Seit 25 Tagen ist Krieg. Und mit jeder weiteren Stunde, die mit ohnmächtigem Zuschauen und Mitleiden vergeht, mit jedem zerbombten Haus und jedem Toten in Mariupol, Charkiw, Kiew oder Lwiw, wächst die Angst vor einem Flächenbrand. Der Druck auf die Nato nimmt zu, sie möge endlich mehr tun als nur einen „kühlen Kopf“ zu bewahren, um Verteidigungsministerin Christine Lambrecht zu zitieren.
Oder wie es Bundeskanzler Olaf Scholz ausdrückt: unterstützen ja, eingreifen nein! Aber bleibt es dabei? Schon zeigen sich Risse in der Außendarstellung der Nato. Polen fordert eine „Friedensmission“ des Bündnisses, Generalsekretär Jens Stoltenberg spricht von einer „dauerhaften“ militärischen Stärkung der Ostflanke. Ist das noch Unterstützung oder schon ein Eingreifen?
Für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ist klar: Die bisherige Unterstützung reicht nicht. Jetzt appellierte er auch an die Abgeordneten des Bundestages. Aber was soll man ihm antworten, wenn er uns anklagt, in Europa werde ein Volk vernichtet? Was ihm entgegnen, wenn er davon spricht, dass ukrainische Soldaten gerade die europäischen Werte verteidigen würden – „ohne Ihre tatkräftige Unterstützung“?
Das Parlament spendete Beifall. Danach gingen die Regierungsfraktionen, begleitet von heftiger Kritik der Opposition, zur Geschäftsordnung über – ein verstörendes Verhalten. Kann nach einer solchen Rede einfach über Corona debattiert werden? „Das war heute der würdeloseste Moment im Bundestag, den ich je erlebt habe“, twitterte der CDU-Abgeordnete Norbert Röttgen. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Beifall erhält Selenskyj gerade reichlich, er hätte mehr verdient. Auch wenn es schwer war, nach dieser Rede die richtigen Worte zu finden, das Schweigen hat fassungslos gemacht. Von einer „Zeitenwende“ hatte Olaf Scholz gesprochen, Außenministerin Annalena Baerbock kündigt eine „nationale Sicherheitsstrategie“ an. Die Regierung muss jetzt definieren, was genau das heißt. Darüber hätte der Bundestag debattieren können, statt Selenskys Rede nur zu beklatschen.