Die Bremer Beratungsstelle Komfort hilft Rollstuhlfahrern bei der Suche nach geeignetem Wohnraum. Denn barrierefrei bedeutet nicht gleich rollstuhlgerecht. Die Suche gestaltet sich oft langwierig.
Diese Wohnung ist anders. Das fällt schon auf, bevor man sie betreten hat. Die Eingangstür öffnet und schließt sich automatisch. Sie ist auch breiter als normal: „Ein Meter statt 80 Zentimeter“. Wolfgang Schnakenberg kennt die Maße aus dem Effeff. Die Besonderen wie die Herkömmlichen. Der Mann ist auf die zusätzlichen Zentimeter angewiesen. Auf sie und seinen Rollstuhl. Schnakenberg hat eine Wohnung, die nicht bloß barrierefrei, sondern rollstuhlgerecht ist – und die auch andere Bremer bräuchten, aber nicht bekommen können.
Alles in der Wohnung an der Alten Hafenstraße in Vegesack hat spezielle Maße: Durchgänge sind breiter, Fenster tiefer. Und jeder Raum bietet so viel Platz, dass Wolfgang Schnakenberg jederzeit mit dem Rollstuhl die Richtung ändern kann, ohne anzuecken. In der Küche fehlen Unterschränke, damit seine Beine unter die Arbeitsplatte passen. Auch in einer barrierefreien Wohnung gibt es große Räume. Nur sind die Mindestabstände eben noch größer, wenn es ums rollstuhltaugliche Wohnen geht.
Viele suchen seit Jahren
Meike Austermann-Frenz kennt die unterschiedlichen Maße ebenso wie Wolfgang Schnakenberg. Sie weiß, dass bei barrierefreien Immobilien die Zimmertüren 80 Zentimeter und bei rollstuhlgerechten 90 bis 100 Zentimeter breit sein müssen. Und dass der Abstand zu Möbeln etwa im Bad nicht 1,20 Meter, sondern 1,50 Meter beträgt. Die Frau ist Ingenieurin und Planerin. Sie leitet die Bremer Beratungsstelle Komfort, die Menschen hilft, barrierefrei zu bauen, aber auch Wohnungen zu finden, die rollstuhltauglich sind. Was nicht immer einfach ist.
Austermann-Frenz erzählt von Frauen und Männern, die seit Jahren suchen – und ebenso lange in „unhaltbaren Zuständen“ leben. Von einer Rollstuhlfahrerin, die sich mit ihrem Sohn eine Zwei-Zimmer-Wohnung teilt und statt im Bett auf dem Sofa schläft. Von Gehbehinderten, die quasi in ihren vier Wänden gefangen sind, weil es nur eine Treppe, aber keinen Fahrstuhl im Haus gibt. Die Beratungsstelle ist kein Maklerbüro. Dennoch hat sie im vergangenen Jahr sieben Menschen eine rollstuhlgerechte Wohnung vermittelt. Bis vor Kurzem standen 21 Personen auf ihrer Warteliste.
Jetzt sind es 22. Matthias Torger ist dazugekommen. Der Mann aus Burgdamm sagt, dass er einfach nicht mehr weiterwusste. Dass er vor zwei Jahren angefangen hat, eine barrierefreie Wohnung zu suchen. Damals konnte er noch mit dem Rollator gehen. Mittlerweile sitzt er im Rollstuhl. Vor zehn Jahren diagnostizierten Ärzte beim ihm Multiple Sklerose. Torger wohnt in einem Reihenhaus mit vielen Treppen. Er kann es nur verlassen, wenn ihm jemand hilft. In der vergangenen Woche war er ein Mal draußen: „Ich sitze hier buchstäblich fest.“
Torger, 67, drei Kinder, hat Bekannte und Freunde gefragt, in Zeitungen und im Internet gesucht, aber weder eine barrierefreie noch eine rollstuhltaugliche Wohnung gefunden. Jedenfalls nicht im Bremer Norden und keine, die er sich hätte leisten können. Einmal ist ihm von einem Immobilienunternehmen eine barrierefreie Wohnung angeboten worden. Er sollte 800 Euro Kaltmiete für sie bezahlen. Doch so viel Geld hat der Nordbremer nicht. Torger bekommt Grundsicherung. Er ist auf finanzielle Hilfe der Sozialbehörde angewiesen.
