Jede Menge Polizisten im Amtsgericht am Freitagmorgen. Aber den Saal 151 betreten sie einzeln, zeitversetzt nacheinander. Acht von ihnen sind als Zeugen geladen. Der neunte sitzt auf der Anklagebank. Gefährliche Körperverletzung wird ihm vorgeworfen. Er soll am 30. Dezember 2018 im Dienst grundlos Reizgas gegen einen Mann eingesetzt haben.
Zugleich schwebt über dem Prozess der Vorwurf, dass der heute 39-Jährige den Reizgaseinsatz im Nachhinein habe vertuschen wollen. Angeklagt ist er deswegen aber nicht. Zwar ermittelte die Staatsanwaltschaft auch wegen Strafvereitelung im Amt. Aber nur gegen mehrere seiner Kollegen, die ihn mutmaßlich decken wollten. Diese Verfahren wurden längst eingestellt, zum Teil gegen Zahlung einer Geldauflage.
Bei dem Einsatz ging es um einen offenbar verwirrten Mann, der am Abend des 30. Dezember mehrfach für Unruhe an der Polizeiwache Stephanietor sorgte. Nach Darstellung des Angeklagten, der als Gruppenführer einer Einsatzgruppe vor Ort war, hatte er das Reizgas nur gezogen, um den Mann zu beruhigen. Als der dann plötzlich "irgendwie eine Bewegung machte", habe er reflexartig den Abzug betätigt. Er habe den noch mehrere Meter entfernten Mann aber nicht getroffen. "Der Sprühstoß ging ins Leere."
Als der Angreifer trotzdem umdrehte und sich davonmachte, sei er wieder in den Wagen gestiegen und weggefahren. Nicht ohne allerdings zuvor seine Kollegen telefonisch und per Whatsapp darauf hinzuweisen, dass zu diesem Vorfall kein Bericht angefertigt werden soll. "Ein Missverständnis", sagt der Angeklagte vor Gericht. Das sei nur für den Moment gemeint gewesen. Zu einem späteren Zeitpunkt sollte darüber selbstverständlich der übliche Tätigkeitsbericht angefertigt werden. Er sei sogar fest davon ausgegangen, dass ein Kollege diesen Bericht geschrieben habe, habe dies aber nicht kontrolliert. "Ein Riesenversäumnis."
Dieses hatte erhebliche Folgen für ihn. Ein Kollege zeigte den Vorfall intern an, Untersuchungen wurden eingeleitet, die Staatsanwaltschaft schaltete sich ein. Vor Gericht ist der Reizgaseinsatz selbst kein großes Thema. Auch wenn das Opfer als Zeuge nicht zur Verfügung steht – von dem Mann fehlt jede Spur –, sehen Staatsanwaltschaft und Richter die Anklage als erwiesen an. Der Einsatz des Pfeffersprays sei nicht gerechtfertigt gewesen. Und erst recht nicht, hinterher einfach wegzufahren.
Deutliche Worte findet der Richter auch für die Geschichte, mit der der 39-Jährige die mutmaßliche Vertuschung zu entkräften versuchte. "Das kann nicht Ihr Ernst sein", so der Richter kopfschüttelnd mit Blick auf die vorliegenden Chatverläufe. "Dieses Rumgeeiere, auch noch nach über drei Jahren, kann ich nicht nachvollziehen."
Am Ende lautet das Urteil sechs Monate auf Bewährung. Die geringstmögliche Strafe für Körperverletzung im Amt. Dass es das Gericht bei der Mindeststrafe belässt, hat auch damit zu tun, dass der Angeklagte längst eine andere Form von Strafe verbüßt: Nach Bekanntwerden des Vorfalls vor drei Jahren wurde er zuerst freigestellt, später dann suspendiert. Die Entscheidung, ob und wie es mit ihm in der Polizei weitergeht, wurde vom Ausgang des Gerichtsverfahrens abhängig gemacht, das letztlich drei Jahre auf sich warten ließ. Wie es ihm mit dieser Situation gehe, fragt der Richter. "Ich leide massiv darunter", antwortet der Angeklagte. Körperlich wie seelisch. "Ich bin inzwischen auch in psychologischer Behandlung."