Das war am Montag noch mal so richtig ein Termin nach dem Geschmack von Boris Pistorius. Auf dem Flughafen in Hannover führte Niedersachsens SPD-Innenminister die 34-jährige Polizeirätin Natalie Preiß als neue Leiterin der Hubschrauberstaffel der Landespolizei in ihr Amt ein: die erste Frau überhaupt auf diesem Posten, dem vier Helikopter und 54 Mitarbeiter unterstehen. Der 62-jährige Ressortchef konnte sich in seiner Lieblingsrolle als moderner, zupackender Macher in Sachen innere Sicherheit präsentieren. Einen Tag später ist Pistorius für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik mit all ihren riesigen Baustellen zuständig – inklusive kaputter Panzer und fluguntauglicher Helikopter.
„Die Aufgaben, die vor der Truppe liegen, sind gewaltig“, beschreibt der künftige Verteidigungsminister im Innenhof seiner bisherigen Wirkungsstätte sein neues Amt. Es ist ein kurzes, vorformuliertes Statement über Verantwortung und Ehre, über Demut und Respekt, verbunden mit einem pflichtgemäßen Dank an die zurückgetretene Ressortchefin Christine Lambrecht. „Mir ist wichtig, die Soldatinnen und Soldaten ganz eng zu beteiligen und mitzunehmen“, betont deren neuer Vorgesetzte. Er wolle die Bundeswehr stark machen, fügt Pistorius an, lässt sich aber Fragen zu Details über die künftige Aufstellung der Truppe angesichts des Ukraine-Krieges angesichts der erst noch bevorstehenden Vereidigung am Donnerstag nicht ein. „Immerhin hat er gedient“, kommentiert FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff. Die Ableistung des Wehrdienstes, soll das heißen, sei ja bei den Sozis nicht unbedingt selbstverständlich.
Pistorius fühlt sich schon seit längerem zu höheren Aufgaben berufen
Für den einstigen Rechtsanwalt Pistorius geht mit der Abkommandierung nach Berlin eine Zeit ungeduldigen Wartens zu Ende. Der frühere Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Osnabrück fühlt sich schon seit längerem zu höheren Aufgaben berufen. „Boris schläft bei geöffneten Fenster, um bloß keine Anfrage zu verpassen“, lästerten einige Genossen in Hannover, wenn in der Bundeshauptstadt mal wieder Ministerposten zu vergeben waren. Bei Bildung der Ampel-Regierung vor 14 Monaten galt er bereits als heißer Kandidat für das Innenressort, danach als potenzieller Nachfolger von Amtsinhaberin Nancy Faeser, sollte diese als SPD-Spitzenkandidatin in ihr Heimatland Hessen wechseln.
Zehn Jahre in Folge ist Pistorius nun Innenminister in Niedersachsen, erst in einer rot-grünen Koalition, dann mit der CDU als Partner. Mit beiden Seiten lag der Ressortchef, der sich weder links noch rechts verordnen lässt, öfters im Clinch, konnte sich aber fast immer durchsetzen. Im November trat Pistorius seine dritte fünfjährige Amtszeit an, diesmal wieder in einem Bündnis aus SPD und Grünen. Das tat auch Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) – dessen Chefsessel rückte damit für Pistorius in weite Ferne. Es blieb also nur ein Aufstieg in die Bundespolitik.
Schon 2019 probierte es der Osnabrücker mit einer Parteikarriere, als er sich im Duo mit der sächsischen Integrationsministerin Petra Köpping um den SPD-Bundesvorsitz bewarb. Keine gute Idee: Selbst im Heimspiel auf der Regionalkonferenz in Hannover konnte Pistorius beim Schaulaufen der Kandidaten nicht die Herzen der Basis erreichen. Sein Versuch, mit einer Imitation von SPD-Ikone Willy Brandt zu punkten, ging eher nach hinten los.
Als Innenminister machte der gelernte Großhandelskaufmann dagegen meistens eine gute Figur. Er stattete die Polizei besser mit Personal, Fahrzeugen und Ausrüstung aus. Die Kriminalitätsrate sank stetig, im Gegenzug stieg die Aufklärungsrate. „Niedersachsen wird immer sicherer“, durfte der Ressortchef in den vergangenen Jahren regelmäßig verkünden. „Mit Boris Pistorius wechselt ein absoluter Fachmann für das Thema Sicherheit nach Berlin“, lobt Kevin Komolka, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) seinen bisherigen sozialpolitischen Partner. Dass die Interessenvertreter der Sicherheitskräfte nicht immer mit der Besoldung und den baulichen Zuständen in den Polizeiinspektionen zufrieden waren, versteht sich von selbst.
Minister ging weitgehend unbeschadet aus Skandalen hervor
Pannen blieben Pistorius nicht erspart. „Verschwundene Schusswaffen, vertrödelte Akten und falsch abgehörte Personen sind doch keine Empfehlungen für das Amt des Verteidigungsministers“, giftet die Linken-Landesvorsitzende, die Osnabrücker Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek ihrem städtischen Mitbürger hinterher. Der verwitwete Vater von zwei erwachsenen Töchtern kann solche Angriffe aber gut verkraften. Mit einer straffen, professionellen Krisenstrategie ging der Minister weitgehend unbeschadet aus diesen Skandalen hervor. Nach der Enttarnung eines V-Mannes feuerte Pistorius 2018 die von ihm selbst berufene Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger. Der Angriff einer salafistischen Jugendlichen auf einen Polizisten in Hannover hatte einen Untersuchungsausschuss im Landtag zur Folge – dem Minister konnte das nicht ernsthaft beschädigen.
Pistorius liebt deutliche Worte, spitzt auch gern mal deftig zu. „Nervenstärke und Überblick“, bescheinigt ihm Grünen-Fraktionschefin Anne Kura, deren Partei in den vergangenen Jahren so manches Mal mit dem Minister wegen dessen Abschiebe- oder Überwachungspolitik haderte. Klare Kante zeigt Pistorius gegen Feinde der Verfassung, insbesondere gegen Rechtsextremisten. Dass der dem Innenminister unterstellte Verfassungsschutz die AfD im Land zum Verdachtsfall hochstufte, verwunderte nicht. Er sei „ideologisch verblendet“ und eine „krasse Fehlbesetzung“, wettert die AfD-Fraktion im Landtag jetzt über den Karrieresprung ihres Intimfeindes. Pistorius wird diese Attacke eher als Auszeichnung abhaken.
Sein Ministerium in Hannover führte Pistorius ebenso straff wie geräuschlos. Auf seine Leute dort konnte er sich stets verlassen. Einige von ihnen dürfen oder müssen sich jetzt auf einen Umzug nach Berlin einstellen. Umgekehrt trauern viele Mitarbeiter ihrem scheidenden Chef schon jetzt nach. „Wir waren ein Super-Team“, bedauert eine Mitarbeiterin. Der Weggang verursache „ein doofes Gefühl im Bauch“.