Eine nackte Frau hockt auf einem Hocker, das Gesicht abgewandt zur Wand hinter ihr. Doch ist sie wirklich nackt? Es sieht ein bisschen so aus, als ob sie einen gemusterten Anzug trägt, die Schulterpartie ist frei gelegt. Aber ein Kleidungsstück kann es nicht sein, zu sehr verbunden ist das Muster mit der Haut, ein Ausschlag vielleicht. Oder ein Tattoo. Tatsächlich ist es die Struktur eines Porenpilzes, stark vergrößert, auf den Körper mit einem Beamer reflektiert. Haut auf Haut sozusagen. Zwei eigentlich grundsätzlich verschiedene Bilder, die durch Überlagerung zusammengefügt wurden. Gerade durch die Übertragung auf Papier oder Leinwand verschmelzen die Ebenen dabei endgültig miteinander und werden zu einem neuen Ganzen.
Künstlerin Marina Schulze spielt mit den Oberflächen und schafft dadurch in ihrer Malerei eine ganz eigene Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit, die im Auge des Betrachters liegt. Das, was für den einen vielleicht ein Fluss aus Lava ist, ist für den anderen Papier oder Stoff, der in Bahnen liegt. Wirklich greifbar sind ihre Motive nicht, gehen schon ins Abstrakte, obwohl sie doch eigentlich sehr naturalistisch sind. Der Bruch entsteht durch die Wahl des Bildausschnitts und das teils starke Heranzoomen. Ein Mikrokosmos, der auf den ersten Blick fremd wirkt und bei jedem eine ganz eigene Assoziation hervorruft. Da wird aus einem Pilz schon mal ein Tutu oder eine Mondlandschaft. Deswegen gibt Marina Schulze ihren Bildern auch keine Titel. „Der Betrachter soll sich eigene Gedanken machen“, sagt die 44-Jährige.
Ein Stück Momentaufnahme
Verschiedenste Formen von Wasser hat Marina Schulze schon gemalt, immer wieder in anderen Facetten, mal leuchtend grün und blau, fast sumpfig, ein anderes mal dunkelgräulich und wild tobend vom Wind, dann wieder ruhig und silbrig schillernd. Immer wieder ganz neue Landschaften entstehen durch die Lichteffekte an der Oberfläche. „Die äußeren Einflüsse kann man in so einem Moment einfrieren.“ Das Wasser selbst ist weder rau noch farbig, nur Projektionsfläche dessen, was die Umwelt aus ihm macht.
Schulzes Bilder sind auch immer ein Stück Momentaufnahme, wie in der Fotografie, aus der ihre Werke hervorgehen. Die Vorlagen für ihre Malerei macht sie dabei alle selbst. Inzwischen hat die Künstlerin ein ganzes Sammelsurium an Fotos, von verschiedensten Oberflächen: Raufasertapete, eine Sahnetorte, das Gefieder eines Vogels, eine Decke mit Lampen, Pilze, immer wieder Pilze. Auf einem Schreibtisch in ihrem Atelier stapeln sich die Fotografien, einige hängen auch an der Wand darüber – Bilder zu Werken, an denen sie gerade arbeitet. In dem weitläufigen Raum gibt es Oberlicht, keine Fenster an den Wänden, dafür umso mehr Platz für die teils riesigen Leinwände.
Die meiste Zeit in der Woche verbringt Marina Schulze in dem Atelier in Bremen, am Wochenende geht es für sie und ihre Familie dann meistens nach Ganderkesee, raus auf's Land, wo die 44-Jährige aufgewachsen ist. Viele ihrer Fotografien sind dort gemacht worden. Und auch die Natur findet sich immer in ihren Bildern wieder. „Viele Motive entstehen dort, wo man herkommt“, sagt sie. Auch auf ihren Reisen hat Marina Schulze viele Eindrücke in Bildern festgehalten und verarbeitet, wie etwa in Island, wo sie längere Zeit residierte.
Dort kam ihr auch erstmals die Idee für ihre Raumbilder. Eine Reise führte sie zu einem Staudamm, der gerade errichtet wurde und die dahinter liegende Landschaft mit Berg für immer verändern würde. Der Berg würde zu einer Insel inmitten des Wassers. „Da habe ich überlegt, wie man diese Landschaft trotzdem erhalten kann“, erzählt Schulze. Schließlich kam ihr die Idee, die Landschaft in ihrem ursprünglichen Zustand auf den Staudamm zu malen und so für die Ewigkeit festzuhalten. Auf dieser ersten Inspiration basieren ihre Raumarbeiten, die einen installativen Charakter haben, auch wenn sie eigentlich gemalt sind. In Ausstellungsräumen lässt Schulze schon mal eine Bank oder eine Säule verschwinden und mit dem dahinterliegenden Raum verschmelzen – jedenfalls aus einer Richtung. Aus anderen Blickwinkeln bricht das Bild wieder. Ein Spiel mit Perspektiven.
Bei den Raumbildern nimmt man als Betrachter eine bestimmte Perspektive an. Im Prinzip genauso wie auch bei Schulzes Bildern und der Fotografie. Dabei beschäftigt sie sich auch immer wieder mit dem Thema Licht. Was es mit dem Raum macht, wie es reflektiert, wie es auf den Oberflächen bricht oder wirkt und Strukturen zur Geltung bringt. Strukturen, die Schulze dann malerisch aufgreift und nachfühlt.