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Bremer Nachkriegsgeschichte Wie das Verbot der Sozialistischen Reichspartei ins Rollen kam

Völlig überraschend schaffte die Sozialistische Reichspartei (SRP) im Oktober 1951 den Einzug in die Bremische Bürgerschaft. Doch schon damals wurde der Boden für ein Verbotsverfahren bereitet.
10.02.2024, 05:00 Uhr
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Wie das Verbot der Sozialistischen Reichspartei ins Rollen kam
Von Frank Hethey

Mehrere Senatoren erhielten am 26. September 1951 einen Brief vom Landesamt für Verfassungsschutz. Darin beschwerte sich Amtsleiter Heinz Klemmer über den Geschäftsführer der Sporthalle auf der Bürgerweide. Bei einer Wahlkampf-Kundgebung der Sozialistischen Reichspartei (SRP) habe dieser "als erster" für die schon längst als verfassungswidrig eingestufte Partei gespendet. Zur Rede gestellt, habe er sich mit den Ausführungen des SRP-Funktionärs "im großen und ganzen einverstanden" erklärt. Für Klemmer ein unerhörter Vorgang, den er "mit Bedauern zur Kenntnis" brachte.   

Bei der Bürgerschaftswahl am 7. Oktober 1951 holte die SRP aus dem Stand 7,7 Prozent der Stimmen. Mit acht Abgeordneten zog die rechtsextremistische Partei ins Landesparlament ein, darunter der frühere NS-Wirtschaftssenator Otto Bernhard. Doch die Freude unter ihren Anhängern war nur von kurzer Dauer, ein gutes Jahr später wurde die SRP als erste Partei in der Geschichte der Bundesrepublik verboten.

Für die junge Partei war das Wahlergebnis in Bremen der zweite erfolgreiche Urnengang binnen weniger Monate. Erst am 6. Mai 1951 hatte die SRP bei der niedersächsischen Landtagswahl elf Prozent der Stimmen für sich verbucht. Besonders stark war die SRP in der Lüneburger Heide und im Nordwesten – im Wahlkreis Oldenburg-Land kam sie auf knapp 18 Prozent, im Wahlkreis Verden auf 27,7 Prozent. 

Mit einem Wahlerfolg der SRP in Bremen hatte niemand gerechnet. Nach Gründung eines Landesverbands am 5. Januar 1950 gab es etliche Führungswechsel. Noch im August 1951 sprach die SPD-Fraktion in Niedersachsen geringschätzig von der "politischen Impotenz" der Bremer SRP. "Man scheut eine blamable Niederlage wie in Hannover", lautete die Einschätzung, zumal Bremen "ja kein Stimmenreservoir in Gestalt eines reaktionären Hinterlandes" habe. Im Sommer 1951 zählte die Partei gerade mal 40 Mitglieder. Von so einem verlorenen Häuflein erwartete man keine Schwierigkeiten. 

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Eine fatale Fehleinschätzung. Denn mithilfe auswärtiger Redner entfaltete die SRP in Bremen eine rege Wahlkampftätigkeit – offenbar wollte die Partei den Beweis erbringen, auch in Großstädten so erfolgreich sein zu können wie auf dem Land. Frustriert zeigte sich insbesondere Bürgermeister Wilhelm Kaisen (SPD), der sich nach der Wahl ein briefliches Scharmützel mit SRP-Parteichef Fritz Dorls lieferte – dessen Dank für seine vermeintlich besonnene Haltung wollte Kaisen so nicht stehen lassen. Vielmehr drängte Kaisen darauf, rasch ein Verbotsverfahren gegen die SRP in Gang zu bringen. 

Gleichwohl wurde ein Verbot der SRP nicht erst nach den beiden Wahlerfolgen in Niedersachsen und Bremen ins Auge gefasst. Tatsächlich zog die Partei schon bald nach ihrer Gründung im Oktober 1949 die Aufmerksamkeit staatlicher Behörden auf sich. Das geht aus dem umfangreichen Aktenbestand zur SRP im Bremer Staatsarchiv hervor. Zahlreiche Briefe, Protokolle, Dossiers und Zeitungsausschnitte belegen, wie sich die Situation von der Parteigründung bis zum Verbot entwickelte.  

Ersten massiven Unmut erregte im Februar 1950 die Einladung des Generalmajors Otto Ernst Remer nach Bremen. Der Mitbegründer der Partei sympathisierte offen mit Hitler, seine Rolle bei der Niederschlagung des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 brachte ihm zweifelhaften Ruhm ein. Für Kaisen ein guter Grund, die Zulassung der SRP zurückzunehmen. "Dazu läge eine Berechtigung vor bei einer Partei, die einen Mann wie Herrn Remer zu einem Vortrag nach Bremen ziehen wolle", heißt es im Senatsprotokoll.

Weil das aber nicht ohne Weiteres ging, begnügte sich der Senat zunächst mit Redeverboten gegen Remer und einen weiteren SRP-Funktionär. Alarmiert war man aber doch. Vor allem Senator Hermann Wolters (SPD) machte den Kampf gegen die SRP zu seiner Sache. Zu denken gab Wolters das SRP-Auftreten "insbesondere in ländlichen Gebieten" im niedersächsischen Wahlkampf. Dabei dürfte es nicht zuletzt um die "Reichsfront" gegangen sein, eine paramiltärische Ordnertruppe nach SA-Vorbild. Derlei könne "auf die Dauer nicht so hingenommen werden", erklärte Wolters im April 1951 in einer Senatssitzung. 

