Frau Seifert, angenommen, ich sitze nachts in der Straßenbahn und plötzlich beginnen sich zwei Fahrgäste zu prügeln – wie verhalte ich mich?
Maike Seifert: Ich sollte nach Möglichkeit schnell die Polizei rufen oder den Fahrer. In der Straßenbahn gibt es kleine, graue Kästen, die in der Nähe der Türen angebracht sind. Das sind Sprechkästen, worüber man den Fahrer benachrichtigen kann. Sie sollten sich auf keinen Fall selbst in Gefahr bringen. Wenn andere Fahrgäste da sind, können Sie die auch animieren: "Rufen Sie die Polizei!", "Helfen Sie mir!"
Was ist, wenn ich selbst bedroht werde?
Auch dann nach Möglichkeit Hilfe holen. Es ist wichtig, sich aus der Situation rauszuziehen. Man sollte sich nicht körperlich wehren, weil dann reagiert unser Gegenüber und wird vielleicht auch körperlich. Das Beste ist immer der Rückzug. Das ist nicht feige, sondern sehr clever.
Das heißt, Wegrennen ist eine Option...
...Wegrennen ist die beste Option.
Nun könnte bei vielen Menschen der erste Affekt aber auch sein, zu reden. Was sind die Fallstricke?
Dass man doch beleidigend wird oder den Täter auf seine Tat anspricht. Was soll der Täter dann machen? Natürlich verteidigt der sich oder wird dann aggressiver. Man sollte versuchen, wertschätzend und neutral zu kommunizieren.
Hilft Pfefferspray?
Von Pfefferspray raten wir ab. Waffen ziehen andere Waffen. Ich benutze Pfefferspray, der andere hat ein Messer und dann schaukelt sich die Gewalt hoch. Wir empfehlen eher, mit Schreien auf sich aufmerksam zu machen: "Lassen Sie mich in Ruhe!" Dabei ist das Wort "Sie" sehr wichtig, damit andere erkennen, das ist kein Streit zwischen Freunden. Eine Trillerpfeife oder ein kleines Gerät mit Schrillalarm können helfen, den anderen aus seiner Tat herauszubringen und abzulenken. Vielleicht habe ich dann die Möglichkeit wegzurennen. Mit Waffen oder Gewalt bewegt man den Täter zum Handeln – und das wollen wir ja nicht.
Angenommen ich werde angegriffen und habe keine Chance mehr wegzulaufen. Was sollte ich dann tun?
Natürlich gibt es die Notwehr, die wir anwenden dürfen. Wir dürfen uns wehren, das ist dann nicht strafbar. Aber man muss auch immer die Verhältnismäßigkeit sehen. Ich sollte niemanden niederknüppeln, weil er mich beleidigt hat. Natürlich muss man sich wehren, wenn man angegriffen wird.
Wie kann man anderen Menschen helfen, die belästigt werden?
Möglichst nicht den Täter ansprechen, weil dieser natürlich sagen wird: Das geht dich nichts an. Sondern versuchen, das Opfer anzusprechen. Gerne auch mit einer Legende: Ich bin neu in Bremen und würde gerne einkaufen gehen, wo kann man denn hingehen? Können Sie mir helfen? Wichtig ist, ein Gespräch mit dem Opfer aufzubauen, sodass der Täter dann außen vor ist und gleich weiß, jetzt sind die zu zweit. Also wenn möglich, den Täter ausgrenzen.
Wenn ich dann die Polizei rufe und diese mit möglichst vielen Informationen versorgen möchte, worauf sollte ich achten?
Personenbeschreibungen sind generell sehr schwierig. Vor allem weil die schnell wieder aus unserem Gedächtnis sind. Deswegen hilft es, wenn man sich Notizen macht. Das Geschlecht ist gut. Bei der Körpergröße empfiehlt sich immer, zu sagen: Der war einen Kopf größer als ich, oder der ist durch die Tür gegangen. Schön ist, wenn man sich die Schuhe anguckt, weil die auf der Flucht von den Tätern nicht gewechselt werden.
Wie viel Misstrauen ist denn eigentlich hilfreich?
Wir sollten uns in unserem Leben nicht einschränken lassen, denn sonst haben die Täter ja gewonnen – und das wäre schade. Wir sollten natürlich mit offenen Augen durch die Welt gehen und auch mal gucken, wo könnten denn gefährliche Situationen sein. Das heißt: Am Hauptbahnhof sind viele Menschen – und da sind automatisch auch Täter. Dort muss ich mein Handy nicht locker in der Hand halten und kann es in die Tasche stecken. Es wäre aber wirklich schade, wenn man jetzt nur noch von Angst beherrscht wird; und so ist es in Bremen ja auch nicht.