- Teil des Bernsteinzimmers sollte in Bremen millionenschweres Geschäft bringen
- DDR-Informant bringt Spur zum Bernsteinzimmer
- Der "Spiegel" kommt früh auf die Fährte des Bernsteinzimmers
- Teil des Bernsteinzimmers zum Verkauf angeboten: Wer ist "Mister X"?
- Der Bierdeckel-Vertrag
- Teil des Bernsteinzimmers bringt Henning Scherf und Wladimir Putin zusammen
Sie suchten in Höhlen und Stollen, in Burgen und Schlössern. Sie durchkämmten abgelegene Wälder, tauchten auf den Meeresboden und reisten durch halb Europa. Historiker, Journalisten, Abenteurer, Politiker und Hobbyschatzsucher – alle suchten nach dem legendären Bernsteinzimmer. Einige suchen bis heute.
Im Jahr 1701 hatte der Preußenkönig Friedrich I. den Prunkraum aus Bernstein-, Gold- und Spiegelelementen in Auftrag gegeben. Später ging das Zimmer als Tauschobjekt in den Besitz des russischen Zaren Peter I. über – von 1755 an war es Teil des Katharinenpalasts nahe Sankt Petersburg. Dort blieb es bis zum Jahr 1941, als die einrückende Wehrmacht das Zimmer aus dem Zarenpalast raubte und, in Kisten verpackt, nach Königsberg brachte. Drei Jahre später verlor sich die Spur beim Vormarsch der Roten Armee. Mehr als ein halbes Jahrhundert lang tauchte kein einziges Fragment des "achten Weltwunders", wie es oft bezeichnet wird, auf – bis zum 13. Mai 1997.
Teil des Bernsteinzimmers sollte in Bremen millionenschweres Geschäft bringen
An diesem Dienstagmorgen empfängt der Bremer Anwalt und Notar Manhard K. in seiner Kanzlei auswärtige Gäste, mit denen er ein millionenschweres Geschäft abschließen will. Der Klient, in dessen Auftrag K. handelt, wird zu diesem Zeitpunkt als "Mister X" bezeichnet. Das Verkaufsobjekt: ein 55 mal 70 Zentimeter großes Steinmosaik in einem Goldblechrahmen, der mit Halbedelsteinen besetzt ist. Darauf zu sehen sind zwei Paare vor einer italienischen Gartenlandschaft. Das Mosaik, so sollte später bekannt werden, befand sich seit mehreren Jahrzehnten in Bremen. Deutlich länger, nämlich fast zwei Jahrhunderte lang, hatte es zuvor im Katharinenpalast gehangen – als Teil des legendären Bernsteinzimmers.

Sensationsfund in Bremen: das Steinmosaik aus dem Bernsteinzimmer.
Der Bremer Anwalt ahnt nicht, dass seine Gäste nur scheinbar an einem Kauf interessiert sind. Einer der Männer, Peter Schultheiß, ist der Direktor des Potsdamer Polizeipräsidiums. Er gibt sich als Kunstliebhaber aus, während seine Kollegen, als Zivilisten getarnt, vor dem Haus warten.
Schultheiß, Jahrgang 1942, hat dem WESER-KURIER einen ausführlichen Bericht zur Verfügung gestellt, in dem er die Umstände des Einsatzes schildert. An einigen Stellen fehlen Klarnamen, andere Passagen möchte Schultheiß nicht veröffentlicht wissen. Auch ohne ins letzte Detail zu gehen, wird deutlich, wie komplex und teilweise kurios der Fall gewesen ist. Warum zum Beispiel war es ausgerechnet die Potsdamer Polizei, die in Bremen tätig wurde?
DDR-Informant bringt Spur zum Bernsteinzimmer
Schultheiß zufolge begann alles im Dezember 1996, als bei einem Einbruch im Schloss Charlottenhof in Potsdam das Gemälde "Ansicht eines Hafens" von Caspar David Friedrich gestohlen wurde. Bei der anschließenden Suche seien Gerüchte aufgekommen, dass es sich bei dem gestohlenen Kunstwerk um eine Fälschung handele. Daraufhin habe man sich in der Szene umgehört – unter anderem bei H., ehemals Mitarbeiter einer "Organisationseinheit" der DDR, die "Kunstgegenstände in das westliche Ausland verscherbelte". H., so berichtet es Schultheiß, habe angegeben, über den Diebstahl nichts zu wissen, sich aber kundig machen zu wollen. "Was nun folgte, hat durchaus die Züge einer Posse", schreibt Schultheiß in seinem Bericht.
