Mahndorf. Fragt man Michael Credo, wie lange er im Mahndorfer Bürgerhaus den Circus Bambini geleitet hat, dann kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: „29 Jahre und sieben Monate.“ Fast ein halbes Leben für den 63-Jährigen. Mit der großen Weihnachtsgala am 16. und 17. Dezember im Bürgerhaus feiert er gleichzeitig seinen Abschied. Michael Credo geht in den Ruhestand. Wer seine Nachfolge antritt, steht noch nicht fest.
Unruhe, oder besser Trubel hatte Credo all die Jahrzehnte zur Genüge. Der sympathische, schlaksige Mann mit dem Pferdeschwanz leitete zwei bis drei Gruppen pro Woche an, unterrichtete sie in Artistik, Jonglage, Einradfahren, im Einüben von Diabolo- und Zaubertricks sowie in Kunststücken auf dem Rolla-Bolla-Balancierbrett, einem Brett, das sich nur auf einer Rolle stützt, und Seiltanz.
„Mit zehn bis 18 Kindern pro Gruppe weiß ich nach jeder Unterrichtseinheit, was ich getan habe“, lacht Credo. Während die Großen sich gegenseitig unterstützten und eigenständig übten, bräuchten die Kleinen permanent Hilfe. Große heißt für Credo nicht nur Teenager. Der Älteste sei 34 Jahre alt, eine besonders treue Seele. Im Alter von zwölf Jahren habe der junge Mann damals bei ihm angefangen. „Die hören nicht auf. Und ich schmeiße sie nicht raus“, sagt der Pädagoge, lächelt verschmitzt und zuckt mit den Schultern.
Mitmachen könne jeder, der mindestens sechs Jahre alt sei und Spaß an der Sache habe. Auch ein schwerbehinderter Teilnehmer und drei weitere behinderte Kinder seien mit von der Partie. „Die werden von allen hier voll akzeptiert“, freut sich Credo. Die Eltern des Schwerbehinderten hätten ihr Kind damals vom Therapiekursus abgemeldet, „weil das hier“, Credo zeigt mit ausladender Geste in Richtung Übungssaal, „ihm viel mehr gebracht habe.“
Die Leidenschaft der Kinder für Zirkuskunst kann er gut nachvollziehen. Als sie ihn packte, hat sie ihn nie wieder losgelassen. Zu Schulzeiten trainierte er in seiner Freizeit Kunstturnen bis hin zum Leistungssport. Während des Studiums der Sozialpädagogik an der Bremer Hochschule machte er einen Workshop im Jonglieren mit. Bis zu fünf Bälle hielt er gleichzeitig in der Luft. „Von da ab konnte ich nicht wieder aufhören“, sagt Credo.
Er wollte mehr dazulernen, tingelte durch ganz Deutschland und besuchte Kurse. Eine Ausbildung zum Zirkuspädagogen habe es damals noch nicht gegeben. Das Studium der Sozialpädagogik schloss er ab. Doch seine ersten Brötchen verdiente er sich mit Straßenkunst. In der Sögestraße sammelte er Münzen und Scheine für seine Jonglage, Feuerartistik und Zauberei. „Das lief ganz gut“, erzählt Credo und lächelt, ein bisschen stolz. Auch Thomas Prieser, bis vor sechs Jahren Leiter des Bürgerhauses Mahndorf, wurde auf den jungen Künstler aufmerksam. Er bot ihm ein Engagement im Bürgerhaus an: Kinderprojekte auf ABM-Basis. Da habe er zögern müssen, doch die Atmosphäre im Haus und das verlockende Angebot eines regelmäßigen Verdiensts überzeugten den Familienvater. Seit 1993 organisiert Credo zudem alle zwei Jahre den Internationalen Kinder- und Jugendzirkus mit. Die Szene in Bremen sei groß und bunt. Vielleicht schreibe er über die Bremer Zirkuslandschaft in seinem Ruhestand ein Buch, überlegt Credo.
Etwas wehmütig blickt der Zirkuschef in Richtung Abschiedsvorstellungen. Gemeinsame Auftritte in ganz Bremen und Reisen nach Hamburg, in die Partnerstadt Riga und nach Groningen seien unvergessliche Erlebnisse gewesen. „Kein Lehrer hat die Kinder so lange wie ich meine Schäfchen“, sagt er. Er teile Sorgen und vor allem Freude und Erfolge mit den Kindern. Das sei allerdings auch ein Grund, warum er nicht aus der Neustadt nach Mahndorf gezogen sei. „Da wäre ich aus dem Grüßen nicht mehr herausgekommen“, versichert er. Hier kenne ihn jeder. Auch die Eltern, die ihm hinter den Kulissen tatkräftig zur Seite stehen, Requisiten basteln, Kinder schminken und Kostüme nähen.
Schwere Unfälle seien in all den Jahren nicht passiert. Credo klopft auf Holz. Zwei Armbrüche, ein paar Prellungen und Bänderdehnungen habe es in Mahndorf gegeben. Seiner Tochter sei es da in einer anderen Zirkusschule leider anders ergangen, bedauert er. Das Mädchen, das mit vier Jahren schon Einradfahren vom ihm gelernt hatte, stürzte im Teenageralter und verletzte sich so schwer, dass sie ihre Zirkus-Karriere an den Nagel hängen musste – vielleicht auch ein Grund, warum Credos oberste Prioritäten bei der Sicherheit und Gesundheit der Kinder liegen.
Bei dreistöckigen Menschenpyramiden dürften sich die Teilnehmer nur auf den Oberschenkeln der unteren Etagen abstützen, auf den Schultern sei tabu. „Das macht den Rücken kaputt“, weiß Credo, der auch strikt dagegen ist, junge Körper zu verbiegen.
Den Kontakt zum Circus Bambini wird Credo nicht abreißen lassen. Bis Ende Januar, plant er, seinen Nachfolger einzuarbeiten. Schließlich gehe es mit dem Circus Bambini weiter. „Und ich komme hier schon noch ab und an zu Besuch“, versichert er.
Auf die neu gewonnene freie Zeit für seine Hobbys, fürs Radfahren, Reisen im Wohnmobil und Musik, freut er sich. Als Bassgitarrist spielt Credo regelmäßig in einer kleinen Band. Auf die Anfrage hin, welche das sei, winkt er ab und lacht. „Die hat keinen Namen. Und ob wir jemals auftreten, weiß ich nicht.“ Es mache einfach nur Spaß, sagt Credo und bekräftigt: „Und Rockstar will ich in diesem Leben nicht mehr werden.“