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Bildungspolitik „Die Schulen sind völlig überfordert“

Der frühere Niedersächsische Landeselternrat-Chef Mike Finke spricht im Interview über seinen Rücktritt, Grenzen der Kritik und Förster als Ersatzlehrer.
17.11.2019, 13:09 Uhr
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„Die Schulen sind völlig überfordert“
Von Nico Schnurr

Herr Finke, warum haben Sie Ihr Amt als Vorsitzender des Niedersächsischen Landeselternrats niedergelegt?

Mike Finke: Der Hass und die Hetze gegen meine Person haben ein gewisses Maß überschritten, vor allem online. Ich war insgesamt elf Jahre als Elternvertreter aktiv, da lernt man ganz automatisch mit Gegenwind umzugehen. Aber was zuletzt passiert ist, konnte ich einfach nicht mehr hinnehmen.

Wer hat Sie denn angegriffen?

Das waren Lehrer und Eltern. Einige haben gesagt, ich hätte keine Ahnung, sei fachlich inkompetent. Jeder kann meinen, dass ich Unsinn rede. Damit kann ich leben. Aber bei Hass und Verleumdung hört die Diskussion auf.

Worüber haben sich die Leute aufgeregt?

Das waren Kleinigkeiten. Ich habe etwa gesagt, dass ein langer Schulweg die Familien belastet. Wenn der Weg zur Schule anderthalb Stunden dauert, ist das nicht kindgerecht. Wer um kurz nach fünf Uhr das Haus verlässt und erst nach 16 Uhr zurückkommt, ist kaputt und müde. Oft müssen die Kinder dann erstmal schlafen, bevor sie dann am Abend mit den Hausaufgaben beginnen. Natürlich wirkt sich das auf den Alltag der Familien aus.

Und wieso die Aufregung?

Die Leute haben das nicht verstanden. Ich bekam Erziehungstipps, mir wurde geraten, in die Stadt zu ziehen, weg vom Land. Dann hätten es meine Kinder nicht so weit zur Schule. Manche dachten, ich würde jetzt eine Buslinie vor der Haustür fordern. Diese Leute meinten, ich solle mich mal nicht so anstellen.

Dabei hatten Sie das doch schon den Lehrern empfohlen.

Damit habe ich mir keine Freunde gemacht. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass das ständige Beklagen den Lehrern auch nicht weiterhilft. Im Gegenteil.

Wie meinen Sie das?

Natürlich weiß ich, dass die Belastung der Lehrer ziemlich hoch ist. Sie müssen aber raus aus diesem Tal der Negativität. Die Lehrer sollten sich daran erinnern, dass sie einen tollen Beruf ausüben. Das dauernde Beklagen hält die jungen Leute nur davon ab, Lehrer zu werden. Das schreckt nach meinem Empfinden eher ab.

Sie können nicht verstehen, dass Grundschullehrer das gleiche Gehalt wie ihre Kollegen an anderen Schulen fordern?

Natürlich verstehe ich das. Aber höhere Gehälter lösen doch die Probleme nicht. Damit wird die Belastung im Arbeitsalltag nicht geringer. Wir werden auch den Stundenausfall nicht in den Griff kriegen, nur weil wir den Lehrern, die da sind, mehr Geld geben. Da braucht es andere Ideen.

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Woran denken Sie?

Wenn wir die freien Stellen nicht mit grundständig ausgebildeten Lehrern besetzen können, müssen wir uns eben woanders umschauen. Wir müssen die Schulen noch stärker für Quereinsteiger öffnen. Warum sollten wir im Sachkundeunterricht keinen Förster dazu holen, wenn wir ansonsten keine geeigneten Lehrkräfte finden?

Vielleicht, weil ein Förster nun mal ein Förster ist und kein Lehrer.

Es geht darum, Fachwissen an Grundschüler zu vermitteln. Ich glaube, dass ein Förster dazu durchaus in der Lage ist. Auch Förster bilden ja Nachwuchs aus. Wieso sollten sie das nicht auch an Schulen machen?

Viel Zuspruch hat Ihre Idee nicht gefunden.

Ich finde das schade. Wir stehen vor einem großen Problem. Und aktuell muss man sagen: Die Schulen sind völlig überfordert. Jede Unterrichtsstunde, die nicht ausfällt, weil ein Quereinsteiger sie übernimmt, wäre da ein Gewinn. Es gibt Lösungen. Man muss man die Dinge nur pragmatisch angehen.

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Passiert das nicht?

Der Streit um die Schulen hat sich verändert. Wenn man wie ich mal ungewohnte Dinge fordert, wird man sofort moralisch angeklagt.

Wie lässt sich das ändern?

Wir brauchen Ombudsstellen für niedersächsische Schulen. Eltern müssen die Chance haben, rückschlussfrei Beschwerden äußern können. Bislang befürchten Eltern, dass es sich auf die Noten ihres Kindes auswirkt, wenn sie den Schulbetrieb kritisieren.

Das Gespräch führte Nico Schnurr.

Zur Person

Zur Person

Mike Finke (43)

war bis vor Kurzem Chef des Niedersächsischen Landeselternrats. Er hatte das Amt knapp zwei Jahre lang inne. Finke lebt mit seiner Familie im Landkreis Uelzen. Er ist Vater von fünf Kindern.

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