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Bremer Sozialkaufhäuser Gespendete Garderobe wird immer häufiger gestohlen

Für manche sind selbst 50 Cent für ein Kinder-T-Shirt zu viel: Wie Bremens Sozialkaufhäuser mit zunehmenden Diebstählen umgehen.
24.06.2024, 05:00 Uhr
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Gespendete Garderobe wird immer häufiger gestohlen
Von Justus Randt

Wenn die ehrenamtlichen Verkäuferinnen ihre Schicht wechseln, müssen sie erst einmal "die leeren Kleiderbügel rausfischen und nachfüllen". Im "Mixshop" des gemeinnützigen Vereins Oxfam an der Knochenhauerstraße "passieren ganz viele Diebstähle", sagt Shopreferentin Margit Löffler. Und nicht allein in diesem Sozialkaufhaus. "Wir haben hier Sachen für zwei, drei Euro, und auch bei uns häufen sich die Fälle, hier wird sehr viel geklaut", sagt Bettina Kalkes, die Anleiterin und stellvertretende Betriebsleiterin des Kaufhauses Oslebshausen der Gröpelinger Recycling-Initiative (GRI).

Diesen Eindruck bestätigt Simone Lause, die Sprecherin des Caritasverbandes, der das Sozialkaufhaus Klederschnoor betreibt: "Dass mehr Menschen mit ihrem Einkommen nicht auskommen, stellen wir als Caritas durchaus fest." Und das ist nicht nur in Bremen so. Als Shopreferentin von Oxfam auch für die Standorte Oldenburg, Münster und Braunschweig weiß Margit Löffler, dass die Diebstähle dort ebenfalls zunehmen. Auch in weiteren Bundesländern melden Sozialkaufhäuser vermehrt Verluste durch Diebstahl.

"Viele werden erwischt"

"Vieles geht uns durch die Lappen, das hat wirklich überhand genommen", sagt Bettina Kalkes. "Aber viele werden auch erwischt. Gestern erst war jemand hier und wollte vier Teile kaufen – und eines klauen. Da haben wir dann Hausverbot erteilt." Was die Ertappten vorbrächten, lässt für Bettina Kalkes nur einen Schluss zu: "Ich vermute, die meisten haben echt kein Geld mehr."

Das bekräftigt auch die Caritassprecherin. Die Sozialberaterinnen und Sozialberater des Verbandes seien "am Anschlag". In diesem Jahr hätten sich 240 angehende Schulkinder mit Bedürftigkeitsnachweis für ein kostenloses Schulranzen-Set angemeldet. "Der Caritas-Stiftungsfonds Ahoi und die Zeisner-Stiftung konnten aus Spendenmitteln 100 Schulranzen vergeben." Auch die Zahl der Anträge auf finanzielle Unterstützung steige, sagt Simone Lause: Eltern könnten oft den Eigenanteil für die Klassenfahrt des Kindes nicht bezahlen oder die Kosten für die Jugendleiter-Card.

Sozialprojekte sind gefragt

Und die Nachfrage nach den Caritas-Sozialprojekten Wärme auf Rädern, Johannis-Oase, Schnoor-Anbiet und Klederschnoor sei groß. Der Kleiderladen werde von drei Freiwilligen-Teams gemanagt, die "sortieren, gestalten, etikettieren, beraten und verkaufen", sagt Simone Lause. Die Ehrenamtlichen hätten "Kleidung, Preise und Menschen gut im Blick". Schließlich gebe es auch Stammkundschaft. Es werde großer Wert auf die besondere Atmosphäre gelegt, "die zum Teil durch jahrelange Erfahrung und die gute Zusammenarbeit" entstanden sei.

Großen Zusammenhalt gebe es auch im Oxfam-Laden, sagt Margit Löffler. 65 Personen teilten sich den Ladenbetrieb jeweils zu fünft oder zu siebt in zwei Schichten. Diebstähle zu verhindern, sei nicht leicht, auch weil das Angebot so groß sei. "Wir haben schon versucht, etwas umzuräumen, aber der Laden ist mit Gondeln vollgestellt. Es wird sehr, sehr viel geklaut, das wandert dann direkt vom Bügel in die Tasche, überwiegend Kleidung, die wir ab 4,50 Euro anbieten." Den Schaden schätzt Löffler auf durchschnittlich 50 Euro pro Tag. Oftmals würden Ertappte "sehr aggressiv, das habe ich selbst erlebt", berichtet die Shopreferentin.

Umkleidekabinen abgeschafft

In Karlsruhe hat die Diakonie laut Medienberichten in ihren Sozialkaufhäusern nach täglichen Verlusten von mehreren hundert Euro sogar Umkleidekabinen abgeschafft, um Diebstählen vorzubeugen. "Wir haben auch viele, viele Diebstähle, aber so exorbitant ist es nicht", sagt Petra Wulf-Lengner, Koordinatorin und Leiterin der Beschäftigungsprojekte der Inneren Mission. Die betreibt den Kleiderladen Anziehungspunkt in der Bornstraße, die Sozialboutique Bemerkenswert in der Violenstraße und das Kaufhaus Hemelingen sowie die Beschäftigungsprojekte Pro Tach in Bremen-Nord und den Pro Shop an der Hemelinger Bahnhofstraße.

Auch sie haben inzwischen Schilder aufgehängt: "Bitte nur fünf Teile mit in die Kabine nehmen". Große Taschen müssen draußen bleiben, Kinderwagen erst recht, "die sind ideal, um etwas mitzunehmen", haben Wulf-Lengner und ihre Assistentin Gabriele van Sterkenburg festgestellt. Sicherheitsetiketten und Überwachungskameras sind kein Thema in Bremer Sozialkaufhäusern.

Zugang nur für sechs Kunden

Im Bemerkenswert-Laden, wo ein Kinder-T-Shirt 50 Cent koste, hätten sie jüngst einen "besonders dreisten Fall" erlebt, sagt Petra Wulf-Lengner: Eine Frau habe ein Preisschild abgerissen und mit einem mitgebrachten Filzstift den Betrag auf die Hälfte reduziert. "Das haben wir der Dame aber auf den Kopf zu gesagt." Inzwischen sei der Zutritt begrenzt. "Wir vergeben nur noch sechs Einkaufskörbe, bei Regen acht, damit die Leute nicht so lange draußen warten müssen." Der Freitag sei im Anziehungspunkt für Wohnungslose reserviert. "Dann haben sie mehr Ruhe. Der Bedarf ist hoch."

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Diebstahlzahlen haben überall zugenommen

Als Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) im März die polizeiliche Kriminalitätsstatistik für 2023 vorgestellt hat, war von einem "starken Anstieg" der Ladendiebstahlsfälle die Rede: 6513 Fälle gegenüber dem Vorjahr 2022 mit 4533 Fällen. Das habe auch mit dem "Abbau von Bearbeitungsrückständen" bei der Polizei zu tun. Aber nicht nur. Diese Entwicklung dürfte "auch in Zusammenhang mit der Inflation und den damit verbundenen Belastungen von Personen in prekären sozialen Lebenslage in Zusammenhang stehen", so Mäurer. Außer Ladendiebstählen hob er Tankbetrug-Delikte hervor, die sich mit 850 Fällen "mehr als verdoppelt" hätten.

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