Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es um die Themen Tod, Sterben und den Verlust eines geliebten Menschen. Wenn diese Themen Sie stark belasten, sollten Sie den Artikel nicht lesen.
Bei Krisen, Depressionen und Suizidgedanken finden Sie unter folgenden Nummern Menschen, die Ihnen helfen:
- 0800 / 11 10 111 Telefonseelsorge Deutschland, rund um die Uhr erreichbar
- 0800 / 11 10 333 Kinder und Jugendtelefon Deutschland, erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr
Ein Unfall, eine Erkrankung oder ein Suizid – der Verlust eines geliebten Menschen kann schnell und unerwartet kommen. Kinder und Jugendliche reagieren dabei oft anders auf Todesfälle als Erwachsene. Wir haben mit der Pädagogin Anne Schorsch vom Bremer Verein Trauerland gesprochen, was jungen Trauernden helfen kann.
Frau Schorsch, wie sieht Trauer bei Kindern und Jugendlichen aus?
Anne Schorsch: Bei Kindern ist es oft so, dass die Erwachsenen den Eindruck haben: Die trauern ja gar nicht. Weil man ihnen das manchmal nicht ansieht. Erwachsene denken, dass Trauer ganz viel mit Weinen zu tun hat. Das stimmt zum Teil auch. Aber bei Kindern ist es so, dass sie die Trauer auf ganz unterschiedliche Art und Weise zeigen.
Wie äußert sich das konkret?
Es können verschiedene Gefühle eine Rolle spielen: Wut, Aggressionen oder glückliche Momente. Oder ein schneller Wechsel der Gefühle. Trauer ist etwas ganz Individuelles. Jede Person – vom Kind bis zum Erwachsenen – trauert auf ihre eigene Weise. Es gibt bei der Trauer kein Richtig und kein Falsch. Alles, was bei der Trauer an Gedanken und Gefühlen dazu gehört, darf erst mal sein.
Wie sollte ich mich als Elternteil verhalten, wenn mein Kind trauert?
Wichtig ist es, mit dem Kind in Kontakt zu bleiben und Angebote zu machen. Das Thema Wahrheit und ehrliche Antworten spielt eine große Rolle. Dass sie mitgenommen werden – altersgemäß natürlich – aber dass sie mitgenommen werden, in dem was passiert. Und dass sie mit allen Gefühlen sein dürfen und diesen Ausdruck verleihen können, wie sie es gerade brauchen.
Ehrliche Antworten, auch wenn das Kind noch klein ist? Man will es ja nicht ängstigen mit etwas, das überfordernd sein könnte. Wie viel Wahrheit ist möglich bei einem altersgerechten Umgang mit Trauer?
Man kann sich das so vorstellen, dass Erklärungslücken von der kindlichen Fantasie gefüllt werden. Das kann viel belastender sein, als wenn Kinder Worte für das haben, was tatsächlich passiert ist. Und da gilt es gut und individuell zu schauen, was mein Kind mitbringt. Wie kann ich das gestalten, formulieren. Eine gute Atmosphäre und eine vertraute Person können helfen.
Wie unterscheidet sich Trauer bei Kindern, je nach Altersstufe?
Abhängig davon, wie alt die Kinder sind, haben sie ganz unterschiedliche Vorstellungen vom Tod. Ein Kind, das im Kindergartenalter ist, hat beispielsweise gar nicht so ein komplexes Zeitverständnis, wie wir Erwachsenen das haben. Der Tod als etwas Endgültiges, als etwas, das unumkehrbar ist, das können Kindergartenkinder oft noch gar nicht begreifen. Wenn ein Todesfall auftritt, können sie damit mitunter erst mal gar nicht viel anfangen.
Wie sieht es bei älteren Kindern und Jugendlichen aus?
Im Grundschulalter entsteht eine konkretere Vorstellung von der Endlichkeit und vom Tod. Während Kinder, gerade wenn sie jünger sind, viele Warum-Fragen stellen können und eher ein Interesse an Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen haben, können Jugendliche natürlich ganz andere Fragen – etwa nach dem Sinn des Lebens – formulieren.
Was für Bedürfnisse haben Kinder und Jugendliche, die einen Verlust verarbeiten?
