Herr Gaß, Krankenhäuser warnen angesichts der steigenden Corona-Infektionszahlen vor Versorgungsengpässen. Wie groß ist die Sorge?
Gerald Gaß: Die Lage ist jetzt schon angespannt. Die Kliniken befinden sich in einer Zangensituation, weil wir einen doppelten Effekt haben. Zum einen ist in diesem Sommer die Pandemiewelle nicht wirklich ausgefallen. Es gibt zwar nicht so viele schwerkranke Patienten, aber wir haben viele Infizierte, die bei der Aufnahme durch die Tests als Corona-positiv auffallen. Diese Patienten müssen isoliert werden, das bedeutet erhöhten Aufwand beim Infektionsschutz und es können nicht so viele Mehrbettzimmer genutzt werden, wie das normalerweise der Fall ist. Als zweiter Effekt kommt hinzu, dass sich auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im privaten Umfeld anstecken, in Quarantäne müssen und ausfallen. Das macht uns sehr zu schaffen.
Wie wirkt sich das konkret aus?
Wir hören von vielen Krankenhäusern, dass Betten gesperrt und Abteilungen aufgrund der hohen Personalausfälle verkleinert werden. Einzelne Stationen sind aktuell geschlossen. Und auch bei den Notaufnahmen hören wir vermehrt, dass sich Kliniken zeitweise von der Rettungsleitstelle abmelden müssen, weil sie nicht die notwendigen Aufnahmekapazitäten haben.
Was bedeutet die angespannte Situation vor allem auch mit Blick auf den Herbst?
Ich glaube, die Situation wird viel schwieriger sein, als im vergangenen Jahr – weil wir jetzt schon mit sehr knappem Personal agieren und zusätzlich noch den Effekt haben, dass Krankenhäuser zum Teil Stationen ganz vom Netz nehmen müssen. Das liegt an den hohen Kostenbelastungen, an der Inflation und an der Tatsache, dass die Bundesregierung uns bisher keine Perspektive bietet, was das Jahr 2023 angeht. Die staatlichen Corona-Hilfen für die Kliniken sind am 30. Juni ersatzlos ausgelaufen, und es gibt keinen Inflationsausgleich. Dazu kommen die gestiegenen Energiekosten, die hohen Tarifabschlüsse und die Preissteigerungen in der Medizintechnik. Das setzt die Krankenhäuser massiv unter Druck.
60 Prozent der etwa 1900 Kliniken in Deutschland schreiben laut Krankenhaus-Rating-Report in diesem Jahr rote Zahlen – werden Häuser schließen müssen?
Wenn die Politik es ernst damit meint, Insolvenzen verhindern zu wollen, muss sie diese Notlage schnellstens erkennen und den Krankenhäusern für 2023 und 2024 eine Überbrückungsfinanzierung zusichern - bis die viel beschworene Reform der Fallpauschalen greift. Darum soll sich die Regierungskommission kümmern, bislang sind für uns aber noch nicht einmal Ansätze für Lösungen erkennbar. Handelt die Politik nicht, erwarten wir im Jahr 2023 eine ganze Reihe von Krankenhaus-Schließungen. Zahlreiche Standorte werden ihre Versorgung mit spürbaren Auswirkungen für die Bevölkerung reduzieren müssen, um wirtschaftlich zu überleben.
Zur Pandemie kommt jetzt die Gaskrise - welche Auswirkungen hat das auf die Versorgung in den Krankenhäusern?
Ein Gasnotstand hätte massive Folgen für die Kliniken und würde das Gesundheitswesen und die Bürger hart treffen. Zwar sind die Krankenhäuser vorrangig zu beliefern. Aber: Mehr als 90 Prozent sind auf Gas als Primärenergie angewiesen. Hinzu kommt, dass Zulieferbetriebe wie Wäschereien oder Hersteller von Medikamenten und Medizintechnik massiv auf Gas angewiesen sind. Das ist eine Verkettung von Abhängigkeiten, die wir ganz genau betrachten müssen. Daher sind wir sehr beunruhigt, was den Herbst angeht.
Warum nutzen bisher nur wenige Krankenhäuser erneuerbare Energien?
Eine Umstellung der Energieversorgung ist dringend nötig, wäre aber keinesfalls noch für dieses Jahr umzusetzen. Für alle Krankenhäuser in Deutschland würde eine C02-Neutralität etwa 40 Milliarden Euro kosten. Das können die Kliniken nicht aus eigener Kraft aufbringen, weil die Länder ihrer Pflicht zur Finanzierung notwendiger Investitionen seit Jahren nicht ausreichend nachkommen. Die Folge ist: Fast alle Krankenhausstandorte sind mit Technik ausgestattet, die in keiner Weise dem modernen Standard bei der Wärmeerzeugung und energiesparenden Anlagen entspricht. Deshalb fordern wir, aus dem 200-Milliarden-Euro-Paket des Wirtschaftsministeriums für den Klimawandel einen Teil zu nutzen, um die Krankenhäuser im Rahmen einer Green-Hospital-Initiative klimaneutral werden zu lassen – oder zumindest die CO2-Bilanz massiv zu verbessern. Fünf Prozent aller CO2-Emissionen in Deutschland kommen vom Gesundheitswesen und davon in hohem Maß aus den Krankenhäusern.
Viele Kliniken haben noch nicht einmal hauptamtliche Klimamanager oder entsprechende Programme. Gibt es dafür verpflichtende Vorgaben?
Die gibt es nicht. Krankenhäuser sind aber aus dem ureigensten Interesse daran interessiert, die teure Energie so effizient wie möglich einzusetzen. Wir brauchen keine staatliche Regulierung, sondern die notwendigen Finanzmittel, um etwa alte Gasheizungen umbauen, Nahwärmenetze besser isolieren oder auf Holzpellets umstellen zu können.
Was droht im schlimmsten Fall bei einem Gastnotstand – welche Notfallpläne gibt es für die Kliniken?
Es wird darum gehen, Gas soweit zu ersetzen, wo es möglich ist. Zum Teil gibt es in Krankenhäusern Heizanlagen, die sich sowohl mit Gas als auch Heizöl betreiben lassen. Bei einem Gasnotstand wird es notwendig sein, dass sich Kliniken etwa bei der Belegung zusammentun, sodass nur dringend benötigte Flächen beheizt werden müssen. Das Worst-Case-Szenario wäre, dass Russland das Gas ganz abdreht, die Speicher nahezu leerlaufen – und kritische Infrastruktur nicht mehr in vollem Umfang aufrechterhalten werden kann. Dann wird man möglicherweise in eine Situation kommen, wo entschieden werden muss, welche Klinik am Netz gelassen wird. Diese Entscheidung steht jetzt nicht an, ist aber nicht völlig ausgeschlossen.
Welche Bereiche müssen dringend aufrechterhalten werden?
Wie in der Pandemie geht es um die akute Notfallversorgung etwa bei Schlaganfällen oder Herzinfarkten oder schweren chronischen Erkrankungen sowie Krebsbehandlungen. Intensivbereiche müssen erhalten bleiben. Eine weitere Option ist die Zusammenlegung von Notaufnahmen. Die Bundesländer müssen diese Notfallszenarien jetzt durchspielen und die Krankenhausgesellschaften der Länder werden sie dabei selbstverständlich unterstützen.