- Was hat die große Politik mit einem Achimer Handwerksbetrieb zu tun?
- Also sind vor allem externe Faktoren für die Insolvenz verantwortlich?
- Es ist die vierte Insolvenz der Stadtbäckerei in zehn Jahren: Da kommen doch grundsätzliche Zweifel auf.
- Darf ein Unternehmen beliebig oft ein Insolvenzverfahren durchlaufen?
- Anders als zuletzt gibt es kein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. Warum?
- Wie geht es jetzt weiter?
- Welche Auswirkungen hat die Insolvenz der Stadtbäckerei auf die Konditorei Erasmie?
- Wie kann die Stadtbäckerei die Energiekosten senken?
Für die finanziellen Probleme der Achimer Stadtbäckerei ist nach Überzeugung von Geschäftsführer Roberto Ferrari Renzi vor allem die Politik verantwortlich. Er habe gehofft, dass der Staat den Bäckereien unter die Arme greift, um die hohen Energiekosten in den Griff zu bekommen. Es seien schließlich die höchsten Strompreise in Europa. Als sich im Frühjahr herausgestellt habe, dass dieses Versprechen nicht in Erfüllung gehe, habe die Stadtbäckerei versucht, an anderer Stelle an Kapital zu kommen. Doch weder die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) noch die Förderbank des Landes Niedersachsen (NBank) gewährten der Stadtbäckerei das benötigte Darlehen. Der nun erfolgte Schritt in die Insolvenz (wir berichteten) war dann die logische Folge – auch um nicht Gefahr zu laufen, wegen möglicher Insolvenzverschleppung belangt zu werden. "Wir mussten es tun", sagt Renzi.
Was hat die große Politik mit einem Achimer Handwerksbetrieb zu tun?
Renzi versteht nicht, warum der Bau einer Chipfabrik in Sachsen-Anhalt mit fast zehn Milliarden Euro subventioniert wird, während andere Branchen um ihre Existenz fürchten. Der Achimer Unternehmer verweist auf den Toilettenpapierhersteller Hakle, den Glasfabrikanten Weck oder Handelsketten wie Görtz und Gerry Weber: Alles Unternehmen, die zuletzt in Schieflage geraten waren. "Das betrifft die ganze Industrie", sagt Renzi. Wenn sich an den Standortbedingungen nichts ändere, werde in Deutschland bald kaum noch etwas produziert. Renzi sagt, dass er persönlich in Berlin und Hannover vorstellig geworden sei, um mit Abgeordneten zu diskutieren. Er habe mit dem SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil gesprochen und den Dialog mit dem niedersächsischen Wirtschaftsministerium gesucht. Nach den Gesprächen stellt er fest: "Die Politik glaubt nicht an uns."
Also sind vor allem externe Faktoren für die Insolvenz verantwortlich?
Das lässt sich von außen schwer bewerten. Klar ist, dass die Achimer Stadtbäckerei mit ihren Problemen nicht alleine dasteht. Daniel Schneider, Geschäftsführer des Zentralverbands des deutschen Backhandwerks, sagte Anfang des Jahres der "Wirtschaftswoche", die Energiekrise sei "ein Katalysator für die Herausforderungen in der Bäckerbranche, denen sich das Handwerk stellen muss". Zu den hohen Preisen für Strom und Gas – bei Letzterem haben sich die Preise für die Stadtbäckerei nach Angaben von Renzi im Vergleich zum Vorjahr verfünffacht – kommen demnach weitere Probleme: hohe Rohstoffpreise, gestiegene Personalkosten auch durch die Erhöhung des Mindestlohns und eine wachsende Zurückhaltung bei den Kunden. Denn angesichts gestiegener Lebenshaltungskosten und der Unsicherheit, welche Investitionen etwa bei Heizung oder Gebäudeisolierung auf die Menschen zukommen, verzichten viele auf den Kaffee zwischendurch, das Stück Kuchen oder das belegte Brötchen auf die Hand. Auch der vorläufige Insolvenzverwalter Malte Köster hält "ein schwieriges Branchenumfeld, das in besonderem Maße von hohen Kostensteigerungen für Energie und Rohwaren gekennzeichnet“ ist, für einen wesentlichen Faktor.
