Jürgen Kirbach ist Glasbläser. Der Wahl-Worpsweder hatte sein Hobby zum Beruf gemacht – bevor er es als Rentner wieder zum Hobby erklärte. Am Wochenende stellt er seine Arbeiten auf dem Kunsthandwerkermarkt in Worpswede aus. Zerbrechliche Exponate? Mitnichten.
Es faucht laut und wird unglaublich hell. Durch eine getönte Brille schaut Jürgen Kirbach konzentriert auf das weiße Glasrohr, das er in seinen Händen mit exakten Drehbewegungen durch die grünlich-gelbe Flamme führt, die aus einer kleinen Apparatur vor ihm in die Werkstatt schießt. Was aussieht wie ein Miniatur-Flammenwerfer, bezeichnen Glasbläser wie Jürgen Kirbach schlicht als „Lampe“. Sie ist das Werkzeug, das das Glas schmelzen lässt, sodass es durch abwechselnd regelmäßiges Pusten ins Rohr und genaues Drehen in Form gebracht werden kann. „Meine Hände sind wie eine Drehbank“, sagt Kirbach. Neben nur wenigen zusätzlichen Hilfsmitteln sind sie seine wichtigsten Werkzeuge. Alle Produkte formt er mit ihnen zu raren Einzelstücken.
Wenn am kommenden Wochenende im Rathaus in Worpswede wieder 32 Aussteller auf dem Kunsthandwerkermarkt ihre Unikate präsentieren, wird auch Jürgen Kirbach mit seiner Frau Renate mit einem Stand vertreten sein. Nicht zum ersten Mal. Seit dem ersten Kunsthandwerkermarkt 1989 ist Kirbach mit dabei. Nun baut er auch im Jubiläumsjahr seine Gläser im Rathaus auf: genau am Fenster, damit die kunstvollen Arbeiten ins rechte Licht gerückt werden.
Nicht alle Gläser, die Kirbach herstellt, sind durchsichtig. Die Kunst liegt nicht im Glasblasen allein. So ist das schmale Glasrohr, das er immer noch dreht und dreht und das sich in der Mitte bereits wölbt, im rohen Zustand milchweiß. Wie eine Leinwand, die prima geeignet ist, um noch mehr Farben darauf aufzutragen. Dazu pinselt Kirbach verschiedene pulvrige Oxide auf das weiße Rohr. Das Ruß bildende Propangas in der Flamme brennt das Pulver ins Glas ein, die Drehbewegungen und das Aufblähen durch das Pusten tun ein Übriges: Es entsteht eine individuelle Färbung.
Spiel mit Farben
Vieles am Resultat ist Zufall. Aber wenn Kirbach die Farben in einer bestimmten Reihenfolge aufträgt, sorgt er dennoch dafür, dass Muster entstehen, die einer Landschaft gleichen – der Moorlandschaft um Worpswede herum erstaunlich ähnlich. Der bräunliche, irdene Ton des Eisenoxids am Boden des Glases, der silbrige Schimmer der Luft des Silberoxids und die rötliche untergehende Sonne des Kupferoxids erinnern an den Horizont einer flachen Landschaft.
Die Glaskugel, die sich schon etwa eine halbe Stunde lang zwischen Kirbachs Händen dreht, ist aber noch kein Gefäß. Jetzt kommen einige Spezialwerkzeuge zum Einsatz. Das Rohr wird an einem Ende der Wölbung zunächst gekappt, die entstandene Öffnung mit dem sogenannten Auftreiber geweitet, der Rand mit einem spachtelähnlichen Gerät in gleichmäßige Form gebracht. Dem werdenden Glas fehlt am anderen Ende nur noch ein flacher Boden, damit es stehen kann.
Nun muss der gläserne Becher abkühlen: im Ofen. Was in einer bis zu 1800 Grad heißen Flamme entsteht, beruhigt sich am besten im sogenannten Kühlofen – bei läppischen 550 Grad. Dadurch gewinnt der Werkstoff an Stabilität.
Die ist durchaus unterschiedlich, denn: „Glas ist nicht gleich Glas“, sagt Jürgen Kirbach. Und um das auch gleich zu demonstrieren, holt er ein filigran wirkendes Weinglas, das er selbst hergestellt hat, platziert es auf dem Tisch – und wirft es um. Und noch einmal. Und noch einmal. Immer wieder fällt das Glas. Erstaunlich: Nichts zerbricht. Alles bleibt unversehrt. Kirbach freut sich. „Das ist stabiles Duranglas“, erklärt er. Diese Glasart wird auch für medizinisches Laborgerät verwendet. Kirbach selbst hat daraus unter anderem Kerzenleuchter hergestellt – die Hitze kann dem Glas nichts anhaben.
Der 78-Jährige kennt sich mit diesem Material bestens aus. Bevor Kirbach 1981 mit seiner Frau Renate nach Worpswede kam, war er im Hauptberuf Apparateglasbauer für medizinische Geräte und Laborbedarf. Doch sein Hobby, das Kunsthandwerk, nahm immer mehr Raum ein. So viel, dass Jürgen Kirbach die Freizeitbeschäftigung schließlich zur Profession machte. Seitdem arbeitete er in einer Werkstatt mit angeschlossener Galerie in der Alten Molkerei. In dieser Zeit habe er auch Neonröhrenbeleuchtung für das Sheraton-Hotel in Abu Dhabi hergestellt, sagt er nicht ohne Stolz. „Aber das ist lange, lange her.“ Es war eine Zeit, in der das Handwerk nach Meinung des Glasbläsers noch einen höheren Stellenwert hatte und von übermäßiger industrieller Massenware noch nicht so stark bedroht gewesen sei wie heute. Inzwischen sei es zunehmend schwieriger geworden, zu produzieren. „Irgendwann war Flaute“, sagt Kirbach.
2002 ging er in Rente, aus dem Beruf wurde wieder Hobby. Und jetzt stellt er fest: „Wir Kunsthandwerker erleben eine Renaissance.“ Zwar gebe es kaum noch Glasbläser, aber „handwerklich gefertigtes Glas wird wieder vermehrt geschätzt“, bestätigt seine Frau. Das zeige auch das ungebrochene Interesse am Kunsthandwerkermarkt in Worpswede. Jürgen Kirbach nickt – und entfacht erneut das Feuer der „Lampe“.
25. Kunsthandwerkermarkt in Worpswede
n Als 1989 das 100-jährige Bestehen der Künstlerkolonie Worpswede gefeiert wurde, trugen die ortsansässigen Kunsthandwerker mit einem Markt zu den Feierlichkeiten bei. In diesem Jahr gibt es zum 25. Mal im Rathaus in der Bauernreihe 1 die Unikate und Kleinserien von 32 Ausstellern verschiedenster Gewerke zu sehen – von Fischleder über Glasbilder bis hin zu Gartenobjekten oder individuellen Musikinstrumenten. Von 16 Ausstellern aus Worpswede organisiert, finden weitere 16
Aussteller aus Deutschland den Weg ins Künstlerdorf. Dabei muss alles Ausgestellte zu 100 Prozent aus eigener Herstellung sein. In diesem Jahr eröffnet Worpswedes Bürgermeister Stefan Schwenke den Markt am Sonnabend, 23. November, um 11 Uhr. Am Sonnabend sowie am Sonntag, 24. November, ist der Markt dann zwischen 11 und 18 Uhr bei freiem Eintritt geöffnet. Besucher können bei einem Preisrätsel ein Unikat aus einer der teilnehmenden Werkstätten gewinnen. (muk)