„Boah“, sagt die Dame, die im Oberdeck des Busses sitzt, später auch „Mein lieber Mann“. Das Staunen kommt, dem Akzent nach zu urteilen, aus dem Ruhrgebiet und kommentiert mit „Boah“ knapp, was Franz-Eckard Falck über die stadtbremischen Häfen in Bremerhaven zu berichten weiß. Es ist ein Vortrag der Superlative: die Höhe der Kräne, das Gewicht der Rotorblätter, die an der Stromkaje liegen, die Menge der Autos und Container, der investierten Millionen und Tonnen beschlagnahmter Drogen.
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Falck, der sich zu Beginn der Rundfahrt als „Ihr Guide“ vorgestellt hat, kommt die Treppe ins Oberdeck herauf. Er wolle mal sehen, ob jemand eingenickt sei, sagt er, die Passagiere seien so still. „Man muss das alles erst mal aufnehmen“, sagt der Mann neben der Dame aus dem Ruhrgebiet. Damit hat er recht: Was Falck über „seine Stadt“ erzählt, ist beachtlich. Er redet wie gedruckt, berichtet vom Wandel der Stadt zum Wissenschaftsstandort, von der Digitalisierung im Hafen, von der touristischen Erschließung und den Plänen für das neue Werft-Quartier. Wer nach zwei Stunden den Bus verlässt, muss eines haben: Respekt vor der Entwicklung der Stadt am Meer.
Mehr als das Klima- und Auswandererhaus
Bremerhaven ist mehr als das Klima- und das Deutsche Auswandererhaus, als der Zoo am Meer, das Deutsche Schifffahrtsmuseum und das Schaufenster Fischereihafen. All das sollte man einmal gesehen haben, unbedingt – wenn ein einmaliger Besuch überhaupt reicht. Bremerhaven ist auch viel mehr als hohe Arbeitslosenzahlen und Armutsquote, als Haushaltslücken und Schrottimmobilien. Als Falck kurz über Lale Andersen spricht – der Bus passiert das Paul-Ernst-Wilke-Haus, benannt nach Andersens erstem Ehemann – und ihren Geburtsort Lehe erwähnt, raunt die Dame aus dem Ruhrgebiet: „Aus dem Problemstadtteil.“

Erich Dreher und Franz-Eckard Falck am Mikro - der Hafenbus dreht zweimal täglich seine Runde durch die Stadt am Meer.
Falck hört diese Bemerkung nicht, aber er kennt solche Aussagen. Einmal habe ihn eine Passagierin gefragt, ob der Bus auch durch die Problemviertel fahren könne, in denen die Fenster der Häuser mit Brettern zugenagelt seien. Er habe geantwortet, so was könne sie sich in ihrer eigenen Stadt ansehen. Falck verteidigt seine Heimatstadt nach allen Kräften. Viele Besucher hätten ein vollkommen schiefes Bild.
Erich Dreher lenkt den Bus durch die neuen Havenwelten, an den großen Attraktionen vorbei, aber das Besondere an der Tour ist die Zufahrt in den Hafen. Falck nennt das die „verbotene Stadt“. Näher kann man als Besucher nicht an den Containerterminal herankommen, besser kann man nicht sehen, wie im Hafen heutzutage be- und entladen wird. Ohne Weiteres kann niemand ein Trockendock der Lloyd-Werft besichtigen. Der Hafenbus darf passieren. Deshalb, sagt Franz-Eckard Falck, ist eine Hafenbustour ein echter Geheimtipp, auch für Bremerinnen und Bremer (montags bis samstags um 14 Uhr, 11 Uhr von Juli bis September, auch sonnabends und an Feiertagen, 16.30 Uhr Juli bis September von montags bis sonnabends; 18 Euro für Erwachsene).

