Dirk Engels kommt gerade von einer Patientin, die sich über den 112-Notruf in der Leitstelle der Bremer Feuerwehr und des Rettungsdienstes gemeldet hat. "Die Frau hat berichtet, dass sie unter Schwindel leidet. Weil sie bei ihrem Hausarzt telefonisch nicht durchgekommen ist, hat sie den Notruf gewählt. Aus Sorge, dass sich ihr Zustand verschlechtert", berichtet der Notfallsanitäter. Engels ist an diesem Tag als Hanse-Sani im Einsatz. Die Abkürzung steht für Hanse-Sanitäter – eine Funktion, die den Rettungsdienst der Stadt Bremen seit etwas mehr als zweieinhalb Jahren ergänzt. Das Ziel ist, unnötige Krankenhaustransporte zu verhindern, den Rettungsdienst und die Notaufnahmen zu entlasten.
Bundesweit stehen die Rettungsdienste unter Druck: Auch in Bremen steigt die Zahl der Einsätze seit Jahren. Ein zunehmender Anteil entfällt auf solche, die keinen sogenannten Blaulicht-Einsatz erforderlich machen und bei denen der Faktor Zeit als nicht kritisch bewertet wird. Dennoch benötigen die Anrufer, die sich über die 112 melden, Hilfe wegen eines gesundheitlichen Problems. Die FDP-Fraktion fordert deshalb eine Ausweitung des Hanse-Sanis als Ergänzung zum Rettungsdienst. Ein Antrag sei in Vorbereitung, sagt Fraktionssprecher Tim Abitzsch dem WESER-KURIER.
Was ist der Hanse-Sani?
Das Konzept orientiert sich an den Gemeindenotfallsanitätern, wie es sie in einigen ländlichen Regionen gibt. Ende März 2020 ist der Hansi-Sani als Modellprojekt im Bremer Stadtgebiet gestartet. 16 Notfallsanitäterinnen und -sanitäter gehören aktuell zum Team. Sie sind bei der Feuerwehr, dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) sowie dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) tätig und übernehmen wechselweise Dienste. Für den Hansi-Sani haben Engels und seine Kolleginnen und Kollegen eine dreimonatige Weiterqualifizierung absolviert, inklusive Praktika bei Haus- und Fachärzten, beim ärztlichen Bereitschaftsdienst und bei den sozialpsychiatrischen Notdiensten.
In welchen Fällen wird der Hanse-Sani alarmiert und wie sieht die Versorgung bei den Patienten aus?
"Der Hanse-Sani kommt, wenn sich aus der Notrufabfrage eine unklare Notfallsituation ohne unmittelbare Lebensgefahr ergibt und fraglich ist, ob ein Transport in ein Krankenhaus erforderlich ist", beschreibt Marlon Konertz aus der Innenbehörde das Konzept. Sehr häufig seien dies Patienten, die nicht weiter wüssten mit ihren Beschwerden, keine andere Anlaufstelle hätten, oftmals auch allein und orientierungslos seien, ältere Menschen etwa. In ihrer Not wählten sie die 112, berichtet Engels. "Ich finde es wirklich sinnvoll, diesen Menschen Hilfe anzubieten, ihnen etwas an die Hand geben zu können", ergänzt Thorsten Klug. Seit 24 Jahren ist er im Rettungsdienst bei der Feuerwehr, seit Anfang dieses Jahres immer wieder im Einsatz für den Hanse-Sani.
Die Notfallsanitäter fragen nach Symptomen, Medikamenten und Vorerkrankungen. Sie messen Werte, leisten Erstversorgung vor Ort und geben Empfehlungen zur weiteren Behandlung. Das Hanse-Sani-Fahrzeug ist voll ausgestattet. Jederzeit können die speziell ausgebildeten Notfallsanitäter per Telemedizin einen Arzt oder eine Ärztin dazu schalten – oder ein Rettungsfahrzeug anfordern, sollte doch ein Kliniktransport erforderlich sein. Wie etwa bei der Patientin mit Schwindel: "Bei ihr hat sich herausgestellt, dass der Blutdruck deutlich zu hoch war, damit ist nicht zu spaßen", betont Engels.
Wie viele Einsätze übernehmen die Hanse-Sanis?
"Bis zum 30. September sind in diesem Jahr 2197 Einsätze durch den Hanse-Sani bewältigt worden, im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 816", sagt Konertz. "In der Spitze wurden bei Rund-um-die-Uhr-Diensten zwischen sieben und 19 Einsätze am Tag gefahren. 70 Prozent der Patienten konnten ambulant versorgt beziehungsweise durch Weiterleitungen im ambulanten Sektor behalten werden." Die Auswertung zeige, dass der Hanse-Sani den Rettungsdienst sehr sinnvoll ergänze, Ressourcen schone und Notfallsanitätern und -sanitäterinnen eine interessante Erweiterung ihres Berufs geboten werde.
Wird es angesichts der steigenden Einsatzzahlen eine Ausweitung des Hanse-Sanis geben?
Ab 1. Dezember soll laut Konertz ein zweites Hanse-Sani-Fahrzeug in Betrieb gehen. "Beide werden dann an Werktagen von jeweils 7 bis 21 Uhr im Einsatz sein." Bisher war das einzige Fahrzeug teilweise auch im Rund-um-die-Uhr-Einsatz. Im Januar beginne zudem ein weiterer Lehrgang für die zusätzliche Qualifikation. "Der Projektstatus läuft zunächst bis zum 31. Oktober 2024. Eine Erweiterung wäre sicher ein probates Mittel", betont Konertz. Das fordert auch die FDP-Fraktion: "Die Gesundheitsversorgung wäre damit so nahe bei den Menschen und bringt die Hilfe zielgenau dorthin, wo sie gebraucht wird, denn der Hanse-Sani entlastet die Notaufnahmen und verhindert immerhin zu 70 Prozent der Klinikaufenthalte. Eine Erweiterung der Hanse-Sani-Flotte wäre sinnvoll", sagt die FDP-Abgeordnete Birgit Bergmann.