Die Verbrechen an Heimkindern während der Nazi-Herrschaft dokumentiert die Ausstellung „Denn bin ich unter das Jugenamt gekommen‘ – Bremer Jugendfürsorge und Heimerziehung 1933 bis 1945“ in der Galerie im Park auf dem Gelände des Klinikums Bremen-Ost. Der biografische Ansatz macht den Schrecken bedrückend greifbar. Es ist die erste Ausstellung überhaupt zu diesem Thema.
„Wir haben sechs unterschiedliche Themenbereiche, und wie ein roter Faden ziehen sich die Biografien der Jugendlichen durch die Ausstellung. So wird deutlich, wie die Kinder in den Strudel kamen, wo am Ende für alle bis auf eines der Tod stand“, erklärt die Kulturwissenschaftlerin Gerda Engelbracht, die im Auftrag des Diakonischen Werkes Bremen vier Jahre dafür geforscht hat.
Mit Tafeln, Originaldokumenten und Ausstellungsstücken, einem Kurzfilm und Hörstationen arbeitet die Ausstellung die Geschichte der Heime während der Zeit des Nationalsozialismus auf. Großformatige Bilder geben einen Eindruck vom schwierigen Leben in den Heimen, zu denen in Bremen der Ellener Hof, das Isenbergheim, das Marthasheim und das St. Petri Waisenhaus gehörten. Die Ausstellung zeigt aber auch die Gegenwart. Achim Tischer, Leiter der Kulturambulanz, erklärt: „Wir wollten die Ausstellung so konzipieren, dass sie einen Ausblick in die Jetztzeit ermöglicht.“ Die Galerie gibt den Stimmen von Jugendlichen und Kindern, die aktuell in Bremer Heimen leben, einen Raum. Fotos und teils berührende Antworten der Kinder auf Fragen zum Heimleben geben einen Einblick in das Innere.
Der größte Teil der Ausstellung widmet sich aber der Vergangenheit. Am eindrücklichsten und zugleich am beklemmendsten sind die wenigen Aussagen der Zöglinge genannten Kinder, die erhalten sind. Gerda Engelbracht hat in den Zöglingakten nicht abgeschickte Briefe der Kinder gefunden. „Aus denen wird die Einsamkeit und die Verzweiflung deutlich.“ Besonders nahe gehen auch die Hörstationen in der Ausstellung. An diesen haben Schülerinnen und Schüler der Albert-Einstein-Schule die Briefe vertont. Dem stehen Aufnahmen gegenüber, die aus den Aussagen und Notizen der Heimleiter entstanden, aus ihnen wird der menschen- und lebensfeindliche Geist des Nationalsozialismus deutlich. Die Rede ist von „Bastarden“, „Erbkranken“ und „unwürdigem Leben.“
48 Kinder aus Bremer Heimen mussten vor das Erbgesundheitsgericht und wurden zwangssterilisiert. Für die Verbrechen verantwortlich waren Richter und Ärzte, aber auch Beamte in den zuständigen Behörden. „In den Ämtern saßen überzeugte Nationalsozialisten, sonst hätten sie die Stelle gar nicht bekommen“, erklärt Gerda Engelbracht. Die Einteilung in verschiedene Gruppen wie „asozial“ oder „unerziehbar“ begann aber nicht plötzlich nach der Machtübernahme der Nazis, sondern manifestierte sich schon Anfang des 20. Jahrhunderts. „Und schon in den 20er-Jahren gab es Zwangssterilisationen.“ Davon betroffen waren Kinder im Alter von zwölf bis 20 Jahren. Häufig lautete die Diagnose „angeborener Schwachsinn“. „Eine Diagnose wie ein Gummiband“, sagt Gerda Engelbracht. Darunter fielen unterschiedliche unerwünschte Verhaltensweisen. „Bei Mädchen war der Grund häufig ihre Sexualität.“ Ein „liederlicher Lebenswandel“, wie es in den Akten heißt. Immer Thema, auch jetzt noch, ist die Gewalt in der Jugendfürsorge. „Gewalt gab es vorher und nachher auch“, betont Engelbracht. „Das Spezifische waren die Zwangssterilisationen und die Ermordung durch die Überweisung in Konzentrationslager oder die Psychiatrie.“
Neben der Zwangssterilisation drohte den Mädchen und Jungen aber auch der Tod. Die Ausstellung zeichnet unter anderem das Schicksal von Hilde Reddig nach. Sie kam zunächst in das Marthasheim, ein Heim für Mädchen, und wurde wenig später in das Konzentrationslager Uckermark geschickt, wo sie nach einem halben Jahr starb.
„In der Überweisung steht ‚mit Sammeltransport‘, das heißt, es müssen noch mehr Mädchen dorthin geschickt worden sein“, sagt Gerda Engelbracht. Aber gerade bei den Mädchen stieß die Forscherin auf ein Problem: Die Akten aus den Mädchenheimen in Bremen sind nicht mehr erhalten. Den Lebenslauf der KZ-Lagerleiterin können Besucher der Ausstellung dagegen weiterverfolgen: Diese wurde nach dem Krieg freigesprochen und kam in einer leitenden Position bei der Polizei unter.
So wenig das Zwangssystem mit den Nazis vom Himmel fiel, so wenig hörte das System von Gewalt und Arbeitserziehung nach dem Krieg auf. Ein Ausschnitt aus dem Film „Freistatt“ zeigt, wie das System aus Gewalt und Arbeitserziehung auch nach dem Krieg weiter existierte. Der Film ist Teil des weitgefassten Begleitprogramms der Ausstellung, das neben Führungen – auch für Schulklassen – Vorträge, Filme und Diskussionsrunden beinhaltet. So spricht die Erziehungswissenschaftlerin Carola Kuhlmann am Donnerstag, 1. November, um 19 Uhr im Haus im Park über „Erbkrank oder erziehbar? Heimerziehung und Jugendhilfe im Nationalsozialismus“.
Weitere Informationen gibt es auf der Internetseite www.kulturambulanz.de.
Weitere Informationen
Die Ausstellung „Denn bin ich unter das Jugenamt gekommen – Bremer Jugendfürsorge und Heimerziehung 1933-1945“ kann noch bis zum 24. Februar mittwochs bis sonntags jeweils von 11 bis 18 Uhr in der Galerie im Park, Züricher Straße 40, besucht werden. Der Eintritt ist frei.