Kosten sind Problem
Der Mann aus Burgdamm ist nicht der Einzige, der Schwierigkeiten hat, für eine rollstuhltaugliche Wohnung aufzukommen. Die Ämter wissen das. Vor einem Monat hat sich der Landesbehindertenbeauftragte mit dem Jobcenter und anderen staatlichen Stellen getroffen. Joachim Steinbrück hat mit ihnen darüber gesprochen, warum immer wieder Anträge für Zuschüsse abgelehnt werden. Auch Meike Austermann-Frenz von Komfort war dabei. Vor sechs Jahren ist die Beratungsstelle von der Baubehörde beauftragt worden, Menschen zu unterstützen, die rollstuhlgerechten Wohnraum brauchen. Komfort gibt es mehr als doppelt so lange.
Dass viele Rollstuhlfahrer nichts finden, was sie auch bezahlen können, ist für Austermann-Frenz das eine Problem. Das andere ist, dass es zu wenige Wohnungen gibt, die so sind wie die von Wolfgang Schnakenberg aus Vegesack. Die Ingenieurin kann nicht sagen, wie viele in Bremen fehlen. Sie geht aber fest davon aus, dass mehr Menschen auf der Suche sind als die 22, die Komfort momentan betreut. Vor Jahren, als es noch Wohnberatungsstellen gab, standen mehr als 200 Personen auf Wartelisten. Die Behörde strukturierte sich damals um. Die Vermittlerarbeit wurde eingestellt.
Jetzt gibt es zumindest wieder den Verein Komfort. Der ist jedoch keineswegs so bekannt, wie es der Landesbehindertenbeauftragte gerne hätte. Deshalb kümmert sich die Beratungsstelle auch nicht um mehrere Hundert Menschen. Worüber Austermann-Frenz im Grunde froh ist, weil ihr Team das nicht leisten könnte. Mit ihr arbeiten vier Kolleginnen, alle nebenberuflich: „Wir machen, was wir können.“
Bremen will mehr machen
Bremen will jetzt mehr machen. Um zusätzlichen Wohnraum für Rollstuhlfahrer zu schaffen, soll es eine Quote geben: Jede achte barrierefreie Wohnung muss auch mit dem Rollstuhl nutzbar sein. So steht es in einem Entwurf für eine Novelle der Landesbauordnung. Im Sommer soll sie kommen. Behindertenverbände fordern sie seit Jahren. Austermann-Frenz ist jedoch skeptisch. Zum einen, weil die Regelung nur bei bestimmten Bauten gelten soll. Zum anderen, weil die Behörde gar nicht weiß, wie viele rollstuhlgerechte Wohnungen es eigentlich gibt: „Der Quote fehlt die Grundlage.“
Auch andere Bundesländer und Städte haben keine genauen Zahlen. Ihre Prognosen, wie viele Wohnungen rollstuhltauglich sein müssten, sind deshalb vage. Konkreter wird dagegen die Studie „Wohnen im Alter“, jedenfalls bei barrierefreiem Wohnraum. Die Autoren haben erfragt, wie viele Wohneinheiten dieser Art es bundesweit gibt: 570 000. Und wie viele Menschen in Deutschland auf einen Rollstuhl angewiesen sind: 1,9 Millionen. Das heißt unterm Strich, dass für die Hälfte von ihnen ein angemessener Wohnraum fehlt. Der Haken bei der Studie: Die Zahlen sind sechs Jahre alt.