Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Visa-Affäre Die Heuchelei polnischer Populisten

Kein anderer europäischer Staat stellte Arabern, Asiaten und Afrikanern so viele Arbeitsvisa aus wie Polen. Die Fäden des Visa-Korruptionsnetzwerkes laufen im Außenministerium in Warschau zusammen 
20.09.2023, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Gabriele Lesser

Eine Visa-Korruptionsaffäre setzt Polens nationalpopulistische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unter Druck. Die massenhafte Visa-Vergabe an Araber und Asiaten, die erst jetzt ans Licht kam, könnte die Partei den schon sicher geglaubten Sieg bei den nächsten Wahlen kosten. Denn die Partei wird große Mühe haben, das Etikett "Heuchelei" wieder loszuwerden. Die Korruptionsaffäre, in die Polens Außenministerium, mehrere polnische Konsulate in Asien und Afrika sowie einige Privatfirmen verwickelt sind, scheint diese Heuchelei exemplarisch offenzulegen: Die PiS sagt das eine, tut aber das andere.

5000 Dollar für ein EU-Visum

"Es ist einer der größten Skandale dieses Jahrhunderts", wetterte Donald Tusk, Oppositionsführer der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO). Die regierenden Nationalpopulisten hätten über Jahre hinweg einen schwunghaften Handel mit Schengen-Visa betrieben, so Tusk. Konsulate in Asien und Afrika sollen rund 250.000 Arbeitsvisa ausgestellt haben. Andere Oppositionelle sprechen sogar von 350.000 Visa. In vielen Fällen habe eine Vermittlerfirma die bürokratischen Formalitäten erledigt. Dabei seien Schmiergelder geflossen – bis zu 5000 US-Dollar pro Visum nach Europa und zwischen 25.000 bis 40.000 Dollar für ein Visum in die USA. 

Lesen Sie auch

"Das ist keine Affäre, nicht mal ein Affärchen", zeterte dagegen PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski auf seiner Wahlkampftour. Die Opposition versuche mit Gewalt, die Regierung in die Angelegenheit zu ziehen. Allerdings wurde Vize-Außenminister Piotr Wawrzyk schon Ende August fristlos aus der Regierung entlassen. Dem Nachrichtenportal Onet zufolge hat Wawrzyk mit einigen Komplizen ein illegales Netzwerk zum Einschleusen von asiatischen und afrikanischen Migranten nach Europa und in die USA aufgebaut. Dabei sollen polnische Konsulate mit Privatunternehmen zusammengearbeitet haben, die für die Schleusung bezahlt worden seien.

Hinweise aus Washington?

Die polnische Antikorruptionsbehörde CBA durchsuchte schon vor einigen Wochen die Konsular-Abteilung im Warschauer Außenministerium. Hinweise, dass etwas bei der Visavergabe Polens nicht stimmen könne, scheinen direkt aus Washington gekommen zu sein. Daraufhin wurde gegen sieben Personen ein Anfangsverdacht formuliert. Drei Personen wurden direkt verhaftet. Doch das volle Ausmaß der Affäre ist noch gar nicht bekannt.

Die hohe Zahl der Visavergaben geht auf zwei Motive zurück: Zum einen fehlen in Polen immer mehr Arbeitskräfte, insbesondere Informatiker, Ingenieure und Ärzte, aber auch qualifizierte Facharbeiter. Zum anderen beauftragten die Konsulate im Ausland immer mehr lokale Firmen damit, den bürokratischen Vorlauf für die Visavergabe zu übernehmen. Die Summen, die diese Firmen für ihre Dienstleistung verlangten, lagen oft weit über den eigentlichen Konsulargebühren. Und so entstand ein Korruptionsnetzwerk, dessen Fäden anscheinend im polnischen Außenministerium in Warschau zusammenliefen.

Lesen Sie auch

Obwohl Polens Außenminister Zbigniew Rau mehrfach über den schwunghaften Handel mit polnischen Arbeitsvisa informiert worden sei, wie die linksliberale Gazeta Wyborcza schreibt, weigert er sich, zurückzutreten. Auch die Partei will Rau als Kandidaten Nummer eins in Polens drittgrößter Stadt Lodz nicht verlieren.

Doch ob die üblichen Taktiken – die Affäre aussitzen und eine heftige Gegenattacke fahren – dieses Mal funktionieren werden, ist fraglich. Die Visa-Affäre könnte die PiS den Sieg bei den Parlamentswahlen kosten. Denn die Heuchelei der Regierungspartei ist allzu deutlich geworden. Während der von der PiS kontrollierte Staatssender TVP allabendlich in den Hauptnachrichten gegen Schwarze und Araber hetzt, diese verunglimpft und Bilder von Straßenkrawallen in Paris zeigt, von brennenden Autos und Plünderungen von Lebensmittelläden, ist es andererseits gerade diese PiS, die so viele außereuropäische Ausländer ins Land geholt hat, wie keine andere Partei vor ihr. 

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)