Wenige Tage später sei einem "Gewährsmann" des Informanten H. neben dem besagten Gemälde auch ein Fragment angeboten worden, das angeblich aus dem Bernsteinzimmer stammen sollte. Der Preis dafür: 2,5 Millionen US-Dollar. Kurz darauf konnten die Ermittler das Friedrich-Gemälde bei einem Scheinkauf sicherstellen – es war, anders als behauptet, nicht gefälscht.
Dass das angebotene Kunstwerk aus dem Bernsteinzimmer ebenfalls echt sein könnte, hielt Schultheiß laut eigener Aussage zunächst für ausgeschlossen. Über H. nahmen die Ermittler Kontakt zu den Verkäufern auf, die vermeintliche Beweise für die Echtheit vorlegten – unter anderem ein Gutachten, das Schultheiß allerdings als "dilettantisch" bezeichnet. Mittlerweile war klar, dass es sich bei dem angebotenen Objekt um ein Mosaik handelte. Der Forderung nach einem Stein aus dem Mosaik – zur Überprüfung der Herkunft – seien die Anbieter allerdings nicht nachgekommen. "Sie verweigerten die Übergabe mit der Begründung, dass ein fehlender Stein das Mosaik deutlich im Werte senke. Eigenartigerweise fing ich dadurch an, die Echtheit ins Kalkül zu ziehen", schreibt der ehemalige Polizeidirektor.
Der "Spiegel" kommt früh auf die Fährte des Bernsteinzimmers
Erneut bereiteten die Ermittler einen Scheinkauf vor. Ein Problem dabei: 2,5 Millionen US-Dollar, umgerechnet etwa vier Millionen Mark, waren Schultheiß zufolge im "recht armen Bundesland Brandenburg nicht zu beschaffen". Einen wesentlichen Anteil daran, dass die Aktion dann doch relativ schnell organisiert werden konnte, hatte laut Schultheiß der damalige "Spiegel"-Chefredakteur Stefan Aust. Wie der "Spiegel" auf die Geschichte aufmerksam wurde, ist nicht ganz geklärt. Schultheiß sagt, H. habe dem Magazin die Story zum Kauf angeboten. Der "Spiegel" selbst schreibt in einer Hausmitteilung vom 18. Mai 1997, alles habe mit einem Zettel begonnen, der Schultheiß auf den Boden gefallen sei – darauf zu lesen: "Bernsteinzimmer". Schultheiß bestreitet das.
Ebenfalls nicht ganz klar ist, an wen das Magazin wie viel Geld bezahlt hat. Ob zum Beispiel H. tatsächlich Geld erhalten habe, entziehe sich seiner Kenntnis, erklärt Schultheiß. In der "Spiegel"-Hausmitteilung heißt es, man habe "den Weg nach Bremen mit einer Art Finderlohn finanziell geebnet". Wie auch immer: Zeit und Ort für den Verkauf des Mosaiks standen fest. Schultheiß sollte als Scheinkäufer auftreten und einen Sachverständigen mitbringen. "Nun waren schon Leute wegen geringerer Summen umgebracht worden. Insofern bat ich die Spezialeinheiten der Polizei Brandenburg um Unterstützung, und wir vereinbarten Personenschutz für mich sowie verdeckte Observation vor Ort", berichtet der ehemalige Polizeidirektor.
Von dem Einsatz in Bremen liegen Videoaufnahmen vor, die ein Team von "Spiegel TV" aufgezeichnet hat. Peter Schultheiß ist darin zu sehen, zunächst bei Gesprächen in einem Straßencafé vor der Anwaltskanzlei, später dann in der Kanzlei selbst. "Im Notariat kam es zu einem kurzen Gespräch mit dem Notar. Wir ließen uns so schnell wie möglich das Mosaik zeigen, und als es auf einer Decke ausgebreitet auf dem Fußboden lag und Dr. Göres (der Sachverständige, d. Red.) nach einem ersten Augenschein die Echtheit betätigt hatte, gaben wir uns als Polizeibeamte zu erkennen und beschlagnahmten das Bild", erinnert sich Schultheiß.
Teil des Bernsteinzimmers zum Verkauf angeboten: Wer ist "Mister X"?
Vom "Spiegel" beauftragte Gutachter kommen ebenfalls recht schnell zu dem Schluss, dass es sich bei dem Mosaik um ein echtes Fragment des Bernsteinzimmers handelt. Etwas mehr als eine Woche vergeht, bis auch das Geheimnis um den Besitzer gelüftet wird. Hinter "Mister X", der das Mosaik über seinen Anwalt zum Kauf angeboten hatte, verbirgt sich der Bremer Rentner Hans-Henning A. Dessen Vater, ein Oberstleutnant der Wehrmacht, soll das Mosaik im Jahr 1941 an sich gebracht haben. Die genauen Umstände lassen sich nicht zweifelsfrei klären – vieles deutet aber darauf hin, dass A. senior während des Kunsttransports nach Königsberg an das Fragment gelangte. Wie er das Diebesgut nach Deutschland brachte, ist nicht bekannt.
