In die Notaufnahmen der Krankenhäuser kommen längst nicht nur Patienten, die auch echte Notfälle sind: Ein großer Teil von ihnen wäre besser beim Ärztlichen Bereitschaftsdienst, bei einem Haus- oder Facharzt aufgehoben. Diese Entwicklung gibt es bundesweit – und damit auch in Bremen. Die Folge: überfüllte Notaufnahmen in den Kliniken des Landes, lange Wartezeiten, verärgerte Patienten. „Das jetzige System kann nicht so bleiben wie es ist“, fasst der Geschäftsführer des Krankenhauses St.-Joseph-Stift, Torsten Jarchow, die Lage zusammen. „Wir brauchen Strukturen, in denen die Patientenströme besser gesteuert und die Wartezeiten reduziert werden.“
Gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen (KVHB) hat die Klinik in Schwachhausen am Mittwoch ein nach eigenen Angaben bundesweit einmaliges Pilotprojekt zur Notfallversorgung gestartet. Patienten, die künftig auf eigene Faust in die Notaufnahme des Krankenhauses kommen, finden ab sofort eine Art „gemeinsamen Tresen“ vor. Mithilfe eines standardisierten Ersteinschätzungsverfahrens – einer Software – werden ihre Beschwerden abgefragt und die Dringlichkeit der Behandlung ermittelt.
Auf Basis dieser Einordnung werden die Patienten dann weitergeleitet: in die Notaufnahme, zum Ärztlichen Bereitschaftsdienst direkt nebenan oder auch an einem Haus- oder Facharzt am nächsten Werktag. „Der gemeinsame Tresen wird die Situation der Hilfesuchenden verbessern“, ist der stellvertretende Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung, Frank Völz, überzeugt. „Die Patienten profitieren davon, weil sie schnell Sicherheit bekommen, wohin sie mit ihrem Anliegen gehen können. Das wird letztlich auch Wartezeiten reduzieren; vor allem für jene, die auf eigene Faust kommen und dringend auf Hilfe in der Notaufnahme angewiesen sind.“
Die KVHB betreibt seit Herbst 2015 den Ärztlichen Bereitschaftsdienst für das Stadtgebiet Bremen am St.-Joseph-Stift. Außerhalb der Öffnungszeiten von Arztpraxen ist er Anlaufstelle für Patienten, die gesundheitliche Beschwerden haben, aber kein Klinik-Notfall sind. Die Räume befinden sich direkt gegenüber der Notaufnahme. Zwar registriert auch der Bereitschaftsdienst ein Plus bei den Fallzahlen – sie stiegen von 42.391 in 2016 auf 51.875 in 2018 –, dennoch seien die Notaufnahmen der Krankenhäuser immer noch mit Patienten überfüllt, die nicht dorthin gehörten. „Vor allem an den Wochenenden sind das teilweise tumultartige Zustände vor der Notaufnahme“, beschreibt Völz. Immer noch wüssten offenbar viele Menschen nicht, dass es den Bereitschaftsdienst sowie dessen deutschlandweite Telefonnummer 116 117 gebe.
Verfahren der Ersteinschätzung ab 2020 bundesweit im Einsatz
Der Ärztliche Bereitschaftsdienst in Bremen ist laut Völz bundesweit die erste Einrichtung, die nach dem neuen Verfahren der Ersteinschätzung arbeitet. Ab Januar 2020 soll es in allen Bundesländern in Bereitschaftsdiensten, Notaufnahmen und den Telefonzentralen der 116 117 zum Einsatz kommen.
Darüber hinaus greife das Konzept in Ansätzen den Plänen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für eine Reform der Notfallversorgung vor, die unter anderem Integrierte Notfallzentren (INZ) an den Kliniken vorsieht. Dort sollen Patienten, die in Eigenregie kommen, ebenfalls nach einer Ersteinschätzung in die entsprechende Versorgungsstruktur weitergeleitet werden: Notaufnahme, Ärztlicher Bereitschaftsdienst, Haus- oder Facharzt. „Unser Konzept soll Ende des Jahres ausgewertet werden. Wir gehen davon aus, dass sich bereits erste positive Effekte für die Notaufnahme, sprich kürzere Wartezeiten, und die zielgerichtete Vermittlung der Patienten zeigen“, so Klinik-Geschäftsführer Jarchow. „Damit wäre viel gewonnen.“
Neue Gesundheitsstaatsrätin
Das Gesundheitsressort unter Führung von Claudia Bernhard (Linke) hat sich für eine Staatsrätin entschieden. Dabei handelt es sich um Silke Stroth, wie die Behörde bestätigt. Stroth leitete zuletzt die Bildungsakademie des Klinikverbunds Gesundheit Nord.