Schnörkellos und immer etwas einschläfernd, so spricht er nun einmal. Olaf Scholz macht da bei seiner ersten Neujahrsansprache als "Ihr Bundeskanzler" keine Ausnahme. Warum sollte er auch? Andere vor ihm waren ähnlich dröge. Wer sich Ansprachen von Willy Brandt oder Helmut Schmidt anhört, erlebt auch keine sprachlichen Feuerwerke. So begrüßte Brandt 1969 die „Lieben Mitbürger“ in seiner typisch knarzigen Art und mit rollenden R mit der Ansage: „Gefühlvolle Deklamationen sind nicht meine Sache. Verantwortliches Handeln zwingt zum nüchternen Denken.“ Übrigens hielt er damals noch die Weihnachtsansprache, die Neujahrsansprache war Sache des Bundespräsidenten. Von 1970 an wurde gewechselt.
Schmidt machte ebenfalls wenig Aufhebens um seine Rede: „Meine Damen und Herren, Sie erwarten von mir an diesem letzten Abend des Jahres keine erbaulichen Sprüche.“ Und dabei klang er, als würde er lieber ungestört eine seiner geliebten Menthol-Zigaretten rauchen, als in die Fernsehkamera sprechen zu müssen.
Und wie klang Olaf Scholz? Nun ja, so brüsk wie bei Schmidt und Brandt fiel seine Premiere nicht aus. Klar, „erbauliche Sprüche“ waren von ihm auch nicht zu vernehmen, dafür „nüchternes Denken“. Das jedoch zählt zum Markenkern des Hanseaten, der "eher die Begabung hat, Blutdruck zu senken als ihn steigen zu lassen“, wie ihn seine Amtsvorgängerin Angela Merkel mal charakterisierte.
"Eine neue Zeit"
Während die Bundespräsidenten also seit über 50 Jahren in ihren Weihnachtsansprachen für das Salbungsvolle, Seelsorgerische und Unpolitische zuständig sind, ziehen Kanzlerinnen und Kanzler Bilanz und blicken voraus. Es war klar, dass Scholz eher Letzteres tat: Hoffnungen wecken, die mit der Ära Merkel auch verbundene Lähmung überwinden, "in eine neue Zeit" aufbrechen, mutig sein trotz Corona, darum ging es ihm.
Dass Olaf Scholz das gelingt, wird er im neuen Jahr unter Beweis stellen müssen. Neujahrsansprachen, das ist bekannt, bleiben nicht lange in Erinnerung. Diese immerhin war eine Besondere. Es war nicht mehr Angela Merkel, die sie hielt.