Er stellte wiederum Strafanzeige gegen die Polizei wegen Körperverletzung im Dienst.
An der Demonstration waren nach Erkenntnissen der Polizei Verden nicht nur Teilnehmer aus dem Landkreis Verden, sondern auch aus den Landkreisen Osterholz, Nienburg sowie aus der Stadt Bremen beteiligt. „Wir sehen, dass die meisten Teilnehmer friedlich ihr Demonstrationsrecht ausgeübt haben. Es sind aber auch Leute dazugekommen, die eine erhebliche Gewaltbereitschaft mitbringen“, berichtet Menzel. So hätten die Angreifer den Polizisten weiter attackiert, obwohl er bereits am Boden gelegen habe. Er geht davon aus, dass sich eine derartige Eskalation jederzeit wiederholen kann.
Versammlungen am Landtag aufgelöst
Auch der niedersächsische Verfassungsschutz rechnet mit einer weiteren Radikalisierung der Teilnehmer an Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Denn die Demo in Verden war am Neujahrstag kein Einzelfall. In Hannover wurden mehrere Versammlungen am Landtag aufgelöst – teils waren zu viele Leute gemeinsam unterwegs, teils trugen die Teilnehmer keine Masken. Auch in Osterholz-Scharmbeck, Hildesheim und Alfeld gab es Kundgebungen.
Der Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Bernhard Witthaut, sagte, radikale Teile der Coronaleugner würden Gewalt als legitimes Mittel ansehen. „Als Reaktion auf die anhaltenden und teilweise verschärften Auflagen ist von einer weiteren Radikalisierung der Teilnehmer auszugehen“, so Witthaut.
Radikalisierung in Chat-Gruppen
Nach Einschätzung des Verfassungsschutzes bieten insbesondere Chat-Gruppen eine Plattform zur kontinuierlichen Radikalisierung und zur Übernahme von Verschwörungstheorien und extremistischen Ideologien. Einige Protestierende lehnten staatliche Vorgaben ab und würden Auflagen missachten. Die Demonstration in Verden war über soziale Medien als sogenannter „Spaziergang“ angekündigt worden. Insgesamt aber sei die Szene durchmischt, eine klare politisch-ideologische Ausrichtung gebe es nicht, so Witthaut. Unter den Teilnehmern seien auch Rechtsextremisten, diese prägten die Veranstaltungen jedoch nicht, betonte der Verfassungsschutzpräsident.