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Porträt über Verena Nölle Bremerin erhält Auszeichnung für ihr Engagement für die Verkehrssicherheit

Verena Nölle engagiert sich seit 15 Jahren für die Verkehrssicherheit von Kindern. Was mit dem Projekt „Schulexpress“ begann, hat nun zu einer Auszeichnung geführt: Sie bekommt das Bundesverdienstkreuz.
01.12.2019, 20:01 Uhr
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Bremerin erhält Auszeichnung für ihr Engagement für die Verkehrssicherheit
Von Lisa-Maria Röhling

Irgendwann gab es für Verena Nölle kein Zurück mehr. Da war aus ihr eine Verkehrssicherheitsexpertin geworden. Es habe vor einigen Jahren einen Termin an einer Schule gegeben, ein Experte der Verkehrswacht sollte vorbeikommen, um über den toten Winkel aufzuklären, ein Lastwagen war als Anschauungsobjekt organisiert. Morgens habe dann der Schulungsleiter angerufen und kurzfristig abgesagt, ein Trauerfall in der Familie. Verena Nölle hätte den Termin absagen können. „Da habe ich gesagt: Nein; Der Lkw fährt jetzt nicht wieder ab.“ Vorher habe sie schon 50 Schulungen gesehen, habe also die besten Infos zusammengefasst und selber 60 Minuten unterrichtet. „Einfach mal umsetzen“, sagt sie.

Alles begann mit einer pragmatischen Lösung für das morgendliche Verkehrschaos am Schultor, die plötzlich zum Pilotprojekt wurde. Gemeint ist damit der Schulexpress, den Nölle zusammen mit zwei anderen Müttern an der Grundschule ihrer Kinder in Borgfeld etabliert hatte. Das Konzept war „eigentlich ganz einfach“, sagt sie: Grundschülerinnen und Grundschüler aus einer Nachbarschaft kommen vor Schulbeginn an einem Treffpunkt zusammen, um von dort gemeinsam zur Schule zu laufen. Haltestellenfreundschaften nennen sich diese Gruppen.

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Die Idee, die aus den USA kommt und die Nölle im Internet gefunden hatte, spricht sich rum, in Bremen und umzu. 15 Jahre sind seit Projektbeginn vergangen, die anderen Mütter sind in ihre Berufe zurückgekehrt. Nölle ist dran geblieben, ist inzwischen in weitere Arbeitsgemeinschaften eingebunden. „Als es 40 Schulen waren, konnte ich nicht mehr Nein sagen.“ Inzwischen sind 150 Schulen beteiligt, von Cuxhaven bis Hannover, von Leer bis nach Berlin, „das Internet macht‘s möglich.“ Gedanken darüber, wo der Schulexpress hinführen solle, habe sie sich nie gemacht, Pläne habe sie keine entwickelt. Sie habe einfach Anfragen bearbeitet, Schulen kontaktiert, erledigt, was das Projekt vorwärts bringt. Einfach, dieses Wort benutzt sie oft. Ihre Leistung Revue passieren lassen? „Da war keine Zeit zu.“

Nun hat ihr diese Zeit jemand anders gegeben – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, um genau zu sein. Er wird Nölle am Mittwoch das Bundesverdienstkreuz verleihen, nicht nur für ihr Engagement für den Schulexpress, sondern auch für ihren Einsatz in der Initiative „Aber sicher“ und bei vielen anderen Verkehrssicherheitsprojekten für Kinder. „Verena Nölle fördert mit ihrem Schulexpress die selbstständige Bewältigung des Schulweges“, heißt es in der Erklärung. Auf sich selber will Nölle diesen Preis gar nicht beziehen: „Das Projekt wird ausgezeichnet“, betont sie mehrfach beim Gespräch in ihrem Haus in Borgfeld.

Zusammenarbeit mit engagierten Politikerinnen und Politikern

Das Schild mit der Aufschrift Schulexpress, das Besucher unweigerlich auf dem Weg zu ihrem Haus passieren, sagt das Gegenteil. Was ihr durch den Kopf geht, wenn sie morgens eine Gruppe von Kinder auf dem Fußweg zur Schule sehe? Nölle lächelt ein wenig, sagt dann mit leiser, aber klarer Stimme: „Ich bin schon etwas stolz.“ Dann lobt sie die Verkehrswacht und die Bremer Kops, erzählt von der Zusammenarbeit mit engagierten Politikerinnen und Politikern, ohne die das alles nicht möglich gewesen wäre. Lange innehalten, das ist nichts für sie.

