Kaum ist der November angebrochen, steht das 0421-Land unversehens vor einer existenziell-kulinarischen Frage: Wann kommt das erste Mal Grünkohl (für alle Bremer Traditionalisten: Braunkohl) auf den Tisch? In meiner Kindheit gab es dafür ein Fixdatum: Buß- und Bettag. Das war bis 1995 praktischerweise auch noch ein Feiertag, der dann aber der Finanzierung der Pflegeversicherung zum Opfer fiel. Immerhin sind wir ohnehin feiertagsarmen Norddeutschen dafür 2018 mit dem Reformationstag entschädigt worden, wenngleich den eine zunehmende Zahl von Menschen für Halloween hält. Doch das ist eine andere Geschichte.
Also zurück zum Grünkohl. Der Buß- und Bettag – um der Informationspflicht nachzukommen: dieses Jahr am 22. November – bot sich auch deshalb für den Start der Kohlsaison an, weil das Gemüse erst dann schmeckt, wenn es richtig Frost bekommen hat. Und dass es vor einem Mittwoch Ende November schon mal gefroren hatte, darauf war vor dem Klimawandel Verlass. Und jetzt? Musste ich in unserer geschätzten Qualitätszeitung bereits im Oktober lesen, dass der erste Grünkohl des Jahres 2023 geerntet ist. Frostfrei! Angeblich gibt es neue Kohlsorten, die stattdessen nur kühle Temperaturen benötigen, damit Geschmack an die Sache kommt. Ich bin da mal skeptisch.
Das gebietet allein schon dieser Sonnabend, der als Nationaler Skeptikertag im Kalender steht. Das zugegebenermaßen in den USA, aber da will ich gar nicht kleinlich sein – sonst könnte ich auch gleich diese Halloween-Sache infrage stellen. Also bin ich heute ein pflichtgemäßer Skeptiker, der auch nicht einfach so hinnimmt, dass Bremen offenbar sehr beliebt ist. Zum Beispiel da, wo sich die Menschen mit dem Hinweis verstören lassen, dass zum Grünkohl etwas namens Pinkel gehört: Die Rede ist vom Süddeutschen, in diesem Fall Nürnberg.
Am dortigen Flughafen hat der Franconia Air Service, bisher spezialisiert auf Charterflüge mit Privatjets, diese Woche angekündigt, nun auch regelmäßige Linienverbindungen anzubieten. Nach Mönchengladbach, Hamburg und eben Bremen, das mit vier Flugtagen pro Woche sogar der Spitzenreiter des Städtetrios ist. Das sei eine, Zitat, „interessante Alternative zu Auto und Bahn für Geschäftsreisende“. Aha. Das lassen wir jetzt mal in Ruhe sacken. Um dann ziemlich bald zu fragen: Kleinflugzeuge im Pendelbetrieb zur Überwindung von 432,44 Kilometern Luftlinie zwischen zwei Weltmetropolen? Echt jetzt? Als gelegentlicher Fleischesser, der öfter auch am Steuer eines Autos zu beobachten ist, bin ich absolut nicht frei von Klimasünde – aber im Vergleich zu diesem Nürnberg-Bremen-Gejette ein Heiliger. Und der hat jetzt immerhin verstanden, weshalb es inzwischen Grünkohlsorten braucht, die keinen Frost mehr benötigen. Guten Appetit!
- Tagebucheintrag: An alle Halloween-Gruselgestalten, die am – jawohl! - Reformationstag Süßes bei mir an der Tür abgestaubt haben: Wenn ich nächstes Jahr jemanden dabei erwische, dass er das Bonschenpapier gleich im Vorgarten entsorgt, dann gibt es Saures.