Es ist die vierte Insolvenz der Stadtbäckerei in zehn Jahren: Da kommen doch grundsätzliche Zweifel auf.
Die einzelnen Insolvenzverfahren müssen grundsätzlich unabhängig voneinander betrachtet werden. Im Mai 2019 etwa berichtete der Insolvenzverwalter von stark rückläufigen Umsätzen seit dem Frühjahr 2018 und einer nicht mehr ausreichend gewährleisteten Zuführung von externen Mitteln, um alle geschäftlichen Verpflichtungen zu erfüllen und anstehende Investitionen zu realisieren. Davon ist aktuell nicht die Rede. Im Gegenteil: Anfang Mai hatte die Renzi noch berichtet, dass die Umsätze von Monat zu Monat steigen würden. "Die Situation bei der Achimer Stadtbäckerei lässt sich nur sehr bedingt mit der Situation vor der Pandemie vergleichen", teilt der Insolvenzverwalter auf Nachfrage mit.
Darf ein Unternehmen beliebig oft ein Insolvenzverfahren durchlaufen?
Ja. Das deutsche Insolvenzrecht sei grundsätzlich sanierungsfreundlich, erklärt Köster. Gleichwohl gebe es sehr strikte rechtliche Vorgaben, um sicherzustellen, dass Sanierungsperspektiven bestehen und die Entlastungen bei einer Sanierung unter dem Schutz des Insolvenzrechts nicht zu Unrecht in Anspruch genommen werden. "Ist ein Insolvenzverfahren rechtlich abgeschlossen und das konkrete Insolvenzereignis überwunden, spricht rechtlich nichts gegen ein neues Insolvenzverfahren zu einem nachgelagerten Zeitpunkt." Wichtig sei dabei immer, dass sehr sorgsam geprüft werde, um eine zweckwidrige Ausnutzung von Entlastungen zu verhindern.
Anders als zuletzt gibt es kein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. Warum?
"Vor dem Hintergrund der Folgen der Pandemie sowie der stark gestiegenen Preise für Energie und Rohwaren war ein Eigenverwaltungsverfahren mit Blick auf die aktuelle wirtschaftliche Situation des Unternehmens keine Option", sagt der Insolvenzverwalter. "Allein mit Blick auf die insolvenzrechtlichen Voraussetzungen und das Zahlenwerk war die Entscheidung für ein Regelverfahren nach aktuellem Kenntnisstand der geeignete Weg für die Achimer Stadtbäckerei, um Sanierungsperspektiven zu erarbeiten."
Wie geht es jetzt weiter?
"Wir haben jetzt vier bis sechs Wochen Zeit, eine Lösung zu finden", sagt Geschäftsführer Renzi. Der Insolvenzverwalter hält eine Sanierung aus eigener Kraft ebenso für möglich wie den Einstieg neuer Investoren. Dazu sei ein strukturierter Investorenprozess gestartet worden.
Welche Auswirkungen hat die Insolvenz der Stadtbäckerei auf die Konditorei Erasmie?
Die Konditorei mit Sitz in Verden und einem Laden in Völkersen ist laut Renzi nicht betroffen von der Insolvenz. Renzi und sein Geschäftspartner Sebastian Rümmelin hatten das Traditionsunternehmen Anfang Mai übernommen und dafür eine eigene Gesellschaft gegründet. Bis auf ausgewählte Waren wie Brötchen, die auch bei Erasmie verkauft werden, gebe es keine Verbindungen der beiden Unternehmen.
Wie kann die Stadtbäckerei die Energiekosten senken?
Laut Renzi wird derzeit geprüft, ob das für den Betrieb der Öfen in der Backstube in Achim-Uesen benötigte Gas von einem anderen Anbieter günstiger bezogen werden kann. Zudem plant die Stadtbäckerei, auf dem Dach der Firmenzentrale kleine Windkraftanlagen zu installieren, um selbst einen Teil der benötigten Energie zu produzieren. Ein entsprechender Bauantrag sei bereits angefragt, sagt Renzi. Der Geschäftsführer glaubt trotz der schwierigen äußeren Bedingungen, dass eine Sanierung der Stadtbäckerei gelingen kann. "Wir sind guter Dinge", sagt Renzi.