Nölle ist ausgebildete Reiseverkehrskauffrau und Mutter von vier Kindern. Der sichere Umgang im Straßenverkehr sei in ihrer Familie nie ein Problem gewesen, sagt sie. „Ein Kind, das zur Schule geht, kann seinen Weg alleine machen, ohne Erwachsene.“ Von sogenannten Elterntaxis hält sie nichts, man müsse seinen Kindern auch etwas zutrauen. Dazu gehört für sie auch: Verantwortung zu übernehmen. „Da müssen wir unterstützen, es bringt nichts zu sagen: Das ist Aufgabe der Eltern“, sagt Nölle. „Ich bin auch Mutter, aber wir müssen das Loslassen lernen.“ Dafür muss der Nachwuchs aber auf den Straßenverkehr vorbereitet sein – genau das will Nölle sicherstellen. Wenn sie ihre Projekte beschreibt, wird schnell deutlich, dass es nicht nur um Sicherheit geht. Es geht auch um Bewegung, Gesundheit, Umweltbewusstsein, Selbstständigkeit. „Klima und Verkehrssicherheit gehören zusammen. Wenn ich mein Fahrrad für die kurzen Wege nehme, ist es viel sinnvoller.“ Und wenn die Kinder diese Dinge verstehen, meint sie, können sie das Wissen auch an die Eltern weitergeben.

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Diskussionen darüber, ob nicht die Elternhäuser in der Verantwortung seien, ihre Kinder sicher durch den Straßenverkehr zu bringen, kann Nölle wenig abgewinnen. Wenn dort Roller- oder Fahrradfahren nicht praktiziert werde, müsse das aufgefangen werden, vom Staat oder in Kitas, Krippen und Schulen. „Wir müssen die Leistung bringen, damit wir in zehn Jahren keine Erwachsenen haben, die zwar Fahrradfahren, es aber nicht können.“

Nach solchen Sätzen macht sie eine Pause, als wolle sie ihre Aussage einen Moment wirken lassen. Dann schiebt sie nach: „Oder wir schaffen die Verkehrswende nicht, weil die Menschen mit dem Fahrrad nicht umgehen können.“ Deswegen hofft sie auch, dass sich die Politik stärker in der Verkehrserziehung engagiert: Ein Budget gebe es nicht, die Aufteilung zwischen den Ressorts Inneres, Verkehr und Bildung erschwere die Lage. „Das wird aktuell etwas stiefmütterlich behandelt.“ Nach diesem Satz atmet Nölle tief ein und aus, als habe sie schon einige Nerven an diese Diskussion verloren.

Verkehrsaufklärung in Schulen

Diese Dinge, die einfach getan werden müssen, kosten Nölle viel Zeit, „aber die ist gut genutzt.“ Der Schulexpress habe inzwischen den Platz eines fünften Kindes eingenommen, außerdem verbringt sie zwei Tage in der Woche mit der Verkehrsaufklärung in Schulen, hilft Lehrkräften bei der Organisation von Infotagen, vermittelt Kontakte, damit Kinder etwas über den toten Winkel am Lkw, den richtigen Umgang mit Rollern oder Fahrrädern lernen. Die Lehrkräfte hätten genug zu tun, einer müsse es ja machen. „Viele Menschen wissen nicht, dass ich bei manchen Sachen im Hintergrund arbeite.“

Ihr sei es wichtig, dass Kinder früh das Nötige lernen, damit beispielsweise in der Verkehrsschule daran angeknüpft werden könne. Auch die Strukturen dafür zu schaffen, hat sie sich zur Aufgabe gemacht: Auf dem Campus der Jacobs-University hat sie geholfen, die Jugendverkehrsschule zu etablieren, hat bereits zum zweiten Mal mehr als 1000 Helme für Kinder mithilfe von Sponsoren organisiert. „Ich kann doch Kindern nicht Radfahren beibringen und nicht an die Sicherheit denken“, sagt sie.

Seitenlange Konzepte sind Nölle bei allem Engagement zuwider. „Ich probiere lieber aus. Wenn es nicht funktioniert, wird nachjustiert.“ Auch bei ihr habe am Anfang nicht alles funktioniert, den Schulexpress musste sie etwa erst bewerben. Sie zuckt mit den Schultern. „Man lernt dazu“, sagt Nölle.

Info

Zur Sache

Ehrung für Anneli-Sofia Räcker

Neben Verena Nölle wird auch die Bremerin ­Anneli-Sofia Räcker am Mittwoch im Schloss Bellevue mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Sie engagiert sich mit dem Verein „Ketaaketi“, was das nepalesische Wort für Kinder ist, dafür, dass Kinder in Nepal, Sierra Leone und Burundi in die Schule gegen können. Dazu gehört auch die Existenzsicherung der Eltern, was der Verein zusammen mit örtlichen Partnerorganisationen durch Mikrofinanzierung absichert. Der Verein wurde bereits von der Unesco für seinen besonderen Nachhaltigkeitsansatz ausgezeichnet.

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