Bei der Mut-Tour sind Sie mit Tandem- und Wanderteams deutschlandweit unterwegs für mehr Offenheit im Umgang mit Depression. Woran merken Sie, dass es noch mehr Aufmerksamkeit für das Thema braucht?
Zum Beispiel, wenn wir Unternehmen fragen: Können wir mit euch etwas im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements machen? Viele sagen dann, sie möchten lieber nur Geld spenden, am besten anonym und nicht in Verbindung mit dem Hashtag "psychische Erkrankung". Und einige Menschen haben Sorge, dass es berufliche Nachteile für sie hat, was ja vielleicht auch stimmt. Also bin ich als Projektleiter zwiegespalten, wenn sich junge Menschen auf Kennenlernwochenenden präsentieren und mit 22 sagen: Ich will doch nicht irgendwo arbeiten, wo ich mit meiner Depressionserfahrung nicht anerkannt werde, also kann ich auch dazu stehen. Dann sage ich: Mach doch erst mal ein Jahr anonym bei uns mit. Auf der anderen Seite wirkt jeder, der entspannt mit dem Thema umgeht, auf die Gesellschaft ein. Wenn wir nicht darüber sprechen, werden Menschen mit Depressionen stigmatisiert. Das hat jemand auf einer Mut-Tour schön gesagt: Stigmatisierung wirkt wie eine zweite Erkrankung. Das hindert mich daran, gute Sachen zu machen oder mir zuzugestehen, dass ich Hilfe brauche. So verpasst der erkrankte Mensch viele Heilungschancen und das ist ein Drama.
Sie haben die Mut-Touren initiiert und waren immer als Tourenleiter dabei. Was macht das mit den Menschen?
Für uns Mitarbeitende sind die Kennenlerntreffen jedes Jahr in der Nähe von Kassel wie ein Kondensat der Mut-Tour. Viele Teilnehmer sagen: So wünsche ich mir meine Familie – als einen Ort, wo ich hinkommen kann, ohne mich verstellen zu müssen, suggestive Fragen zu kriegen, bagatellisierende Sprüche zu kassieren oder vorverurteilt zu werden. Es kommen Leute aus ganz unterschiedlichen Hintergründen. Je belastender die Verhältnisse sind, aus denen sie kommen, desto mehr sieht man sie aufblühen. Es ist beeindruckend und bewegend, wie offen die Menschen sind, was sie von sich preisgeben, wie verletzlich sie sich zeigen. Man hat das Gefühl, dass da viel Wohlwollen ist und man einander weitergebracht hat.
Wie kann man die Mut-Tour vor Ort unterstützen?
Wir haben am 10.6. ab 10 Uhr auf dem Marktplatz unseren Aktionstag in Bremen. Am Freitag sind wir mit dem zweiten Tandem-Team angekommen und ich starte von Bremen nach Kiel mit dem dritten Tandem-Team. Für die Etappen bei der Mut-Tour suchen wir jedes Jahr aufs Neue Teilnehmer. Den Aktionstag organisiert unsere neue Partnerin, die Bremer Werkgemeinschaft, unterstützt werden wir von der Stiftung Dr. Heines und der SV Werder Bremen Stiftung. Es wird Redebeiträge und Musik geben und ich werde mit dem Team auf unsere Mini-Bühne kommen. Wir haben Infostände und es gibt eine Mitfahraktion ab 11.30 Uhr. Präsenz zu zeigen hilft uns, ein Zeichen zu setzen. Auch bei der Mut-Gruppe, die zweimal im Monat im Bürgerpark spazieren geht – die älteste und erfolgreichste Deutschlands –, können noch Menschen mitmachen. Unser Verein "Mut fördern" freut sich außerdem über Mitglieder, die uns mit ein bis zwei Euro im Monat unterstützen.