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Werder-Kolumne Werders U23 kann für Ole Werner zum Problem werden

Der Abstieg von Werders U23 könnte noch ernsthafte Folgen haben. Die Kluft zu den Profis ist nun enorm groß, meint Jean-Julien Beer - beim märchenhaften Aufstieg von Christian Groß war das noch ganz anders...
07.08.2023, 18:00 Uhr
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Werders U23 kann für Ole Werner zum Problem werden
Von Jean-Julien Beer

Am Wochenende ist es tatsächlich passiert, da stand Christian Groß plötzlich auf einer Stufe mit den Nationalspielern Kai Havertz und Leon Goretzka. Alle drei erhielten bei der Wahl zu Deutschlands Fußballer des Jahres eine Stimme. Mit deutlichem Vorsprung gewann Ilkay Gündogan die Abstimmung unter den deutschen Sportjournalisten, vor dem Bremer Torschützenkönig Niclas Füllkrug.

Viele der 612 Stimmen verteilten sich auf Stars wie Randal Kolo Muani, Jamal Musiala, Jude Bellingham oder Christopher Nkunku. Aber für irgendjemanden im Land war Werders Groß die Nummer 1 – weil die Wahl anonym ist, lässt sich das nicht zurückverfolgen.

Auch wenn es ein bisschen viel der Ehre ist: Mehr Wertschätzung hätte Groß durchaus verdient, ist es doch eine märchenhafte Geschichte, die er den Werder-Fans seit vier Jahren bietet. Und gerade der jetzige Sommer ist geeignet, um an seine Geschichte zu erinnern. Denn Groß kam im Juli 2019 aus Werders U23-Mannschaft zu den Profis. In der „Reserve“, die in der Regionalliga eine starke Rolle spielte, gehörte der defensive Mittelfeldspieler mit Ende 20 zu den erfahrenen Kräften. Weil in der Sommervorbereitung alle Abwehrspieler ausfielen, beorderte Cheftrainer Florian Kohfeldt den vielseitigen Groß zu den Profis, nahm ihn auch mit ins Trainingslager – und gab ihn nie mehr her.

Bis heute spielt Groß bei den Profis. Alle seine 63 Bundesliga- und 27 Zweitligaspiele schienen unerreichbar für einen wie ihn, der seine Laufbahn bis dahin bei unterklassigen Mannschaften verbracht hatte. Für Babelsberg, Osnabrück, Lotte und die zweite Mannschaft des HSV hielt er die Knochen hin, in 182 Spielen der 3. Liga und mehr als 100 Regionalliga-Partien. Man merkt ihm das im Spiel an, weil er im Gegensatz zu vielen betüddelten Jungprofis aus den Nachwuchsleistungszentren recht unerschrocken zu Werke geht: Groß hat einfach schon eine Menge erlebt auf den nicht so schönen Plätzen des Landes.

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Auch bei Werders U23 spielte er in der Regionalliga, aber das war kein riesiger Unterschied zu den Profis. Groß hielt jedenfalls gut mit, erst im Training, dann in den Testspielen, schließlich auch in den Stadien der Bundesliga. Auch wenn er nicht perfekt agiert, so ist das Preis-Leistungs-Verhältnis bei ihm im Vergleich zu anderen Spielern sensationell gut.

Groß war nicht nur ein Glücksfall für Kohfeldt und Werder, es war die perfekte Geschichte: Wenn es bei den Profis mal personell eng wird, bedient man sich doch gerne bei der Reserve – für ein paar Trainingseinheiten in der Länderspielpause oder auch an Spieltagen. Für Ole Werner ist das nun viel schwieriger: Wenn an diesem Freitag Werders U23 in der Bremen-Liga bei Vatan Sport in die Fünftklassigkeit startet, dann ist das in allen Belangen arg weit weg vom Bundesligageschehen.

Dieser Abstieg der U23 ist ein harter Schlag für den SV Werder. Wie üblich in der Werder-Familie gibt es keine Schuldigen und keine Konsequenzen, aber es gibt ein Problem: Vom Niveau her klafft eine enorme Lücke zwischen dem, was Ole Werner im Abstiegskampf der Bundesliga benötigt und dem, was die Spieler der U23 in ihrem Alltag erleben. Ob ein paar Testspiele gegen höherklassige Gegner daran viel ändern, bleibt abzuwarten. Der jüngste Test der U23 wurde mit 2:0 beim niedersächsischen Oberligisten SV BW Bornreihe gewonnen, was die Fallhöhe aus Sicht der Profis ganz gut beschreibt, die kommende Woche gegen Bayern München spielen.

Intern hatte man sich das bei Werder ganz anders vorgestellt. Vor wenigen Jahren musste man sich unter Trainer Konrad Fünfstück noch schweren Herzens gegen einen möglichen Aufstieg der U23 in die 3. Liga entscheiden – und jetzt dieser Absturz. Der sofortige Aufstieg zurück in die Regionalliga ist nun Pflicht. Danach darf sich derlei nicht wiederholen. Nur dann kann man es unter „Betriebsunfall“ verbuchen, und nur dann macht die Integration von internationalen Talenten wie Ethan Kohler (USA) oder Kein Soto (Japan) Sinn. Immerhin: Werder gönnt sich eine U23, andere Bundesligisten wie Leverkusen oder RB Leipzig sehen darin keinen Sinn, weil der Abstand zu deren Spitzenfußball zu groß ist. Nur deshalb konnte Werder sich Leipzigs Talent Daniel Ihendu sichern, trotz der Bremen-Liga. Auch der 18-jährige Leon Opitz ist geblieben, der zuletzt bei den Profis mitwirkte.

Groß empfand bei seinen ersten Spielen für Werders Profis „Gänsehaut“. Heute geht das Werders Gegnern in der Bremen-Liga so. Das möglichst schnell zu korrigieren, wäre auch mit Blick auf personelle Engpässe bei der ersten Mannschaft ratsam.

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