Seit dem 1. Februar fördert Niedersachsen die Kinderwunschbehandlung von niedersächsischen Patienten auch dann, wenn sie Arztpraxen benachbarter Bundesländer wie Bremen und Hamburg aufsuchen. In Bremen kommt inzwischen die Hälfte aller Paare zur Kinderwunsch-Behandlung aus Niedersachsen.
Lebensglück – mit oder ohne Kinder? Paare, die eine Kinderwunsch-Behandlung machen lassen, haben sich entschieden. „Als wir uns kennenlernten, war ziemlich schnell klar, dass wir Kinder haben wollen“, sagt die 39-jährige Vera Marquardt* aus Oyten. Dass es dann einfach nicht klappen wollte mit dem Nachwuchs, war für die Juristin und ihren Mann, beide damals Mitte 30, eine unangenehme Überraschung. Im Internet fanden die beiden schließlich eine Praxis für Kinderwunsch-Behandlung in Bremen. „Ich wollte keine weiter entfernte Praxis, weil wir beide lange Arbeitstage haben und auch eine lange Anfahrt zum Job“, erzählt Vera Marquardt. „Für mich war es sehr stressig, die häufigen Arztbesuche und meine Arbeit unter einen Hut zu bringen.“
Erwartungsdruck
Ihre Tochter Lena ist mittlerweile eineinhalb Jahre alt. Der Weg bis zu ihrer Geburt war nicht einfach. „Das muss man wirklich wollen“, sagt Christof Marquardt*. „Sonst hält man nicht durch.“ Die beiden hatten sich eine Grenze gesetzt, mehr als vier Versuche wollten sie nicht machen. Im Vordergrund stand dennoch die Fassungslosigkeit: „Man hat so vieles erreicht, auch im Ausland gearbeitet – und dann stößt man an eine Grenze“, sagt Vera Marquardt. Ihr Mann, ein leitender Angestellter, wollte den Erwartungsdruck nicht zu hoch schrauben. „Das Wichtigste ist, dass wir zusammen glücklich sind“, betont er. „Wenn es mit dem Nachwuchs nicht geklappt hätte, dann hätten wir unser Leben zu zweit genossen.“ Für seine Frau, die sehr unter der Situation litt, war das ein wichtiger Perspektivwechsel: „Das war mein Rettungsanker.“ Mit Freunden wollten die beiden nicht über die Kinderwunsch-Behandlung sprechen. „Nur mit den Eltern und Geschwistern“, sagt Vera Marquardt. Für viele Paare sei die Behandlung ein Tabu-Thema. Weil sie das Gefühl hätten, persönlich zu versagen und nicht akzeptieren können, dass es Dinge gibt, die sich ihrer Kontrolle entziehen.
In Bremen kommt rund die Hälfte der Paare für die Kinderwunsch-Behandlung aus Niedersachsen, schätzt der Reproduktionsmediziner Achim von Stutterheim aufgrund eigener Patientenzahlen. Sie nehmen dafür Anfahrtswege von bis zu 100 Kilometern in Kauf. Für den Arzt ist es nicht überraschend, dass immer mehr Paare Schwierigkeiten haben, Kinder zu bekommen: „Die Fruchtbarkeit nimmt bei Frauen ab dem 25. Lebensjahr ab. Vom 35. Lebensjahr an ist statistisch gesehen ein weiterer, deutlicher Rückgang der Fruchtbarkeit zu verzeichnen.“ Aber zwischen dem 25. und 35. Lebensjahr sei vielen Frauen die Karriere wichtiger. Daran werde sich auch in absehbarer Zeit nichts ändern, glaubt von Stutterheim. Er prognostiziert, dass es in Zukunft mehr Frauen geben wird, die in jüngeren Jahren ihre Eizellen einfrieren lassen, um sie später für eine Kinderwunsch-Behandlung zu verwenden.
Ein Nischenthema ist die Behandlung nicht, in Niedersachsen wurden in 2013 mehr als 3600 Förderanträge gestellt. Wie viele Paare davon in Bremer oder Hamburger Arztpraxen behandelt werden, ist nicht erfasst. Auch nicht, wie viele Bremer Paare eine solche Behandlung machen. Das Land Bremen fördert sie nicht, deshalb liegen auch keine Zahlen über Förderanträge vor, heißt es aus dem hiesigen Gesundheitsressort. „Ich erwarte aber, dass die Zahl der Behandlungen weiter steigen wird“, sagt Achim von Stutterheim.
Die Kauffrau Anne Friedhoff* und ihr Mann Henrik* kamen ebenfalls zur Behandlung nach Bremen. In Stuhr hatten sie damals extra ein Haus mit Kinderzimmer gebaut – doch der ersehnte Nachwuchs wollte sich nicht einstellen. Anne Friedhoff war 35 Jahre alt: „Das war eine emotionale Achterbahnfahrt“, sagt sie heute. „Wenn man irgendwann glaubt, dass es nicht mehr klappt – das ist das Ende der Träume.“ Tochter Lilli ist mittlerweile ein Jahr alt.
Bei der Frage der Praxiswahl zur Kinderwunsch-Behandlung spielten für die Doppelverdiener ähnliche Überlegungen wie für das Paar aus Oyten eine Rolle. Vor allem die Fahrerei und der damit verbundene Zeitfaktor waren ausschlaggebend. Es ging den beiden weniger um die finanzielle Seite: „Wir wollten eine Praxis in der Nähe unseres Wohnortes finden. Eine Behandlung in Oldenburg wäre möglich gewesen, aber nach Bremen ist die Fahrtzeit deutlich kürzer“, erzählen die Friedhoffs.
Beide Paare sind heute glücklich mit ihrem Nachwuchs und können sich ein Leben ohne Kind nicht mehr vorstellen. Aber wie alle Eltern erleben auch sie den Alltagsstress mit Kindern: „Wenn man von der Arbeit ausgepowert nach Hause kommt“, sagt Anne Friedhoff. Oder wenn die Nächte kurz sind und man morgens müde aufsteht.
*alle Namen von der Redaktion geändert