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Politische Rückendeckung für eine Ausweitung des Redeverbots erhielt der Senat durch die Bundesregierung. Zwei Tage vor der Niedersachsen-Wahl, am 4. Mai 1951, stufte das Kabinett die SRP als verfassungswidrig ein. Sobald das Bundesverfassungsgericht seine Arbeit aufgenommen hatte – das geschah im September 1951 – , wollte die Regierung einen Verbotsantrag stellen. Bis zur endgültigen Entscheidung waren die Länder im Umgang mit der SRP auf sich allein gestellt. Bremen verhängte am 12. September 1951 ein öffentliches Redeverbot gegen acht SRP-Funktionäre, darunter Parteichef Dorls und seinen Stellvertreter Remer.

Zu diesem Zeitpunkt beobachtete das Landesamt für Verfassungsschutz schon längst die SRP-Kundgebungen, teils lagen der Behörde sogar Tonmitschnitte vor.  Ein als "vertraulich" klassifiziertes Dossier zur SRP im Bremer Wahlkampf bestätigte die Eindrücke aus Niedersachsen. Nach Einschätzung der Verfassungsschützer war das kein Wunder. Bestehe doch "eine weitgehende Gleichförmigkeit aller gehaltenen Reden". Die Vermutung: Eine zentral vorbereitete Rede liege allen Äußerungen zugrunde.

Als sonderlich originell können die SRP-Verlautbarungen nicht gelten. In weiten Teilen waren sie eine Neuauflage der NS-Ideologie. Den Mythos der jüdischen Weltverschwörung bediente der Braunschweiger Parteiredner Werner Bänsch in Kattenturm, als er gegen den Morgenthau-Plan wetterte – er behauptete, es gebe seit 1943 "bis nachweisbar 1948" einen umfassenden Vernichtungsplan gegen Deutschland und die Deutschen. Dass vielmehr das Dritte Reich einen Vernichtungsplan gegen die Juden verfolgte, wurde strikt geleugnet, ebenso wie der Massenmord in Konzentrations- und Vernichtungslagern. 

Die anderen Parteien verunglimpfte die SRP als "Lizenzparteien" – eine Anspielung auf die Genehmigungspflicht durch die Siegermächte in den frühen Nachkriegsjahren. Nach eigener Angabe stand die SRP auf dem Boden des Sozialismus. Allerdings predigte man einen "volklich gebundenen Sozialismus", eben einen National-Sozialismus. Der Parteiname spiegelte diesen Vorsatz wider – und mit der Nennung des Reichs auch gleich, dass man es als noch existent betrachtete und damit der Bundesrepublik die Legitimität absprach. Nicht anders als die "Reichsbürger" heute.  

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Doch die SRP stützte sich nicht nur auf NS-Gedankengut, sie war auch ein Sammelbecken für einstige Parteigenossen. Als er noch reden durfte, ließ Ulrich von Bothmer am 4. September 1951 in Oslebshausen wissen, es seien "auch viele alte Nationalsozialisten zur Partei gestoßen". Später kam heraus: Die SRP umwarb "alte Kämpfer" regelrecht, eine möglichst frühe Mitgliedschaft in der NSDAP galt als Gütesiegel. Erstaunlich war das nicht, praktisch die gesamte Parteispitze bestand aus Ex-Nazis. Das Beweismaterial, das dem Bundesverfassungsgericht nach den Hausdurchsuchungen im Januar 1952 vorlag, ließ laut Verbotsbegründung nur einen Schluss zu: "Hier sammeln sich die alten und aktiven Nationalsozialisten, um noch einmal zu politischem Einfluss zu kommen."  

Angesichts aktueller pro-russischer Bekundungen aus der AfD berührt es merkwürdig, dass sich schon die SRP als "Russland-Versteher" gerierte. Und das, obgleich der deutsche Überfall auf Russland erst zehn Jahre zurücklag und damals noch immer Kriegsgefangene in Sibirien ausharren mussten. Konsterniert stellten die Bremer Verfassungsschützer fest, dass "kaum irgendwelche Kritik an der Besatzungsmacht der Ostzone" geübt werde. "Es wird nur von der Ausraubung Westdeutschlands gesprochen." Als Aggressor in einem kommenden Krieg sahen die Parteistrategen ausschließlich die USA an.

Im Grunde war die SRP der Ansicht, diese Auseinandersetzung habe schon begonnen – oder sei nie beendet worden. "Die Alliierten sind Feinde im Lande", erklärte SRP-Redner Bothmer. Sein Mitstreiter Hans-Henning Festge sprach am 19. September 1951 in der Sporthalle von einem anhaltenden "Vernichtungskampf der Westmächte gegen die deutsche Nation". Dahinter steckte eine anti-liberale, oft antisemitisch aufgeladene Denktradition. Danach gönnten die etablierten Mächte den Deutschen keinen Großmachtstatus. Die liberale Staatsidee samt "Parteienstaat" sei nichts weiter als ein perfider Trick des Westens, um Deutschland zu zersplittern und dadurch klein zu halten.

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Als natürlicher Bundesgenosse erschien deshalb Russland, der Russland-Feldzug schrumpfte ideologisch zu einem bedauerlichen Betriebsunfall der Geschichte. Schon damals machten Gerüchte die Runde, die SRP unterhalte enge Verbindungen zur DDR und in die Sowjetunion. Die historische Forschung bestätigte später Zuwendungen östlicher Geheimdienste ausgerechnet an die Partei, die den demokratischen Parteien vorwarf, bezahlte Handlanger der Alliierten zu sein. 

Vier Jahre vor der KPD wurde die SRP am 23. Oktober 1952 verboten. Den Unschuldsbeteuerungen der Partei schenkten die Verfassungsrichter keinen Glauben. Auf Grundlage des beschlagnahmten Materials hielten es die Richter für erwiesen, dass die SRP eine Nachfolgepartei der NSDAP sei und auf den Sturz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hinarbeite. Sämtliche Abgeordnetenmandate wurden ersatzlos gestrichen.     

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