A. senior starb im Jahr 1978. Sein Sohn Hans-Henning, so berichtet der es zumindest später der Polizei, fand das Mosaik auf dem Speicher und hängte es arglos an die Wand hinter seinem Sofa. Erst durch einen Fernsehbeitrag im Jahr 1990 habe er erfahren, womit er da sein Wohnzimmer schmückte. Ob diese Version stimmt, wird nach dem fehlgeschlagenen Verkauf zur Streitfrage, die auch Juristen beschäftigt. Denn: Das deutsche Recht sieht vor, dass ein Gegenstand nach zehn Jahren "gutgläubig ersessen" ist – also dem Besitzer zusteht, sofern dieser im besagten Zeitraum davon ausgeht, der rechtmäßige Eigentümer zu sein.
Hans-Henning A. und sein Anwalt beharren darauf, dass es so gewesen sei, und fordern das beschlagnahmte Mosaik zurück. In der Folge entsteht auf mehreren Ebenen ein zunehmendes Durcheinander: Seine in Südafrika lebende Ex-Frau macht angeblich Andeutungen, dass A. von der Herkunft des Mosaiks gewusst habe. Der Beschuldigte fordert sie daraufhin per Fax auf, unrichtige Aussagen zu korrigieren. Das wiederum interpretiert die Berliner Staatsanwaltschaft, die wegen versuchten Betrugs gegen A. ermittelt, als Beeinflussung einer Zeugin – und lässt den Bremer Rentner verhaften.
Der Bierdeckel-Vertrag

Wolfgang Eichwede.
Unterdessen mischen sich immer mehr Akteure in die Debatte ein. Längst ist der Sensationsfund zum Politikum geworden – es geht nicht nur um den Geldwert des Mosaiks, sondern um den grundsätzlichen Umgang mit Kriegsbeute. Professor Wolfgang Eichwede, Leiter des Osteuropa-Instituts der Bremer Uni und international anerkannter Beutekunst-Experte, wagt Ende Mai 1997 einen ungewöhnlichen Vorstoß. Er trifft sich mit A. in einer Kneipe im Steintor und formuliert einen handschriftlichen Vertrag – auf der Rückseite einer Bier-Rechnung. A. soll unterschreiben, dass er auf die Ansprüche an dem Steinmosaik für einen "Finderlohn" von 250.000 Mark verzichte.
A. lehnt ab. Zu einem Gerichtsurteil gegen ihn kommt es nicht mehr – er stirbt im Sommer 1998. Sein Anwalt Manhard K. wird später zunächst von einem Bremer Gericht wegen Beihilfe zum versuchten Betrug "verwarnt". In einem Revisionsverfahren sieht der Bundesgerichtshof eine Mittäterschaft gegeben und verurteilt K. zu einer Geldstrafe von 90.000 Mark.
Teil des Bernsteinzimmers bringt Henning Scherf und Wladimir Putin zusammen
Und das Mosaik? Bernd Hockemeyer, Präses der Bremer Handelskammer, schafft die Voraussetzungen für ein deutsch-russisches Tauschgeschäft. Um zivilrechtliche Streitigkeiten zu vermeiden, löst er das Mosaik für 200.000 Mark bei A.s Tochter aus. Bremens Bürgermeister Henning Scherf (SPD) vereinbart – unterstützt von Eichwede – eine Übergabe des Bernsteinzimmer-Fragments an Russland. Im Gegenzug soll Bremen 101 Arbeiten zurückerhalten, die aus dem Besitz der Kunsthalle stammten und bei Kriegsende nach Russland verbracht worden waren.

29. April 2000: Bremens Bürgermeister Henning Scherf (r.) und Kulturstaatsminister Michael Naumann (2. v. r.) übergeben das Mosaik an Russlands Präsidenten Wladimir Putin (l.).
Am 29. April 2000 ist es soweit: Im Beisein des russischen Präsidenten Wladimir Putin übergeben Scherf und Kulturstaatsminister Michael Naumann (SPD) das Mosaik an den Katharinenpalast. Nach mehr als einem halben Jahrhundert kehrt damit zumindest ein Teil des Bernsteinzimmers in die Heimat zurück. Seit 2003 können Besucher eine detailgetreue Rekonstruktion des kompletten Prunkraums im Zarenpalast bestaunen. Das Original bleibt verschollen – und wird weitere Generationen von Schatzsuchern beschäftigen.

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