Auch das ist ganz individuell. Jüngere Kinder können davon profitieren, bekannte Routinen und Alltagsrituale beizubehalten. Das kann zum Beispiel ein Grund sein, warum jüngere Kinder sagen: Ich möchte ganz schnell wieder in die Schule gehen. Routinen und Struktur geben Sicherheit. Wichtig ist vor allem, dass Kinder unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten für Trauer haben. Sprechen, das was Erwachsene oft als Ausdrucksform wählen, ist für Kinder oft nicht das, wofür sie sich entscheiden. Sie drücken ihre Trauer anders aus. Dafür sollten sie Möglichkeiten haben, zum Beispiel über Bewegungs- und Spielangebote.
Routinen können natürlich auch Älteren helfen, auch wenn sich die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen unterscheiden.
Kinder und Jugendliche sollten spüren, dass sie jemanden haben, den sie ansprechen können und der ihnen ein Gegenüber sein kann. Wenn sie sich mit dem Thema Tod auseinandersetzen möchten, wenn sie darüber sprechen möchten. Jugendliche wollen die Hilfe nicht aufgedrückt bekommen, aber ernst genommen werden. Sie wollen das Gefühl haben, Unterstützung zu bekommen, wenn sie danach suchen.
Nach einem Todesfall kann sich auch der Bekannten- und Freundeskreis trauernder Menschen überfordert fühlen. Oft wird um die richtigen Worte gerungen. Was kann Trauernden helfen?
Da sein. Und auch da bleiben. Viele Menschen empfinden es als unterstützend, wenn sie Menschen haben, auf die sie zurückgreifen können. Und die ihnen anbieten, Dinge zu übernehmen. Die auch wiederholt nachfragen, auch nach einem längeren Zeitraum. Trauer folgt keinem bestimmten Zeitplan, bei dem man nach so und so viel Zeit einen Haken setzen kann. Trauer ist etwas, was viele Menschen über einen langen Zeitraum oder auch ein ganzes Leben begleiten kann.
Sie haben erklärt, dass Trauer etwas sehr Individuelles ist.
Es gibt Menschen, die sich zurückziehen wollen, andere brauchen es, in Gesellschaft zu sein. Deswegen sollte das Umfeld sich trauen, immer wieder nachzufragen, was der oder die Trauernde braucht. Auch wenn zwischendurch ein "Jetzt gerade passt es nicht so gut" kommt. Das ist etwas, von dem Trauernde sehr profitieren können.
Hilft das auch bei Kindern? Oder können Kinder manchmal gar nicht benennen, was sie brauchen?
Natürlich antworten Kinder, je nachdem wie viel Wortschatz ihnen zur Verfügung steht, auf eine Frage nach eigenen Bedürfnissen anders als Jugendliche und Erwachsene. Aber es ist auch für Kinder wichtig gefragt zu werden: Was denkst du dazu? Und was brauchst du? Erwachsene können Kindern dabei helfen, mehr über ihre Bedürfnisse herauszufinden.
Kann man Kinder mit zu Beerdigungen nehmen?
Grundsätzlich spricht da aus unserer Sicht nichts dagegen. Das muss sehr wohl gut begleitet sein. Die Kinder sollten das Gefühl haben, dass sie sich auf eine Person an ihrer Seite stützen können. Eine vertraute Person, vielleicht eine, die nicht so beteiligt ist. Sie sollten das Gefühl haben, den Ort jederzeit verlassen zu können. Und sie müssen so gut wie möglich wissen, was sie erwartet. Aber grundsätzlich ist ein Abschied etwas, von dem Trauernde profitieren.
Gibt es weitere Abschiedsrituale, die helfen können?
Es gibt Rituale, die die Idee eines Neuanfangs haben. Man kann zum Beispiel eine Pflanze pflanzen, die wächst. Man kann aber auch einen Brief schreiben, der verbrannt oder verbuddelt werden kann, in dem verabschiedende Worte gesprochen werden. Auch ein Luftballonritual ist denkbar. Für manche ist das ein hilfreiches Bild: Etwas nach oben aufsteigen zu lassen.
Das Gespräch führte Sophia Allenstein.