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Experte zur Arbeitszeitdebatte "In Deutschland wird sehr produktiv gearbeitet"

Peter Bleses, Beschäftigungs-Experte an der Bremer Uni, äußert sich zur Diskussion, ob die Beschäftigten in Deutschland mehr und länger arbeiten sollen.
29.07.2025, 05:00 Uhr
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Von Steffen Peschges

Herr Bleses, im Mai hatte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) gefordert, dass die Deutschen mehr arbeiten sollen, nun legte Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) nach. Sie fordert darüber hinaus, dass die Lebensarbeitszeit verlängert werden soll. Was halten Sie davon?

Man muss differenzieren, wer mehr arbeiten soll und wer mehr arbeiten kann. Eine generelle Forderung nach einer Ausweitung der Arbeitszeit halte ich nicht für angemessen. Wenn man jedoch auf einige Beschäftigtengruppen schaut, kann man schon der Ansicht sein, dass eine Ausweitung der Arbeitszeit nicht nur nötig, sondern sogar erwünscht ist. Aber die haben nicht die Möglichkeit, länger zu arbeiten.

Wer zum Beispiel?

Alleinerziehende und Mütter haben die niedrigsten Erwerbsquoten in Deutschland. Wenn sie arbeiten, arbeiten sie häufig in Teilzeit, oftmals 20 Stunden oder weniger. Etliche Mütter würden gern mehr arbeiten, können es aber nicht, weil die Kinderbetreuung nicht ausreichend gegeben ist.

Was müsste geschehen, um die Situation zu verbessern?

Darüber wird seit Jahren diskutiert: Die Bedingungen für die Kinderbetreuung müssten verbessert werden, es müsste eine generelle Ausweitung der Kita-Plätze geben und eine zeitliche Verbesserung des Angebots. Besonders in den vergangenen Jahren ein Thema: Es sollte keine Schließungen durch Krankheitswellen mehr geben.

Da wir beim Thema Kinderbetreuung sind: Ist das womöglich ein Bereich, in dem aus Belastungsgründen kaum stärker gearbeitet werden kann?

So ist es. Im Bereich Kita kommen körperliche und starke psychische Belastungen zusammen. Dort kann man das Arbeitsvolumen nicht einfach ausdehnen.

Fallen Ihnen weitere Bereiche ein, in denen eine Ausweitung der Arbeitszeit oder der Lebensarbeitszeit nicht ohne Weiteres möglich ist?

Grundsätzlich bei körperlich belastenden Tätigkeiten, zum Beispiel bei Lagerarbeitern, bei Lkw-Fahrern, im Bereich der sozialen Dienstleitungen wie der Pflege, wo zusätzlich noch eine hohe psychische Belastung hinzukommt. Wenn jedoch die Beschäftigungsbedingungen verändert würden, wenn bei körperlichen und psychisch belastenden Tätigkeiten mehr Hilfen zur Verfügung stünden, würden die Menschen vielleicht von sich aus ihre Lebensarbeitszeit und ihre Wochenarbeitszeit verlängern wollen. In der Kita und in der Pflege kennen wir das Phänomen, dass die Leute ihre Arbeitszeit reduzieren, weil sie es nicht aushalten können, länger zu arbeiten.

Im Mai hatte Bundeskanzler Merz gesagt, dass man aufpassen müsse, dass Menschen, die noch leistungsfähig sind und arbeiten wollen, dies auch noch unter vernünftigen Bedingungen können. Tatsächlich gibt es ja weiterhin Arbeitgeber, die Mitarbeiter jenseits der 60 gern loswerden möchten. Ist es also vielleicht nicht nur ein Arbeitnehmer-, sondern auch ein Arbeitgeberproblem?

Historisch gesehen auf jeden Fall, viele Arbeitgeber haben sich sehr gern durch Vorruhestandsregelungen von ihren älteren Beschäftigten getrennt. Sie haben unterstellt, dass die älteren Arbeitnehmer nicht mehr so gut qualifiziert seien. Zwar haben sich die Arbeitslosenquoten in diesem Altersbereich verringert, doch noch heute haben es ältere Beschäftigte schwerer, eine neue Arbeit zu finden. Wenn Innovationen anstehen, werden ältere Beschäftigte nicht immer so mitgenommen, wie man sich das vorstellen könnte. Eine Mitarbeiterin von 55 Jahren hat heute ja noch eine Lebensarbeitszeit von zehn bis zwölf Jahren vor sich. Ich glaube, dieses Entwicklungspotenzial sollten sich Unternehmen vergegenwärtigen.

Nach den Plänen der Bundesregierung soll zum Januar 2026 die Aktivrente eingeführt werden: Wer dann nach dem Beginn des Rentenalters freiwillig weiterarbeitet, soll mehr Netto vom Brutto erhalten. Die Aktivrente soll einen steuerfreien Hinzuverdienst von bis zu 2000 Euro pro Monat ermöglichen. Was halten Sie davon?

Schon in der Vergangenheit wurden ja Regelungen eingeführt, um das Weiterarbeiten nach der Regelarbeitszeit nicht mehr zu bestrafen. Wenn Sie heute den Renteneintritt über die Regelaltersgrenze hinaus verschieben, profitieren Sie, sowohl, was das Rentenniveau anbelangt, als auch, dass sie beim Zuverdienst nicht die Einschränkungen haben, die es früher gab. Jetzt kommt noch die Aktivrente als zusätzliche Idee hinzu. Diese 2000 Euro steuerfrei sind ein zusätzlicher Anreiz. Ich kann darin nichts Schlechtes erkennen, allerdings ist es so, dass das nur für bestimmte Gruppen infrage kommt. Häufig werden das nicht die Gruppen sein, die es finanziell nötig hätten, sondern eher die, die es körperlich noch können und deren Arbeitskraft am Markt noch gefragt ist. Vermutlich werden das eher die Besserverdienenden sein.

Welche Aspekte gilt es beim Thema Arbeitszeit noch zu beachten?

Wenn wir die Arbeitsstunden vergleichen, müssen wir die Produktivität vergleichen. Zehn Stunden Arbeit sind nicht immer das Gleiche. Die Frage ist, welches Ergebnis kommt heraus und wie lange brauche ich, um es zu erzielen. Wir haben in Deutschland eine Wirtschaft, in der nach wie vor sehr produktiv gearbeitet wird. Hier wird für manche Ergebnisse zwar nicht so lange, aber sehr dicht gearbeitet. Immer wenn sehr dicht gearbeitet wird, lässt sich in der Länge die Arbeitszeit nicht stark ausdehnen, damit es keine negativen Effekte gibt.

Ist das ein Loblied auf die oftmals gescholtene Produktivität der deutschen Wirtschaft?

Ich bin mir nicht sicher, ob diese Kritik immer so angemessen ist. Internationale Produktivitätsvergleiche sind natürlich schwierig anzustellen. Doch ich glaube, dass in Deutschland nach wie vor sehr produktiv gearbeitet wird.

Das Gespräch führte Steffen Peschges.

Zur Person

Peter Bleses ist Leiter der Forschungsabteilung "Perspektiven nachhaltiger Beschäftigungsfähigkeit" am Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW) an der Universität Bremen und der Arbeitnehmerkammer.

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