Es ist wirklich schwer zu begreifen, was derzeit mit Saudi-Arabien abläuft. Da bricht der Kronprinz des Hauses Ibn Saud vor vier Jahren einen Krieg im Jemen vom Zaun, lässt Krankenhäuser, Schulen, Wohnhäuser, Straßen, Wasserleitungen und alles, was die Zivilbevölkerung sonst noch zum Überleben braucht, bombardieren. Eine durch die saudische Armee verhängte Luftblockade lässt monatelang keine Lebensmittel und Hilfsgüter in die Hauptstadt Sanaa, Tausende Kinder hungern, Epidemien brechen aus.
Die größte Katastrophe auf der arabischen Halbinsel nennt die UNO das, was dort geschieht. Dann lässt derselbe Mohammed bin Salman einen Kritiker bestialisch ermorden, als der sich Hochzeitspapiere im saudischen Konsulat in Istanbul holen wollte. Wo die Leiche Jamal Khashoggis heute ist, weiß niemand. Türkische Ermittler gehen davon aus, dass sie in Stücke geschnitten nach Saudi-Arabien transportiert wurde. Ein für europäische Verhältnisse harmloser Blogger, Raif Badawi, sitzt seit sieben Jahren im Gefängnis, erhält Schläge und wird öffentlich ausgepeitscht. Er habe den Islam kritisiert, dient als Begründung. Tatsächlich aber hat er das Herrscherhaus kritisiert. Seit einigen Tagen nun ist der 35-Jährige im Hungerstreik, um gegen die verheerenden Haftbedingungen zu protestieren. Die Liste der Ungeheuerlichkeiten des saudischen Königreichs ließe sich noch lange fortsetzen.
Teuerstes Unternehmen der Welt angeschlagen
Doch jetzt schreien plötzlich alle auf, weil in Saudi-Arabien ein Ölfeld brennt? Klar ist der Drohnenangriff auf die Anlagen des größten Ölexporteurs der Welt zu verurteilen. Ohne Frage. Der wirtschaftliche Schaden soll enorm sein. Dass dadurch das teuerste Unternehmen der Welt, die staatliche Ölfördergesellschaft Aramco, weniger Wert sein wird, ist nicht zu vermeiden. Aramco macht normalerweise unglaubliche 500 Millionen US-Dollar Gewinn am Tag. Nächste Woche wollte die Gesellschaft an die Börse gehen. Das wird wohl erst einmal verschoben. Die Bewertung von Aramco ist dramatisch abgesackt. „Globale Investoren sehen ab sofort die Sonderrisiken bei Aramco viel größer als bislang.“ Die Assets würden daher massiv herunter gestuft, heißt es bei Petro-Analysten in London. Selbst wenn die Ölproduktion sich rasch wieder normalisieren sollte, werde der langfristige Wert des Unternehmens völlig neu eingeschätzt: „Man erkennt die Verletzlichkeit von Aramco.“ Niemand sieht den Konzern mehr langfristig bei einem Wert von mehr als 1,5 Billionen (Dollar).“ Damit hat der Raketenangriff Saudi-Arabien mindestens 500 Milliarden Dollar in einer einzigen Nacht gekostet. Trotzdem fällt es schwer, eine Träne darüber zu vergießen. Saudi-Arabien gilt als eines der reichsten Länder auf unserem Globus. Der Jemen ist eines der ärmsten.
Jedoch glauben die Herrscher in Riad nicht an das Bekenntnis der jemenitischen Huthi-Rebellen, die Drohnen auf Saudi-Arabien abgeschossen zu haben, auch wenn diese das immer wieder beteuern und jetzt sogar einen einseitigen Waffenstillstand angeboten haben. Das Königshaus behauptet, Iran stecke dahinter, die Drohnen kämen nicht aus dem Süden, wo Jemen liegt, sondern aus dem Norden. Dort liegen Jordanien, Syrien und der Irak. Einen Beweis dafür sind die Saudis allerdings bis heute schuldig geblieben. Fakt ist wohl, dass das Geschoss „made in Iran“ war. Doch davon gibt es massenweise in der Region. In Syrien ist der Iran direkt ins Kriegsgeschehen eingebunden, im Irak unterhält er Waffendepots und Militärstützpunkte durch die von ihm unterstützten Schiitenmilizen. Und die Huthis im Jemen werden auch vom Iran mit Waffen und Kriegsgerät beliefert. Wenn Drohnen und Kriegsgerät „made in Iran“ als Kriegserklärung gegen Saudi-Arabien gewertet werden, dann steht auch Deutschland im Krieg in Nahost. Im ersten Halbjahr 2019 hat die Bundesregierung unter anderem Rüstungsexporte an Ägypten im Wert von rund 800 Millionen Euro und an die Vereinigten Arabischen Emirate im Wert von 206 Millionen Euro genehmigt. Dabei machen die Regierungen in Kairo und Abu Dhabi keinen Hehl daraus, dass sie sich seit 2015 an der von Saudi-Arabien initiierten Militäroffensive gegen die Huthi-Rebellen beteiligen.
Bei der Achterbahnfahrt, die die Weltöffentlichkeit in der Gemengelage im Mittleren Osten gerade verfolgt, geht es aber längst nicht mehr um Fakten. Es geht um Macht und Einfluss in der ölreichsten Region der Welt. Dass das schwarze Gold noch immer eine immense Rolle spielt, zeigt die Reaktion auf die Drohnenangriffe nur allzu deutlich. US-Präsident Donald Trump hat sogar Truppen in den Wüstenstaat geschickt, um – ja was? - die Ölfelder zu schützen?
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