Brigitte Gläsel ist sauer. Richtig sauer. Und so ganz glauben kann sie auch immer noch nicht, was da vor einigen Tagen im Achimer Rathaus passiert ist. Gläsel ist Künstlerin und Dozentin beim Achimer Kunstverein. Im vergangenen Semester hat sie sich in ihren Kursen mit den Teilnehmern der Freien Malerei gewidmet. "Und dabei sind sieben wirklich tolle Arbeiten entstanden", sagt Gläsel. Tolle Arbeiten, die eigentlich aktuell im Achimer Rathaus ausgestellt werden sollten.
Denn das hat bereits Tradition: Teilnehmer aus verschiedenen Kursen der Kunstschule stellen ihre Werke zu den Sommerferien in dem Verwaltungsgebäude zur Schau. Und ein Großteil von ihnen hängt mittlerweile auch dort. Aber eben nicht die Ergebnisse der Kurse von Brigitte Gläsel – zumindest nicht mehr. Der Verwaltungsvorstand hat entschieden, dass sie wieder abgehängt werden mussten. "Wir haben uns in meinen Kursen mit den Proportionen des menschlichen Körpers auseinandergesetzt", erklärt Gläsel. Grundlage dafür sei ein Werk von Albrecht Dürer gewesen. Das zeigt – und hier beginnt für einige offenbar das Problem – einen nackten männlichen Körper. Die Kursteilnehmer hätten diese Vorlage dann auf ihre Weise interpretiert.
"Unangemessene Werke"
"Wir haben die Arbeiten als Gruppe zum Start der Ausstellung im Achimer Rathaus aufgehängt", erzählt Gläsel. Die sieben Werke waren im ersten Obergeschoss an der Wand zum Ratssaal platziert worden. "Zusätzlich haben wir dort ein Infoblatt über die Arbeiten und eine Kopie des Originals von Albrecht Dürer platziert", sagt Gläsel. Die Bilder ihres Kurses wurden allerdings nur kurze Zeit, nachdem sie aufgehängt worden waren, von der Stadt wieder abgenommen. Die Abbildungen der nackten Männer stießen im Rathaus offenbar nicht auf allzu große Zustimmung. "Man hat uns mitgeteilt, dass man die Werke nicht hängen lassen könne", berichtet Heike Schulz, Vorsitzende des Kunstvereins.
Die Stadt begründet die Entscheidung auf Nachfrage des ACHIMER KURIER damit, dass die entsprechenden Werke als unangemessen empfunden wurden. "Wir haben hier, bedingt durch die unterschiedlichen Einrichtungen, Anlaufstellen und Veranstaltungen wochentags alle Generationen und Kulturen zu Gast", teilt der Pressesprecher, Kai Purschke, mit. "Außerdem hatten und haben wir aktuell im Rathaus Veranstaltungen für Kinder sowohl im Ratssaal als auch unter anderem im ersten Obergeschoss." Das Rathaus sei keine Galerie, kein Kunstmuseum und kein reiner Ausstellungsraum im eigentlichen Sinne, sodass Besucher und insbesondere Kinder beim bloßen Vorbeigehen hier nicht mit expliziten Darstellungen rechnen – vielmehr würden sie in einem Verwaltungsgebäude davon unfreiwillig überrascht und möglicherweise irritiert.

Dieses Werk von Albrecht Dürer war die Grundlage für die Arbeiten der Kursteilnehmer.
"Aus den genannten Gründen halten wir diese Akt-Motive für unser Haus für ebenso ungeeignet wie zum Beispiel explizit dargestellte Gewalt oder Ähnliches", sagt Purschke. Inwieweit die abgehängten Werke als explizit oder Akte einzuordnen seien, möge jeder anders sehen. "Wir als Verwaltung haben uns aber gegen die nackten Männerkörper ausgesprochen, deren Intimbereich nur mit einem Blatt bedeckt ist." Rückendeckung für diese Entscheidung habe der Verwaltungsvorstand auch vom Verwaltungsausschuss bekommen, der zufällig am selben Tag tagte, als die Bilder aufgehängt worden waren.
Am folgenden Tag habe es dann laut Purschke ein Gespräch mit dem Kunstverein gegeben. In diesem Zuge sein ein Alternativvorschlag vorgebracht worden: Statt der Bilder hätte der Kurs QR-Codes aufhängen können, durch deren Scan man sich dann die Werke auf dem Smartphone hätte angucken können. "Ich persönlich fand die Idee ganz interessant, aber die Kursteilnehmer wollten das nicht", sagt Schulz. Sie selbst findet es nach eigenen Angaben einerseits schade, dass die Stadt nicht bereit war, mögliche Diskussionen auszuhalten, hat aber andererseits auch Verständnis für das Vorgehen der Verwaltung. "Ins Rathaus gehen die Leute ja nicht, um Kunst zu betrachten. Das ist etwas anderes als in Galerien." Sie könne verstehen, dass die Stadt kein Interesse daran habe, sich für die Kunst anderer zu rechtfertigen.
Enttäuschte Kursteilnehmer
So entspannt sehen das aber nicht alle. "Die Teilnehmer meines Kurses fühlen sich sehr verletzt durch das Vorgehen der Stadt", macht Gläsel klar. "Das ist ein echter Skandal. Schließlich gibt es in Deutschland die Kunstfreiheit." Gemeinsam überlegten sie nun, wie sie mit der aktuellen Situation umgehen wollen. "Im Moment liegen die Werke wieder in der Kunstschule, aber ich denke darüber nach, sie am Tag der Finissage der Rathaus-Ausstellung in meinem Gemeinschaftsatelier aufzuhängen", sagt Gläsel. Sie selbst könne sich aber auch deutlichere Schritte vorstellen. "Vielleicht demonstrieren wir an dem Tag auch mit unseren Bildern vor dem Rathaus. Denn das, was die Verwaltung da gemacht hat, empfinden wir als Zensur unserer Kunst."