”Thieles Garten” wurde vor 100 Jahren von Gustav und Georg Thiele angelegt.
Wieder zurück im Schaufenster Fischereihafen, stärken sich Falck und Dreher am „Kleinen Leuchtturm“, einem rot-weiß gestreiften Verkaufsstand (von April bis Oktober montags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr). Ingrid Gottschalk verkauft Fischbrötchen. Denn, stellt ein Schild fest: „Die Seele braucht Seeluft, der Körper Fischbrötchen.“ Ingrid Gottschalk stammt aus Freiburg im Breisgau. Die gute Luft habe sie 1979 sozusagen nach Bremerhaven getragen. Sie brauche Wind um die Nase, sagt sie. „Ich habe drei Kinder und nie einen Psychiater gebraucht. Wenn ich wütend war oder verzweifelt, bin ich an den Deich gegangen. Der Wind hat alles weggepustet.“

Ingrid Gottschalk verkauft seit 2018 Fischbrötchen, vor allem auch an Einheimische.
Ein Spaziergang vom Weser-Strandbad bis zur Strandhalle, wo man, wie Falck sagt, mit schönem Blick „wunderbar schnabulieren“ kann, ist unverzichtbar, wenn man spüren will, wie der Wind einem an den Haaren und der Kleidung zupft. Mitunter muss man sein ganzes Gewicht gegen ihn stemmen, um voranzukommen.
Kapitän Tammo Gloystein tritt an den „kleinen Leuchtturm“ heran und bestellt zwei Fischbrötchen. Sein Geheimtipp für Bremerhaven-Besucher ist nicht ganz uneigennützig: eine Tour mit dem Glasdachschiff Lady Sunshine, das er selbst durch alle sieben Überseehäfen steuert. „Kaum zu glauben“ nennt sich eine kurzweilige Tour, bei der den Gästen ganz bewusst Seemannsgarn und „hanseatisches Halbwissen“ aufgetischt wird, ergänzt Thorsten Brockmann, Sprecher der Erlebnis Bremerhaven GmbH. Auch die „Tour de Fisch“ empfiehlt der Tourismus-Fachmann (mehr unter www.bremerhaven.de/de/tourismus/touren-ausfluege). Falck legt Besuchern, die schon viel gesehen haben, das Historische Museum ans Herz, etwas abseits am Geeste-Ufer gelegen, in dem unter anderem ein komplettes Fischgeschäft ausgestellt ist.
Gegenüber vom Fischbrötchen-Leuchtturm steht eine Familie, die ebenfalls im Hafenbus unterwegs war, in Frankes Fischräucherei und weiß offenbar gar nicht, wohin sie ihre Blicke lenken soll. Rechts stehen die großen schwarzen Räucheröfen, hinter dem Tresen liegt die Ware – die Räucherei ist die letzte ihrer Art in Bremerhaven und nach eigenen Angaben eine der größten noch in dieser Art bestehenden in Norddeutschland. Etwa 200 bis 300 Kilogramm Fisch werden pro Tag nach alter Tradition geräuchert. Für alle, die gerne Fische und Meeresfrüchte essen, ist Bremerhaven ohnehin das Schlemmerparadies. Viele Betriebe im Fischereihafen bieten Werksverkauf an. Frischeren Fisch bekommt man so gut wie nirgendwo.

In der Fischräucherei Franke wird Fisch noch geräuchert wie vor 100 Jahren. Im Bild von links: Alexandra Pfeifer, Dunja Franke und Marco Jürgens.
Bremerhaven ist aber nicht nur blau, von Wasser umspült, sondern auch grün. Ein Kleinod unter den Parks der Stadt ist Thieles Garten, in dem 50 Skulpturen, Brunnen und Grotten sowie Pavillons versammelt sind. Der verwunschene Garten wurde vor 100 Jahren von der Künstlerfamilie Gustav und Georg Thiele angelegt. Auch der Speckenbütteler Park (80 Hektar groß) mit einem Rosengarten, der Allee der heilenden Bäume und dem volkskundlichen Freilichtmuseum ist einen Besuch wert und dürfte vielen Bremerhaven-Besuchern bislang unbekannt sein. Auch er liegt übrigens im Problemstadtteil Lehe. Wenn das die Dame aus dem Ruhrpott wüsste …

Auch der Speckenbütteler Park ist einen Besuch wert.