Wie eng Musik und Fotografie in der Pop-Industrie verwoben sind, zeigt die Ausstellung "Anton Corbijn. Private Passion" in der Städtischen Galerie Haus Coburg gerade recht eindrucksvoll. Die jungen Kunstschaffenden und -vermittelnden der Initiative Copartikel nahmen Corbijn zum Vorbild, um die Delmenhorster Musikszene zu erforschen.
Delmenhorst. Alexander von Rothkirch steht, in seiner Musik versunken, in einem kahlen Raum, singt, zupft an seiner Gitarre. "Wir finden, er hat etwas von Johnny Cash", sagt Piotr Rambowski, der zusammen mit Marie Naemi Kumpf das Gesicht der jungen Haus-Coburg-Initiative Copartikel ist. Deswegen war irgendwie klar, dass sie den mittlerweile in Hamburg lebenden Musiker im Gefängnis fotografieren wollten, in der Justizvollzugsanstalt Blockland, die ihren Dienst längst getan hat. Für jeden der 14 Musiker in dem Magazin-Katalog "Local Session" wurde schließlich eine ganz eigene Atmosphäre geschaffen, mal geplant, mal zufällig.
Herausgekommen sind bei dem Projekt intensive Schwarz-Weiß-Porträts, eindrucksvolle Arbeiten des jungen Fotografen Benjamin Eichler von größtenteils recht unbekannten Delmenhorster Musikern, Profis wie blutigen Anfängern. "Local Session" beweist einmal mehr: Musik und Fotografie, das passt gut. Man sieht es an den Bildern Anton Corbijns, die zurzeit in der Galerie gezeigt werden und die Idee für dieses Projekt gaben.
Jetzt haben die Copartikler die stärksten der Bilder der Local Sessions veröffentlicht. An diesem Freitag wird der Katalog im Slattery’s an der Stedinger Straße öffentlich vorgestellt. "Musiker stellen ihre neue CD auf einer Release Party vor, und wir machen das mit unserem Katalog", sagt Rambowski. Und weil eine Party nur mit einer Diashow eher fad wäre, gibt es auch Musik von einigen der Künstler, die auch in der Local Session zu sehen sind. Die Hip-Hopper von "Dare Deep" treten auf, DJ Bob Mitchell, Trash House Nikky mit seinem Mix aus Dubstep und Drum and Bass und eben Alexander von Rothkirch. Zudem kommt mit "Coffee" Besuch aus der Bremer Reggae-Szene.
"Wir haben aber bewusst versucht, die Bilder von Corbijn in unserem Kopf abzuschalten", sagt Rambowski. Die Delmenhorster Musiker einfach in dessen Posen nachzufotografieren, hätte es nicht gebracht. Das zeigt sich im Katalog bereits an einem kleinen Detail: Nahezu alle Musiker lächeln oder lachen – während die Corbijn-Bilder fast immer von ernsten Mienen geprägt sind. "Wenn es Zitate gibt, dann wirklich unbewusst", sagt auch Marie Naemi Kumpf. Aber es gibt sie. Vielleicht liegt es daran, dass so viele berühmte Pop-Posen zu einem allgemeinen Kulturschatz geworden sind, dass die Local Session eben auch wie eine Zitatsammlung funktioniert.
Alexander von Rothkirch ist da nur ein Beispiel. Auch die Jungs von "Jeremiad" erinnern, wegen eines Regenschauers so in ihr Auto gedrängt, an typische Bandaufnahmen aus den 60er-Jahren, es gibt ja gefühlt unheimlich viele Die-"Beatles"-sitzen-im-Auto-Bilder. Und bei Jan Frerichs in der Bar des City Hotels kommt sofort die Erinnerung an Corbijns Sinatra-Aufnahmen. Auch das: purer Zufall.
"Wir haben uns bei der Fotosession einfach treiben lassen und das gemacht, was uns gerade einfiel", sagt Frerichs, der Gitarrist mit dem Hut. Ausgerechnet ihm, dem Profimusiker, der seinen Lebensunterhalt auch als "musikalischer Dienstleister" in Top-40-Bands oder bei Studioaufnahmen oder in der Band von Martin Scholz verdient, war es wichtig, nicht in die typischen Klischee-Posen zu verfallen. Eingenommen hat er sie aber dann doch. Irgendwie lässt sich das, was schon auf so vielen Plattencovern, in Musikmagazinen oder Galerien zu sehen war, doch nicht ausschalten.
Einen weiteren jungen Blick auf große Fotokunst bietet Copartikel übrigens auch am Sonntag, 21. Oktober. Dann laden Marie Naemi Kumpf, die in Ottersberg studiert, und Shazana Rohr, die das Max-Planck-Gymnasium besucht, um 15 Uhr zu einer öffentlichen Führung ein, um ihre Perspektive auf die Bilderwelten von Anton Corbijn und Kyungwoo Chun zu eröffnen.