Als „Spittas Meisterwerk“ bezeichnet Karl Carstens die Verfassung von 1947. Carstens setzte Theodor Spitta in der Wochenzeitung „Die Zeit“ im April 1983 ein schriftliches Denkmal. Anlass war Spittas 110. Geburtstag. Carstens kannte Spitta ausgesprochen gut: Ungezählte Stunden hatten die beiden Bremer, der eine Anfang 30, der andere Mitte 70, Seite an Seite an den Entwürfen für die bremische Landesverfassung gearbeitet, hatten Erfolge gefeiert, Rückschläge erduldet und an Kompromissen gefeilt.
Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftslehre
Carstens, seit 1955 Mitglied der CDU, von 1976 bis 1979 Bundestagspräsident, dann bis 1984 Bundespräsident, war von 1945 bis 1947 für Spitta tätig. Fast 40 Jahre später schreibt er über Spitta, er sei „ein eminenter Jurist“ gewesen, „(...) Die Rechtsordnung bedeutete für ihn Friedensordnung, die zu wahren er als seine vornehmste Aufgabe ansah. Gewalt verabscheute er.“ Er habe in Spitta einen Mann „von gütigem Wesen, tolerant, im Umgang mit anderen sehr höflich, dabei aber fest im Grundsätzlichen“ kennengelernt. „Äußerlich trat er bescheiden auf (...) Von Publizität hielt er nicht viel; niemals unternahm er krampfhafte Versuche, um in die Presse oder in die anderen Medien zu kommen. Er hatte einen noblen Charakter. Gemeines, unanständiges Verhalten verabscheute er, unsachliche Argumente waren ihm zuwider. Persönlich war er völlig integer und dazu auch noch sparsam, vor allem, wenn es sich um öffentliche Gelder handelte.“
Dieser Theodor Spitta kommt am 5. Januar 1873 in Bremen zur Welt. Er wächst „wohlbehütet in einem Milieu auf, in dem sich bürgerliche Schlichtheit mit kultivierter Lebensfreude mischte“, wie der Bremer Historiker Herbert Schwarzwälder in seinem Werk über „Berühmte Bremer“ berichtet. Sein Großvater ist der Kaufmann und Senator Arnold Duckwitz, dessen tief religiöse Tochter ist Spittas Mutter. Nach dem Abitur am Alten Gymnasium studiert Spitta Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftslehre in Freiburg, München, Berlin und Erlangen. 1896 promoviert er, vier Jahre später lässt er sich in seiner Heimatstadt als Rechtsanwalt nieder und gründet eine Familie. Er wird Vater von sechs Jungen und drei Mädchen.
Politisch zurückhaltend
Was Schwarzwälder im Spitta-Kapitel mit 40 Seiten zusammengetragen und ausgeführt hat, lässt sich hier nur in aller Kürze zusammenfassen: Im Alter von 32 Jahren beginnt Spitta, sich politisch zu engagieren. Das damals herrschende Achtklassen-Wahlrecht befördert ihn 1905 in die erste Klasse der Bürgerschaft, er wird von den Akademikern dorthin entsandt. Schwarzwälder schreibt: Spitta hatte sich „nur als angesehener Rechtsanwalt, nicht aber als Vertreter einer politischen Partei empfohlen“. Auch als Regierungsmitglied habe er sich politische Äußerungen weitgehend verkniffen: „Spittas politische Bekenntnisse sind zurückhaltend und selten, weil er glaubte, ein bremischer Senator müsse sich aus dem Streit der Parteien heraushalten.“
Auch nach Carstens' Einschätzung war Spitta politisch kaum zu verorten. Er habe „innerhalb des sogenannten bürgerlichen Lagers zu den fortschrittlichen Kräften“ gezählt. „Spitta blieb sein ganzes Leben von der Notwendigkeit einer gerechten Lösung der sozialen Fragen überzeugt. Die beiden von ihm stammenden bremischen Verfassungen von 1920 und 1947 legen davon Zeugnis ab.“ Spitta wird 1918 Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei, die Schwarzwälder als „bürgerliche Partei mit starken sozialen Akzenten“ beschreibt. Später gründet er die Bremische Demokratische Volkspartei mit, aus ihr erwächst die FDP.
Gegner der Nationalsozialisten
1919 wird Spitta als Mitglied des Senats mit dem Entwurf einer neuen Verfassung betraut. „Abgesehen von einigen bremischen Spezialitäten orientierte sich die bremische Verfassung vom 18. Mai 1920 an den Grundgedanken der Weimarer Verfassung vom 11. August 1919. Sie hat sich bis 1933 voll bewährt“, so Schwarzwälder.
Der Jurist war Gegner der Nationalsozialisten, „ihm waren Radikalismus, demagogisches Geschrei und Diktatur zuwider. Es widerstrebte ihm aber auch, öffentlich gegen die NSDAP in der politischen Arena aufzutreten“, schreibt der Bremer Historiker. Die Nationalsozialisten hätten ihn nicht als ernsthaften Gegner angesehen und nicht weiter behelligt. Spitta zieht sich aus dem öffentlichen Leben zurück, er schreibt an seiner Biografie über Bürgermeister Martin Donandt (1852 - 1937). Mit Beginn des Krieges wird er, 66 Jahre alt, zu Schreibtischarbeiten herangezogen, in der Bezugscheinstelle für Textilien, dann in der Rechtsabteilung des Regierenden Bürgermeisters Heinrich Böhmcker. Spitta konzentriert sich auf konfliktfreie Themen, insbesondere verwaltungsjuristische Fragen. Privat trifft es Spitta schwer: Sein Haus geht in Flammen auf, drei Söhne fallen.
Der „kleine Mann mit der großen Stimme“
Von Juni 1945 an gehört Spitta dem von den Amerikanern eingesetzten Senat an. Schwarzwälder resümiert, seine Senatszeit habe (mit Unterbrechung der NS-Zeit) mehr als vier Jahrzehnte umspannt. „In dieser Zeit war er Gestalter zweier Bremer Verfassungen, bewirkte im Senat die Lösung vieler schwerer Probleme und drückte vor allem dem Bildungs- und Rechtswesen der Stadt seinen Stempel auf.“ Carstens erwähnt in seinem Nachruf auch Spittas Mitwirkung am Herrenchiemseer Entwurf für das deutsche Grundgesetz. Beraten wurde der Entwurf vom sogenannten Parlamentarischen Rat, in den für Bremen der Sozialdemokrat Adolf Ehlers (SPD) entsandt war. Spitta bleibt bis 1955 Senator. Er ist 82 Jahre alt.
Der „kleine Mann mit der großen Stimme“ (zitiert Schwarzwälder) stirbt durch einen Unfall an der Rathaustür. Er stürzt am 8. Januar 1969 und stirbt gut zwei Wochen später. Und Schwarzwälder schreibt: „Bürgermeister Spitta (...) wurde in geistiger und körperlicher Frische 96 Jahre alt – eine Tatsache, die von allen, die den alten Herrn in seinen letzten Lebensjahren kannten, fast als ein Wunder angesehen wurde. Er selbst sprach von einer Gnade, die ihm widerfahren sei.“