20 Cent bekommt Landwirt Jürgen Drewes zurzeit für einen Liter Milch. Zu wenig, um davon dauerhaft zu leben. Bei einer Podiumsdiskussion am Montagabend suchen verschiedene Beteiligte nach Lösungen.
50 Milchkühe stehen auf dem Hof von Jürgen Drewes. „Mitarbeiterinnen“ nennt er sie. Doch Drewes verdient nichts mehr an dem Ertrag, den die Tiere liefern – er zahlt drauf. 20 Cent bekommt er von der Molkerei zurzeit für einen Liter, Tendenz fallend. „Ein Cent weniger pro Monat“, beschreibt der Oberneulander Landwirt die Entwicklung, die inzwischen ins dritte Jahr gegangen sei. „Um vom Milchvertrieb leben zu können, bräuchten wir mindestens 35 Cent pro Liter“, rechnet er vor. Hochs und Tiefs seien normal, die gebe es in der Branche immer mal, „aber dieses Tief hält schon viel zu lange an“. Den ersten Kollegen gehe mittlerweile die Luft aus, und auch seine Familie mache sich inzwischen ernsthafte Gedanken, ob und wie es weitergehen wird.
Zwar stehen auf dem Hof am Hollerdeich neben den Milchkühen auch einige Mastrinder und Bullen. 70 Prozent seiner Einnahmen erwirtschaftet der Familienbetrieb aber mit der Milchproduktion. Im Moment allerdings sei vom Erwirtschaften keine Rede mehr – „wir legen bei jeder Lieferung drauf“. Wie lange ein Betrieb solche Durststrecken durchhalten kann, sei unterschiedlich. „In guten Zeiten muss man immer an Rücklagen für magere Zeiten denken“, sagt der Landwirt. Doch die seien mittlerweile mehr oder weniger aufgebraucht.
„Damit, dass der Preis mehr als zwei Jahre im Keller bleibt, konnte niemand rechnen“, betont er. Er selbst habe unterm Strich noch Glück, dass er nach dem Wegfall der Milchquote im vorigen Jahr, mit deren Hilfe die Milchabgabemenge reguliert worden war, nicht wie viele seiner Berufskollegen aufgestockt habe. „Die haben jetzt zusätzlich noch die Banken im Nacken sitzen, die ihnen das Geld für die neuen Ställe geliehen haben – so was spielt sich schnell im fünf- bis sechsstelligen Bereich ab.“

Heute ist Landwirt Jürgen Drewes froh, dass er nach dem Wegfall der Milchquote seinen Viehbestand nicht aufgestockt hat. Der Milchpreis ist seit Langem extrem niedrig.
Auslöser für die Milchkrise sei die steigende Milchmenge, sagt Drewes, „und zwar europaweit“. Die Ursache dafür wiederum sei vielschichtig. Da sei zum Beispiel der Importstopp Russlands für europäische Agrarprodukte, oder auch die nicht erfüllten Erwartungen, China könne zum Großabnehmer europäischer Milchprodukte werden.
Drewes Lösungsvorschlag klingt einfach. „Die Milchmenge in Europa müsste um zehn Prozent gesenkt werden, dann hätten wir keine Probleme mehr“, sagt er. „Aber wie das in der Praxis aussehen kann, ist schwer zu sagen – darüber muss gesprochen werden.“ Drewes, selbst Vorstandsmitglied im Bremischen Landwirtschaftsverband, sähe zu diesem Zweck gerne alle an einem Tisch: Politiker, Verbände, Handel und Landwirte.
Die 100 Millionen Euro Soforthilfe, die Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) den Landwirten jüngst zugesagt hatte, lösen das Problem aus Drewes Sicht nicht: „Die verlängern nur das Sterben.“ Auch Direktvermarktung sei nur bedingt geeignet, den Milchpreis zu optimieren. „Für Höfe wie unseren, die nicht besonders verkehrsgünstig gelegen sind, rechnet sich die Direktvermarktung nicht“, sagt Drewes. Als Sofortmaßnahme wäre er schon froh, wenn der Verbraucher am Supermarktregal nicht zur billigsten Milch greifen würde, sondern zu der im mittleren Preissegment. „Die teuerste Milch kann sich wahrscheinlich nicht jeder leisten, aber ein paar Cent mehr hat sicher jeder übrig“, sagt Drewes.
Lohse: Es wird zu viel produziert
Bremens Umweltsenator Joachim Lohse (Grüne), der auch für Landwirtschaft zuständig ist, zeigt sich auf Nachfrage enttäuscht von den bisherigen Lösungsansätzen zur Milchpreiskrise seitens der Bundesregierung. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) werde seiner Verantwortung bislang nicht gerecht, kritisiert Lohse. „Der Milchgipfel von Bundesminister Schmidt hat für die Milchbauern keine wirksamen Hilfsmaßnahmen zustande gebracht, sondern liefert nur Tröpfchen-Infusionen für existenzbedrohte Betriebe, die das Problem zu niedriger Preise nicht lösen“, moniert der Senator. Man müsse vielmehr an der Ursache ansetzen: den zu hohen Milchproduktionsmengen. Lösungsvorschläge, die dazu von den Agrarministern der Länder parteiübergreifend vorgelegt worden seien, hätten eine Mengenanpassung im Fokus, würden aber seit Monaten von der Bundesregierung ignoriert.

Kein Großbetrieb mit Melkkarussell: der Stall in Oberneuland.
„Der Bund muss seine Verweigerungshaltung aufgeben und sich dafür einsetzen, Hilfsgelder der Europäischen Union an Mengenreduzierungen zu koppeln“, betont er. Zu den vorgeschlagenen Maßnahmen zähle außerdem das Bonusprogramm Milch, das auf der Agrarministerkonferenz im April einstimmig gefordert worden sei. Das Programm soll Molkereien und Erzeuger finanziell unterstützen, die sich an milchmengenreduzierenden Maßnahmen beteiligen.
Unter dem Titel Milchmarkt-Krisenmanagement hat derweil der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) ein Konzept entwickelt, das auf eine sogenannte Monitoringstelle setzt. Die soll den Markt künftig permanent beobachten und analysieren. Zeichnet sich eine mögliche Krise ab, spricht die Monitoringstelle eine Frühwarnung aus, auf die dann entsprechend von den Landwirten reagiert wird. Beispielsweise durch private Lagerhaltung oder eine zeitlich befristete Rücknahme der Milchproduktion, heißt es in dem Konzept.
Podiumsdiskussion zur Milchkrise
Welche Wege aus der Milchkrise denkbar sind, soll am Montag, 20. Juni, 20 Uhr, im Borgfelder Landhaus, Warfer Landstraße 73, in einer Gesprächsrunde diskutiert werden. Initiatoren der öffentlichen Veranstaltung sind die Bremer Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft, der Verein Sozialökologie und das Agrarpolitische Bündnis Bremen. Eingeladen sind Anne Francksen vom Grünlandzentrum Niedersachsen/Bremen, Johanna Böse-Hartje vom BDM, Landwirt Gerhard Dehlwes, Hilmar Garbade, Präsident des Bremischen Landwirtschaftsverbands, und Jan Saffe, Sprecher für Landwirtschaft der Grünen-Bürgerschaftsfraktion. Moderiert wird die Veranstaltung von Otmar Willi Weber.