Hannover. Mehr Personal, bessere Arbeitsbedingungen, höhere Bezahlung, neue Medizinstudienplätze: Der Ärzteverband Marburger Bund fordert einen massiven Ausbau der Gesundheitsversorgung in Niedersachsen. „Der Druck muss raus“, erklärte Landeschef Hans Martin Wollenberg am Mittwoch in Hannover. „Wir brauchen dringend mehr Ärztinnen und Ärzte“, meinte sein Vize Andreas Hammerschmidt. „Schon in Normalzeiten war das System auf Kante genäht.“ Jetzt in der Corona-Krise seien die Grenzen der Belastbarkeit weit überschritten.
So fehlten allein in den niedersächsischen Krankenhäusern mindestens 2000 bis 2500 Ärzte, beklagte Hammerschmidt. Auf einen Arzt kämen hier 250 Einwohner. „Das ist die schlechteste Quote nach Brandenburg.“ Sein Kollege Wollenberg plädierte daher für einen massiven Ausbau der Medizinstudienplätze: „Das Land muss die Kapazitäten an der Medizinischen Hochschule Hannover, der Universität Oldenburg und der Universitätsmedizin Göttingen ausbauen und adäquat finanzieren.“ Und außerdem: „Wir fordern die Gründung einer medizinischen Fakultät in Braunschweig.“ Die Fächer Medizin und Biologie seien durchaus sinnvoll für die Technische Universität (TU).
Heftig kritisierte der Ärzte-Funktionär dabei das Platzen der angedachten Kooperation der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) mit der TU und dem städtischen Klinikum Braunschweig bei der praktischen Ausbildung. „Die Beteiligten sind leider nicht mehr an Lösungen interessiert“, schimpfte Wollenberg. „Das Land muss eingreifen.“
Das Wissenschaftsministerium in Hannover sieht dafür allerdings keinen Anlass. Die vom Land vorgegebenen Ausbauziele werde die UMG auch ohne eine Zusammenarbeit mit Braunschweig erreichen. „Das ist für uns die Hauptsache“, erklärte eine Sprecherin von Ressortchef Björn Thümler (CDU). Der Weg dorthin sei der UMG selbst überlassen. Die Göttinger selbst verwiesen auf rechtliche Probleme einer Zusammenarbeit mit den Braunschweigern.
Man liege voll im Plan des Koalitionsvertrages, in dem SPD und CDU 200 neue Medizinstudienplätze vereinbart hätten, erklärte das Thümler-Ministerium. Davon seien bereits 136 erreicht: 50 mehr an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) auf insgesamt 320, 40 mehr an der European Medical School (EMS) in Oldenburg auf 80 sowie in einem ersten Schritt 46 an der UMG unter anderem durch die Umwandlung von Teil- in Vollstudienplätze. Insgesamt komme Göttingen damit jetzt auf 338 Voll- und 34 Teilstudienplätze. Im nächsten Jahr würden weitere Umwandlungen folgen. Im übrigen verwies die Sprecherin darauf, dass die Neuschaffung von Studienkapazitäten bei der Bewältigung der aktuellen Corona-Krise gar nicht helfen könne.
Man müsse rechtzeitig die Lehren aus der jetzigen Pandemie ziehen, um für künftige Massen-Infektionen gewappnet zu ein, betonte dagegen der Marburger Bund. 23 Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung listete die Organisation, die nach eigenen Angaben rund 10 000 Mitglieder in Niedersachsen hat, auf. Dazu zählen verbindliche Untergrenzen, die es bereits für Pflegekräfte gebe, auch für Ärzte und Therapeuten. „Diese sind als ein Mindestmaß und nicht als Regelbesetzung zu verstehen.“ Das diene nicht nur der Entlastung des Personals, sondern schaffe auch Zeit für die Zuwendung für Patienten.
Die Arbeitszeiten seien so zu regeln, dass ein vernünftiges Familienleben nicht nur bei Teilzeitjobs möglich werde, meinte Wollenberg. Fusionen oder gar Schließungen von Kliniken seien falsch, man brauche vielmehr „zumutbare Erreichbarkeiten“ für die Menschen gerade in einem Flächenland. Bei Neubauten von Krankenhäusern müsse man den Infektionsschutz einplanen – mit höchstens zwei Betten pro Patientenzimmer. Die Gesundheitsämter müssten deutlich besser aufgestellt werden – auch mit einer besseren Bezahlung der dortigen Ärzte. Diese würden rund 1500 Euro weniger als die Kollegen in den Krankenhäusern verdienen.
Insgesamt sei für all diese Maßnahmen ein zweistelliger Milliardenbetrag erforderlich, gab Hammerschmidt zu. Aber: „Medizin geht vor Ökonomie.“ Die Versorgung müsse sich an den Interessen der Patienten orientieren und nicht an den kommerziellen Interessen der Gesundheitswirtschaft.