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Erster Wrestlingkampf Bis aufs Blut

Der ehemalige Wrestler Dennis „Chainz“ Broszinski hat für seine Karriere einen hohen Preis bezahlt. Warum im ersten Kampf des Bremers eine Käsereibe eine wichtige Rolle spielte.
22.07.2019, 13:59 Uhr
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Bis aufs Blut
Von Helge Hommers

Sieben Jahre war ich alt und wusste nicht, was mich erwartete, als mich mein Onkel zum „Euro Catch Festival“ in die Bremer Stadthalle mitnahm. 10 000 Menschen waren da, es war mega laut und Starwrestler war: „André the Giant“, 245 Kilogramm schwer und 2,13 Meter hoch. Noch heute erzählt mein Onkel immer mal wieder, wie ich damals zum Ring zeigte und zu ihm sagte: „Ich will auch so einer werden, ich will Wrestler sein.“

Heute gibt es dafür Wrestlingschulen. Vor 20 Jahren war das anders, da suchte man sich einen Profi, der einen ausbildet. Ich fand Viktor Krüger, der lebte in der Nähe von Wien. Mit 20 Mark in der Tasche bin ich zu ihm getrampt. Bei Krüger lernte ich die Basics: Griffabfolgen, Griffkonter, die Fallschule. Und natürlich die Etikette: Wenn ein Wrestler dir die Hand gibt, dann drückt er nicht. Wer drückt, der will dir Böses. Wer dich weich anfasst, der schützt dich.

Jeden Morgen musste ich 1000 Kniebeugen machen, bis zum Erbrechen – im wahrsten Sinne des Wortes. Das harte Training war aber notwendig, denn Kondition ist beim Wrestling das A und O. Ich schlief auf Matten, ernährte mich von Dosenthunfisch. Das Geld, um die Ausbildung zu bezahlen, habe ich durch Rasenmähen, Einkaufstüten schleppen und Hallenfegen verdient.

Nach zwei Monaten sagte Krüger, dass ich bereit wäre. Also sprach ich nach einer Show Christian Städter an, der in Visselhövede im Dorfgemeinschaftshaus Wittorf die jährliche Harley-Night organisierte. Da traten bekannte Wrestler aus Deutschland und sogar aus den USA an – und eben auch absolute Anfänger. Ich erzählte Städter, wer ich bin, was ich vorhatte und sagte ihm, dass als Gage ein Bierchen reichen würde. Schon war ich dabei.

Mit einem Freund – ebenfalls Neuling – sollte ich den Eröffnungskampf bestreiten. Wir hatten einen Plan, wollten unsere Choreografie aber nicht einfach herunterspulen. Wir wussten, dass wir eine Erwartungshaltung beim Publikum aufbauen, aber auch mit ihr brechen mussten, um den Aha-Moment zu erzeugen.

Ich war der Heel, der Bösewicht, mein Kumpel das Babyface, der Gute. Die Ansage war: Hardcorematch, ein Kampf ohne Regeln, und ein bisschen Farbe – sprich: Blut – wäre nicht schlecht. 320 Leute waren da, ich war tierisch nervös. Lampenfieber war nicht das Problem, ich war einfach nur wahnsinnig aufgeregt. Mein Kumpel und ich wünschten uns ein „Stay safe“ (auf Deutsch: Pass auf dich auf) und stießen mit den Fäusten an; ich entschuldigte mich für die Schmerzen, die ich ihm zufügen würde.

Als ich in den Ring stieg, bekam ich ein Mikro, um den Ärger des Publikums auf mich zu ziehen. „Ich hab schon in miesen Gegenden gekämpft, aber die hier ist echt zum Kotzen“, tönte ich. Die Menge buhte. Dann ging es los. Ich trug eine Latzhose – in weiß, damit das Publikum das Blut besser sah –, die mir bei einem der ersten Griffe riss. Gut, dass ich Unterwäsche anhatte.

Schnell drückte ich meinen Gegner auf den Boden, zog ihn aber wieder hoch und brüllte: „Das war es schon? Schickt mir wen anders, ich hol mir ein Bier.“ Ich ging zum Tresen, orderte ein Pils beim verdatterten Wirt und bekam eine Faust in den Nacken – der Kampf ging weiter. Mein Gegenüber griff sich eine drapierte Käsereibe, nahm mich in den Schwitzkasten und setzte sie an meinen Kopf. Er beugte sich über mich, während ich mir mit einer Rasierklinge, die ich unter dem Handgelenktape versteckt hatte, in die Stirn schnitt. Das Blut spritzte, ein Schleier legte sich vor mein Gesicht. Am Ende, nach etwa zehn Minuten, habe ich aber gewonnen, indem ich meinem Kumpel Handschellen anlegte und ihm eine Bodenfliese im Gesicht zerbrach – was richtig geknallt hat.

Manche Leute, auch Journalisten, behaupten, dass ein Wrestlingkampf „Fake“ ist, ein Schwindel. Das stimmt aber nicht. Natürlich ist abgesprochen, wer gewinnt, wer welche Rolle einnimmt und wie der Kampf ungefähr abläuft, vieles ist jedoch improvisiert. Und dass wir uns nicht wehtun, ist Quatsch. Wir brechen uns gegenseitig nicht die Zähne und auch nicht die Knochen, aber bis dahin ist alles erlaubt. Wir wollen mit aller Macht eine gute Show abliefern, tun uns für die Fans gegenseitig weh. Gehirnerschütterungen, Rippenbrüche, sich den Ellenbogen auskugeln: das kommt vor. Einmal habe ich mir das Genick gebrochen. Da bin ich dem Tod so gerade eben von der Schippe gesprungen, weil ich eine Armee von Schutzengeln hatte.

Trotz alledem war ich etwa 15 Jahre lang Wrestler. Das liegt am „Wrestling-Bug“ (auf Deutsch: Wrestling-Käfer): Wenn du den einmal in dir hast, dann spürst du ihn kribbeln, für ewig. So ist es auch heute noch, obwohl ich nicht mehr kämpfe. Aufgehört habe ich für meine Familie. Meine Frau und ich wollten ein Kind haben, ich musste mich zwischen Familie und Wrestling entscheiden. Die Zeit danach war nicht einfach, ich habe schwere Depressionen gehabt. Liveshows sehe ich mir nicht mehr an, weil ich weiß: Allein wenn ich den Ring rieche, will ich da hinein. Kämpfe im Fernsehen schauen und über die alte Zeit reden, das geht aber.

Der Preis für die Karriere, die ich genossen habe, war hoch. Ich war abhängig von Schmerzmitteln und musste einen Entzug machen, ich kann nicht mehr rennen und werde mein Leben lang Schmerzen in der Hüfte haben. Aber das war es wert. Wer kann schon behaupten, dass er seinen Kindheitstraum wahr gemacht hat?

Aufgezeichnet von Helge Hommers.

Zur Person

Zur Person

Dennis Broszinski

ist in Bremen geboren und verdient sein Geld als Sicherheitsmitarbeiter. Der ausgebildete Einzelhandelskaufmann bestritt 427 Wrestlingkämpfe und gewann sieben Titel. Seine Kampfnamen waren unter anderem „Chainz“ und „Bruiser“. Heute lebt der 39-Jährige mit seiner Frau und seinem Sohn in Osterholz.

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