Altstadt. Die Pest, die erste Gentrifizierung, Anekdoten zu kleinen und großen Geschäften und jede Menge spezielle Charaktere – der Schnoor und seine Geschichte haben einiges zu bieten. Eine Auswahl davon gibt es einmal im Monat im Teestübchen im Schnoor, Wüstestätte 1, bei Tee oder Kaffee und einem Stück Kuchen zu hören. Der Gästeführer Oliver Söhlke plaudert dann etwa zwei Stunden lang aus dem Bremer Nähkästchen und liest manchmal auch aus interessanten Büchern über die Hansestadt vor.
Im Oktober gab es die erste Ausgabe von „Geschichten aus dem Schnoor für Jung und Alt“. Die nächste ist für den 24. Januar geplant. Los geht es immer um 16 Uhr. Oliver Söhlke, ein geborener Bremer, ging für ein Studium der Fotografie nach Berlin und blieb schließlich rund 20 Jahre dort. Während der Zeit betätigte er sich unter anderem als Museumsführer. Zurück in Bremen habe er gewusst, dass ihm das fehlen würde, sagt er. Also begann er vor vier Jahren, Gruppen durch Bremen zu führen. „Die ersten zwei Jahre war das als Beibrot gedacht“, sagt er. Inzwischen ist es seine Vollzeitbeschäftigung. Durch die Touren durch den Schnoor lernte er auch die Teestübchen-Betreiberin Jutta Gaeth kennen. „Wir haben festgestellt, dass man in einem Teehaus gut kulturelle Veranstaltungen machen kann“, sagt Jutta Gaeth. So gibt es im Teestübchen immer wieder auch Ausstellungen, Lesungen oder Konzerte mit alten Instrumenten.
Damit die Reihe auf Dauer nicht langweilig wird, erzählt Oliver Söhlke nicht jeden Monat dasselbe. Dafür gibt es auch genügend Geschichten aus dem Schnoor. Und wenn doch mal der Geschichtsstoff ausgeht, gibt der Rest der Stadt auch noch ausreichend her. „Es muss nicht alles direkt mit dem Schnoor zu tun haben“, sagt Oliver Söhlke. Die Geschichte der Hanse betrifft den Schnoor ja auch. Eigentlich hat fast die ganze Bremer Geschichte mit dem Schnoor zu tun. Ohne Schnoor gäbe es kein Bremen. Um das zu erklären, geht der Geschichtenerzähler ganz weit zurück.
„Die Siedlungsgeschichte Bremens ist so alt wie die Menschheit“, sagt er. Wobei Siedlung vermutlich etwas hochtrabend formuliert ist. Im Grunde lebten die Menschen damals unter freiem Himmel genau dort, wo heute das Schnoorviertel steht: Am Ufer des Flusses, von einer großen Düne umgeben. Daher rühre auch der Name der Stadt, sagt Söhlke. Die Bremer sprechen den Namen ihrer Heimatstadt durchaus richtig aus, schreiben ihn aber falsch. Das altgermanische „brem“ bedeute nichts anderes als „am Rand“. Gemeint sei der Rand der Düne. Auch andere Straßennamen rühren noch von dieser ganz alten Zeit. Erst vor Kurzem habe er herausgefunden, woher die Bezeichnung Tiefer komme, erzählt der Gästeführer. „Fähre zum Thing“ war die ursprüngliche Bezeichnung. Eigentlich müsse man also „Thifähr“ schreiben. Der germanische Versammlungsplatz war auf der anderen Seite des Flusses gelegen. Fähren brachten die Teilnehmer auf die andere Seite.
Fährleute und Fischer seien es hauptsächlich gewesen, die im Schnoor lebten – oftmals in Matsch und Schlamm, denn einen Deich gab es noch nicht. Regelmäßig standen die Flüsse Balge und Weser im Dorf. Nachweislich gab es ab dem ersten Jahrhundert nach Christus eine feste Siedlung am Flussufer. Ab 789 war dann auch die Kirche im Dorf. Oder besser: daneben. Denn der erste Bremer Dom wurde oben auf der Düne gebaut. Damit gab es im Grunde zwei Siedlungen, den Bischofssitz und das Fischerdorf. Drum herum wuchs die Stadt. Über die Jahrhunderte wurden die Häuser mehr, auch direkt an der Balge, die zu einem Kanal befestigt wurde. Direkt am Wasser standen Wohnhäuser. Für fünf Groschen durften sich die Bewohner eine hängende Außentoilette anbauen. Dann mussten sie kleines und großes Geschäft nicht mehr im Nachttopf sammeln, sondern konnte es direkt in den Kanal plumpsen lassen. Es lebe der Fortschritt! Die Balgeschiffer waren darüber ganz und gar nicht begeistert. Immer liefen sie Gefahr, dass von oben etwas in den Kahn fiel. Also wurde ein Gesetz erlassen, wonach die Klogänger während ihrer Sitzungen eine Glocke läuten mussten. An bestimmten Tagen durften die Toiletten gar nicht genutzt werden, denn auch die Bierbrauer machten mobil gegen die Neuerung. Schließlich brauchten sie das Flusswasser für ihr Elixier.
Eine richtige Kanalisation bekam der Schnoor erst etwa im 17. Jahrhundert. Allerdings konnte die nicht in den Boden gelegt werden wegen des Grundwassers. Also wurden die Röhren einfach auf den Straßen verlegt. Dadurch kam aber der Verkehr zum Erliegen. Also wurde Erde aufgeschüttet. So sei es auch zu erklären, dass bei manchen Schnoorhäuschen die Fenster sehr dicht über dem Boden liegen oder dass man erst einmal ein paar Stufen nach unten müsse, wenn man eintritt, erzählt Oliver Söhlke.
Einzelne dieser Häuschen haben selbst auch eine bewegte Geschichte, wie der Ausspann. Plätze wie der Stavendamm, ehemalige Bewohner wie Heini Holtenbeen, Leckereien wie die Moppen – es gibt so viel zum Schnoor und umzu zu erzählen. Und weil alle gemütlich um einen gedeckten Kaffeetisch sitzen, kommen auch eher Gespräche zustande, als dass Oliver Söhlke nur zwei Stunden lang einen Vortrag hält. Jeder hat schon mal dort was gehört oder kennt jenen Fakt. Ein Austausch ist gewünscht und kommt einfach zustande.