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Belastete Lehrkräfte Erschöpft und am Limit

Der Landkreis Osterholz plant nach den Ferien eigene Lehrerfortbildungen zur Resilienz und zum Umgang mit auffälligen oder aggressiven Schülern. Den Bedarf hatte eine Umfrage unter 23 Schulleitungen ergeben.
01.07.2022, 07:00 Uhr
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Erschöpft und am Limit
Von Bernhard Komesker

Landkreis Osterholz. Über die sogenannte Jugend von heute ist zu allen Zeiten geklagt worden. Trotzdem sind offene Respektlosigkeit und fortwährende Regelverstöße von Schülern aus Sicht vieler Lehrkräfte ein wachsendes Problem im Schulalltag. Von Kultusbehörde und Schulträgern wünschen sich die Pädagogen mehr Hilfen im Umgang mit herausforderndem Verhalten, Aggressivität und Mobbing. Das hat eine Umfrage des Osterholzer Landkreis-Amts für Bildung unter kreisweit 23 Schulleitungen ergeben.

Die Verwaltung hatte von den Teilnehmer-Schulen der Qualitätsinitiative "Beste Bildung" wissen wollen, wo nach Corona vor allem der Schuh drückt. Markus Stöckl vom Bildungskontor im Kreishaus zog jetzt ein erstes Fazit. Die Ergebnisse decken sich demnach weitgehend mit dem repräsentativen Forsa-Schulbarometer, das im Juni veröffentlicht wurde (Info unter www.bosch-stiftung.de/de/projekt/das-deutsche-schulbarometer). "84 Prozent der Lehrkräfte bezeichnen sich als stark oder sehr stark belastet", sagte Stöckl. Seine Abteilung wolle nach den Ferien auf die Schulen zugehen und maßgeschneiderte Angebote machen.

Rückzug ins Private

Während sich im Problemkreis mit den meisten Nennungen große Leistungsunterschiede und soziokulturelle Unterschiede ein Ventil nach außen suchen, wirkt die zweite Herausforderung eher im Stillen: Fachleute sprechen von Pädagogischem Long Covid und meinen damit das Gegenteil von Konfrontation: innere Emigration, Niedergeschlagenheit, Angst, Depression. Betroffene Kinder und Jugendliche scheinen regelrecht verstummt zu sein, sie beteiligen sich nicht, sofern sie überhaupt zur Schule gehen.

Beide Gruppen sind nicht immer leicht voneinander abzugrenzen – bei der Umfrage waren Mehrfachnennungen möglich –, eines aber haben sie gemeinsam: Für Pädagogen sind sie nur schwer zu erreichen. Der Kölner Psychologe Stephan Grünwald hat dazu eigene Tiefeninterviews mit jungen Menschen geführt und den Begriff von Melanchovid geprägt. "Untergründig ist man angestrengt und gereizt", so sein Befund. Nach mehr als zwei Pandemiejahren habe sich ein Mix aus "anhaltenden Verdrängungsmechanismen und Aggressivität" etabliert.

Mehr Verhaltensauffälligkeiten

Nach den Worten von Markus Stöckl wächst der Aufgabenberg momentan durch die Integration ukrainischer Schüler sowie durch fehlende Räume und zunehmenden Personalmangel. "Das wurde uns eindringlich geschildert", so der Landkreis-Mitarbeiter. Die Pädagogen sähen sich in dieser Lage "nicht adäquat vorbereitet und ausgebildet". Auch deshalb setzt der Landkreis unter anderem auf die Fortsetzung des sogenannten Etep-Programms. Wie berichtet, qualifizieren sich teilnehmende Lehrkräfte dabei auf den Feldern Entwicklungstherapie und Entwicklungspädagogik, um mit auffälligen Schülern besser zurechtzukommen.

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Das Jugendamt hatte überdies für Donnerstag zu einem eigenen Fachtag eingeladen. Bei schuldistanziertem Verhalten gibt es inzwischen auch kreiseigene Fachkräfte, die psychologisch geschult sind und von Lehrern oder Eltern angefragt werden können. Das Projekt "Bildungsbegleitung akut" sollte nach Angaben der Kreisdezernentin Heike Schumacher eigentlich schon vor knapp einem Jahr mit zweieinhalb Vollzeitkräften starten, doch es fehlten zunächst die Bewerbungen. Mitte März und Anfang Mai wurden 1,5 Planstellen mit zwei Beschäftigten besetzt, die Suche geht also weiter.

Anpassungsfähigkeit trainieren

Befragt hatte das Bildungskontor 15 Grundschulen, drei Gymnasien, die BBS und vier weiterführende Schulen. Ihnen hatte die Kreisbehörde eigentlich organisatorische Angebote zum Neustart nach Corona machen wollen. Doch aktuell scheinen eher praktische Handlungsstrategien gefragt zu sein. Mit Dringlichkeit Nummer vier wurden Stressvermeidung und Stressabbau, Belastbarkeit und Resilienz genannt – noch vor der Konzeption von Ganztagsangeboten (Platz fünf) und hinter Hilfen bei der Digitalisierung des Lehrens und Lernens (Platz drei).

"Resilienz und Anpassungsfähigkeit lassen sich trainieren", erläuterte Stöckl. Im September starte dazu eine Fortbildungsreihe vor Ort, für die sich der Landkreis die Dienste des Bremer Landesinstituts für Schule gesichert habe. Für die Grundschulen soll es mit dem Hamburger Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung eigene Workshops zu Schulentwicklung und Prozessbegleitung geben; dort greift ab 2026 der elterliche Ganztagsanspruch. Bei der Digitalisierung wiederum bleiben das Medienkompetenzzentrum und das Niedersächsische Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung an der Seite der Schulen tätig.

Alltagsnutzen im Vordergrund

Die Angebote sollen Wissensvermittlung mit praktischer Anwendung kombinieren. Stöckl hofft, dass sie von den Kollegien nicht als zusätzliche Belastung wahrgenommen werden: Das Beispiel der Ganztagsangebote könne das veranschaulichen. "Damit verbindet sich die große Chance, den Alltag anders zu rhythmisieren." Da die Grundschulen ohnehin entsprechende Pläne aufstellen müssen, sei die Landkreis-Hilfe hoffentlich entsprechend attraktiv.

Darüber hinaus soll das Schulleiter-Forum mit zwei Terminen pro Jahr wieder aufleben, das von der Pandemie ausgebremst worden war. Und auch fachübergreifende Lerninhalte wie Demokratiebildung, Nachhaltigkeit und Berufsorientierung will das Bildungskontor wieder aufgreifen. Sie hatten bei der jüngsten Umfrage eher hintere Plätze belegt. Finanziert wird das Ganze aus dem Bildungsfonds, der mit jährlich gut 34.000 Euro gefüllt ist. Das Geld stammt aus den Schulbudgets der Beste-Bildung-Teilnehmer. Info unter www.bildungskontor-osterholz.de .

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