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Bundestagswahl Besser Kröten schlucken, als nicht regieren

Wer kann mit wem regieren? Das wird bei dieser Wahl eine besonders spannende Frage sein. Selten zuvor waren so viele Konstellationen möglich, meint Hans-Ulrich Brandt.
14.08.2021, 05:00 Uhr
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Besser Kröten schlucken, als nicht regieren
Von Hans-Ulrich Brandt

So schleppend und ereignisarm der Wahlkampf bisher auch verläuft, so außergewöhnlich ist doch diese Bundestagswahl. Spannend, wie lange nicht. Keine Partei liegt in den Umfragen deutlich vorn. Wer also wird stärkste Partei? Und wer könnte überhaupt mit wem?

Viele Konstellationen sind möglich. Eine erneute Große Koalition wäre dabei die größte aller Überraschungen. Aber sonst? Die Union mit den Grünen – oder mit Grünen und FDP? Eine Ampel aus Roten, Grünen und Gelben – entweder angeführt von den Grünen oder von der SPD? Ins Spiel kommen könnte auch die rot-grün-rote Variante, wenn nicht die Linken bundesweit unter die Fünf-Prozent-Hürde rutschen. Ja, selbst ein Bündnis von Union, SPD und FDP könnte geschmiedet werden, ein Blick nach Sachsen-Anhalt zeigt, dass in außergewöhnlichen Zeiten auch mit besonderen Koalitionen gerechnet werden muss.

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Die Ära von Angela Merkel, so viel ist sicher, ist bald vorbei, vielleicht auch die Ära der CDU als Regierungspartei. Bei der Bundestagswahl am 26. September könnte es viele Sieger geben. Die CDU schwächelt, verliert mit ihrem Kanzlerkandidaten Armin Laschet an Boden. Die Grünen hatten ihre höchsten Zustimmungswerte in der Zeit vor der Nominierung ihrer (ersten) Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, der umjubelte Höhenflug ist inzwischen Ernüchterung gewichen.

Und die anderen? Die SPD kämpft, allen voran Olaf Scholz, und verbucht erste Erfolge in den Meinungsumfragen. Bei der FDP geht der Trend nach oben, Parteichef Christian Lindner hat die Liberalen mit einem prognostizierten zweistelligen Ergebnis wieder koalitionsfähig gemacht. AfD und Linkspartei hingegen schwächeln weiter.

Das Tippen der nächsten Regierungskoalition ist also genauso schwierig wie die Antwort auf die Frage, welcher Bundesligatrainer in der neuen Saison als Erster entlassen wird. Übertragen auf eine Strategie bei der Wahlentscheidung heißt das: Viele Unbekannte sind einzuplanen. Wer sein Kreuz bei der CDU macht, muss sich unter Umständen damit anfreunden, die Grünen mit im Regierungsboot zu haben. Umgekehrt gilt: Wer Baerbock wählt, muss hinnehmen, dass sie unter Laschet nur Vizekanzlerin wird – und viele grüne Träume damit sterben.

Überhaupt der Traum von einer ersten grünen Kanzlerin: Er könnte platzen, dann nämlich, wenn die Schrumpfkur der Grünen so weiter geht und die SPD doch zweitstärkste Kraft würde. Rot-Grün-Gelb oder Rot-Grün-Rot wären vielleicht möglich – mit einem Kanzler Olaf Scholz. Und auch in diesem Fall machen wieder viele Unbekannte eine strategische Wahl schwierig, denn wer SPD wählt, bekommt Huckepack neben den Grünen entweder die Linken oder die Liberalen. Politisches Vabanquespiel!

Und wenn es ganz dicke kommt, formiert sich eine Deutschland-Koalition, wie sie in Magdeburg zwischen CDU, SPD und FDP gerade entsteht. Seit 1959 hat es das nicht mehr gegeben. Schwarz, Rot, Gelb – statt Gold, in Sachsen-Anhalt ein Zweck- oder auch Notbündnis, ansonsten wäre eine Regierungsbildung ohne die mit über 20 Prozent sehr starke AfD nicht möglich gewesen. Aber wäre das ein Modell für den Bund? Nein, lediglich die Fortsetzung der jetzigen Regierungskoalition – garniert mit einer ordentlichen Prise Liberalismus.

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Eines zeigt das Beispiel Sachsen-Anhalt aber ganz deutlich: Es verbietet sich in diesen politisch wankelmütigen Zeiten, bestimmte Bündnisse – außer eines mit der AfD – von vornherein auszuschließen. Absolute Mehrheiten gehören der Vergangenheit an, Große Koalitionen von zwei Partnern sind rechnerisch nicht in Sicht, dafür viele Dreier-Bündnisse. Wer also politisch gestalten will, muss kompromissfähig sein. Wohin das führen kann, ist ebenfalls in Magdeburg zu beobachten. Um die CDU dort regierungsfähig zu halten, musste Ministerpräsident Reiner Haseloff nach Schwarz-Rot zunächst die Grünen und jetzt die FDP ins Boot holen. Seine „Deutschland-Koalition“ ist damit das dritte Bündnis in seiner dritten Amtszeit.

FDP-Chef Lindner zog es vor vier Jahren vor, besser gar nicht als schlecht zu regieren. Haseloff wählt die Variante: besser Krötenschlucken, als nicht zu regieren. Nicht schwer zu erraten, wer von beiden mehr politisch gestaltet.

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