Es gebe in diesem Prozess durchaus eine Reihe mildernder Faktoren für den Angeklagten, sagt der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung. Sein umfassendes Geständnis und seine Bemühungen um Wiedergutmachung, zum Beispiel. Und auch die gezeigte Reue und seine Entschuldigung seien glaubhaft. Aber das Tatbild in seiner Gesamtbewertung spreche dann doch dagegen, von einem minder schweren Fall auszugehen. Keine Chance damit für den Angeklagten auf eine Strafe, die noch zu Bewährung ausgesetzt werden konnte: Für den Raubüberfall auf einen Uhrmacher im Viertel muss der 21-Jährige für drei Jahre ins Gefängnis.
Es gehört zu den Besonderheiten dieses Falles, dass besagtes "Tatbild" einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist. Der gesamte Überfall wurde von der Überwachungskamera des Ladens aufgezeichnet und von der Polizei bei der Suche nach dem flüchtigen Täter im April im Internet veröffentlicht. So konnte sich jeder, der wollte, ein Bild von dem Raubüberfall machen. Sehen, wie der 21-Jährige in den Laden kommt, dem Inhaber sofort Pfefferspray ins Gesicht sprüht, ihn mit Faustschlägen traktiert und zu Boden reißt. Konnte die Schreie des 72-jährigen Opfers hören, das splitternde Glas von Vitrinen. Von "exzessivem Vorgehen" und "massiver Brutalität" wird die Anwältin des Opfers als Nebenklägerin vor Gericht sprechen.
Für die Verteidigung ist eben dieses Video ein Problem für die objektive Betrachtung des Falls: Die Bilder hätten eine emotionalisierende Wirkung, führten in die Irre und sollten deshalb nicht überbewertet werden, sagt der Anwalt am Montag in seinem Plädoyer. Er wolle die Tat keineswegs verharmlosen, aber weder entspreche das dilettantische Vorgehen seines Mandanten dem Regelbild eines schweren Raubes, noch der 21-Jährige selbst dem Bild eines hart gesottenen Verbrechers.
Die Staatsanwaltschaft fordert wegen versuchten Raubes in besonders schwerem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vier Jahre Haft für den Angeklagten, sein Verteidiger plädiert auf zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Auch weil es letztlich beim Versuch geblieben war, sein Mandant die Tat abgebrochen habe. Er sei ohne Beute geflüchtet, obwohl er doch eigentlich nur hätte zugreifen müssen.
Nachbarin greift beherzt ein
An dieser Stelle widerspricht die Kammer der Verteidigung. Dass der 21-Jährige flüchtete, sei keineswegs als strafbefreiender Rücktritt von der Tat zu werten. Dass er am Ende ohne Beute flüchtete, habe allein an dem nicht eingeplanten Widerstand des Ladeninhabers gelegen, vor allem aber dem Mut seiner Nachbarin. Auch sie sieht man auf dem Video. Durch den Lärm im Nachbarladen aufgeschreckt, kommt die Frau in das Geschäft des Uhrmachers gerannt, schreit den Täter immer wieder an – "Hau ab!" –, schlägt mit einem Stock in seine Richtung und schreit lauthals nach der Polizei. "Ohne dieses beherzte Eingreifen wäre es wohl weitergegangen."
Und möge die Tatausführung auch noch so dilettantisch oder naiv gewesen sein – am helllichten Tag mitten im belebten Viertel –, so sei der 21-Jährige sehr wohl geplant vorgegangen, habe unter anderem gezielt versucht, den Ladenbesitzer mit dem Pfefferspray außer Gefecht zu setzen.

Der Angeklagte erwartet die Verkündung des Urteils.
Geschickt stellte sich der junge Mann indes auch nach der Tat nicht an. Dass er geschnappt wurde, geht nicht auf die Öffentlichkeitsfahndung der Polizei mit dem Video der Überwachungskammer zurück, sondern darauf, dass er in einer Nebenstraße unter anderem seine Wollmütze wegwarf, die während der Tat sein Gesicht verdeckt hatte. Sie lieferte der Polizei DNA-Spuren, die den 21-Jährigen letztlich überführten.
Ein Aspekt, den auch die Nebenklage betonte. Die DNA-Spuren hätten die Täterschaft des Angeklagten unzweifelhaft belegt, betont die Anwältin. Von daher sei auch sein Geständnis vor Gericht nichts anderes als prozesstaktisches Verhalten, ebenso wie die gezeigte Reue oder seine bekundete Bereitschaft, dem Opfer Schmerzensgeld zu zahlen.
Dem wiederum folgten weder Staatsanwaltschaft noch das Gericht. Dass der 21-Jährige schon am ersten Prozesstag voll umfänglich gestanden habe, habe den Prozess erheblich verkürzt und dem Opfer erspart, vor Gericht auszusagen. Man habe schon das Gefühl, dass er seine Tat aufrichtig bereue, so habe er ohne Wissen seines Anwalts aus dem Gefängnis heraus versucht, den sogenannten Täter-Opfer-Ausgleich in die Wege zu leiten. Was das Opfer allerdings ausschlug. Der Uhrmacher will mit seinem Peiniger nichts mehr zu tun haben.