Auf Baustellen wird gestohlen, das war schon immer so. Hochwertiges Material oder Werkzeug, das über Nacht schlecht oder gar nicht gesichert gelagert wird, zieht Langfinger an. Doch gerade Großbaustellen trifft es seit einigen Jahren immer heftiger. Gewerbsmäßig agierende Banden rücken mit Transportern, Akku-Flex und Schälmaschinen an und plündern das Areal regelrecht aus. 2019 registrierte die Bremer Polizei 376 besonders schwere Diebstähle an Rohbauten, mehr als doppelt so viele wie im Jahr zuvor. 2020 wurde diese Zahl wohl nur leicht unterschritten, eine genaue Statistik liegt noch nicht vor.
Den Betreibern von Großbaustellen bleibt nur, der Professionalisierung des Diebstahls die Professionalisierung der Abwehrmaßnahmen entgegenzustellen. Deshalb haben Firmen wie Bauwatch Konjunktur. Der Marktführer sicherte in Bremen zuletzt den Umbau des Bürgerschaftsgebäudes. Jetzt hat das Unternehmen mit Sitz in Ratingen (NRW) den Auftrag für das Tabakquartier in Woltmershausen erhalten.
Botschaft mit Presslufthammer-Lautstärke
Den Kern des Abschreckungskonzepts bilden mehrere 6,20 Meter hohe Masten mit an der Spitze montierten Video-Überwachungssystemen, die einen Bereich von rund 100 Metern Durchmesser erfassen. Erkennt die intelligente Analyse-Software Bewegungen, entsteht eine Videosequenz, die an die firmeneigene Leitstelle gesendet wird. Mitarbeiter sprechen die Eindringlinge dann über ein Lautsprechersystem direkt an und fordern sie auf, den Bereich zu verlassen – die Botschaft kommt mit 120 Dezibel, der Lautstärke eines Presslufthammers. Sie soll erschrecken, und in den meisten Fällen tut sie das auch. Aktuell hat Bauwatch deutschlandweit rund 2000 mobile Video-Überwachungsblocks im Einsatz. Stückpreis: rund 20.000 Euro. Im Januar wurden durch die Systeme laut Vertriebsmitarbeiter Thorsten Rabe knapp 1700 Unbefugte von Baustellen vertrieben, in 65 Fällen kam es zu Festnahmen mutmaßlicher Diebe durch die alarmierte Polizei. Darunter waren auch drei Bremer Täter, die sich an der Baustelle des Kontorhauses am Wall zu schaffen gemacht hatten.

Vertriebsmitarbeiter Thorsten Rabe.
Was Rabe von ungesicherten Baustellen berichtet, deckt sich mit den Erkenntnissen der Polizei. Die gewerbsmäßigen Baustellenplünderer wissen genau, was sie suchen. „Begehrte Beute sind Starkstromkabel für Baukräne, die über einen hohen Anteil von hochwertigem Kupfer verfügen und ertragserbringend sind“, weiß Behördensprecher Nils Matthiesen. Auch Kupferrohre, die im Heizungsbau zum Einsatz kommen, seien gefragt.
In den vergangenen Wochen hat die Polizei im Bremer Raum zudem eine neue Art der Tatausführung registriert: Mit schwerem Gerät schneiden die Diebe die Seitenwände von Baucontainern auf, in denen teures Werkzeug gelagert ist. „In Arsten haben Profis vor zwei Jahren mal das gesamte Stromnetz einer größeren Baustelle abgeräumt“, ergänzt Thorsten Rabe. Folgt man seinen Schilderungen, dann gehen die Täter immer dreister vor. So hätten Berufskriminelle vor einiger Zeit eine Großbaustelle in der Nähe von Osnabrück abgeräumt, obwohl diese nur 50 Meter von einem 24-Stunden-Gewerbebetrieb entfernt war, von dem aus das Treiben jederzeit hätte entdeckt werden können. Bestimmte Beute scheint regelrecht Konjunktur zu haben. Rabe: „Man kann an der Entwicklung des Dieselpreises erkennen, wie viel Kraftstoff wohl in nächster Zeit wegkommt.“
Aktuell hat Bauwatch in Bremen neben dem Tabakquartier noch einige weitere Kunden, die durch technische Aufrüstung verhindern möchten, dass ihre Baustellen in ähnlicher Weise gefleddert werden. Die Ratinger überwachen beispielsweise die Baustelle der Klärschlammverbrennungsanlage in Oslebshausen, für die städtische Liegenschaftsverwaltung Immobilien Bremen außerdem diverse Schul-Rohbauten, unter anderem an der Hermannsburg in Huchting.
Manchmal kommt es offenbar auch vor, dass die Überwachungselektronik unverhofften „Beifang“ liefert. So werden die Betreiber eines Oldenburger Altenheims der Firma Bauwatch wohl dauerhaft dankbar sein. Im Januar hatte sich ein leicht verwirrter Bewohner der Einrichtung mit seinem Rollator verlaufen und war schließlich gegen 5 Uhr morgens auf eine der von Bauwatch überwachten Baustellen geraten. Der Alarm löste aus, und das Personal in der Leitstelle erkannte recht schnell, dass man es nicht mit einem Langfinger zu tun hatte. Die Mitarbeiter verständigten die Polizei, die den durchgefrorenen Senior zurück auf sein warmes Zimmer brachten.
Was die Polizei rät
Eine Baustelle sollte mit einem hohen Sichtschutzzaun umgeben sein. Empfohlen wird, das Gelände nachts ausreichend zu beleuchten und mit Bewegungsmeldern zu versehen. „Eine Videoüberwachung hat abschreckende Wirkung und hilft der Polizei bei der Täterverfolgung“, sagt Behördensprecher Nils Matthiesen. Keinesfalls sollten hochwertige Gegenstände ungesichert auf der Baustelle herumliegen. Container und Büros/Lagerräume sollten zusätzlich gesichert werden. Eine Markierung von Ausrüstung oder Material mit künstlicher DNA wird ebenfalls empfohlen. Für eine individuelle Beratung steht das Präventionszentrum der Bremer Polizei am Wall, Telefon 362-19003, zur Verfügung.