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Tiermediziner Warum Hund und Katze beim Arzt derzeit lange warten müssen

In der Pandemie haben viele ihre Liebe zum Haustier entdeckt. In 18 Monaten wuchs die Zahl der Hunde um rund 1000. Die der Katzen wird auf das Doppelte geschätzt: Etwa 35.000. Sie alle müssen mal zum Tierarzt.
28.10.2021, 19:46 Uhr
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Warum Hund und Katze beim Arzt derzeit lange warten müssen
Von Justus Randt

Während der Pandemie, in Zeiten des Home-Office, haben viele Menschen ihr Herz für Haustiere entdeckt. In beinahe jedem zweiten Haushalt in Deutschland lebt inzwischen mindestens ein Hund, eine Katze, ein Vogel, ein Kaninchen oder ein anderes Tier. Das wissen die Verbände zoologischer Fachbetriebe und für Heimtierbedarf.

In Bremen waren beispielsweise zum Ende des ersten Halbjahres 2021 laut Finanzbehörde rund 17.300 Hunde gemeldet – etwa 1000 mehr als noch anderthalb Jahre zuvor. Gegen Katzen aber kommen Hunde nicht an, sie sind die liebsten Haustiere der Deutschen. Ungefähr 35.000 von ihnen leben in Bremen. „Der Faktor Hund mal zwei.“ So haben Tanja und Johannes Ahlmann-Eltze für den Businessplan gerechnet, den sie zur Gründung ihrer „Tierarztpraxis im Steintor“ vorgelegt haben. Das war vor gut einem halben Jahr. Heute haben sie, wie viele Tierärzte, kaum Zeit, darüber zu sprechen, dass sie „voll ausgelastet“ sind.

All die tierischen Lieblinge brauchen früher oder später Termine in einer der gut 50 Tierarztpraxen im Land Bremen. Ohne Anmeldung kam bis vor kurzem in der Steintor-Praxis niemand an die Reihe. „Seit einem Monat können wir Notfälle dazwischen nehmen“ sagt Tanja Ahlmann-Eltze. Das sei möglich, weil auch eine angestellte Veterinärmedizinerin zum Team gehöre und die Helferinnen „gut sondieren können“, was das Problem sei.

Zum Beispiel: „Ein Kaninchen, das einen Tag lang nicht gefressen hat, ist ein Notfall.“ Zum Kundenstamm zählten viele „Ersttierbesitzer“, die ganz unbefangen, aber auch eher ahnungslos seien, was Fragen der Impfung und der Fütterung ihres Tieres betrifft.

Es gibt viel zu tun, weil es mehr Haustiere gibt und weil weniger Tierärzte Praxen betreiben: Von 2019 auf 2020 hat sich die Zahl der Veterinärmedizinerinnen und -mediziner nach Angaben der  Bundestierärztekammer von 202 auf 194 verringert. Hinzukommt laut Jan Hendrik Brand, dem ehemaligen Amtstierarzt, der in mehreren Ausschüssen der Bremer Tierärztekammer aktiv ist, dass es unter Nachwuchsmedizinern eine regelrechte „Praxis-Flucht“ gebe. „Viele Tierärzte sind berufsfremd tätig, weil sich in der Wirtschaft andere Möglichkeiten bieten. Das gab es immer schon. Und noch immer bekommen Angestellte in Praxen nicht die allerbeste Bezahlung.“

„Viele Bekannte von mir sind aufs Amt gegangen, in die Pharma- oder Futtermittelindustrie oder Labore, weil dort die Arbeitszeiten regelmäßig sind und sich die Arbeit besser mit dem Familienleben vereinbaren lässt“, sagt Tanja Ahlmann-Eltze. Das spiele eine immer wichtigere Rolle, unterstreicht die werdende Mutter. Gemeinsam mit ihrem Mann will sie versuchen, flexible Arbeitszeitmodelle im eigenen Betrieb umzusetzen. Johannes Ahlmann-Eltze war früher in einer Tierklinik tätig, in der er „für 120 Stunden Arbeit in der Woche für 40 schlecht bezahlt“ worden sei. „Es muss sich einiges ändern“, ist Tanja Ahlmann-Eltze überzeugt. „Es muss mehr Geld für mehr Leute geben, die in den Praxen arbeiten.“

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Viele Leute dächten nicht darüber nach, dass ein Hund 800 bis 1000 Euro pro Jahr koste, meint Johannes Ahlmann-Eltze. Und viele Tierhalter seien nicht in der Lage, die medizinische Versorgung ihres Haustieres alleine zu bezahlen: „Eine Kreuzband-Operation, neben der Kastration die häufigste OP bei Hunden, kostet nicht unter 2000 Euro“, gibt der Tierarzt zu bedenken. „Ich empfehle den Leuten eine Versicherung, wie es in Großbritannien üblich ist, oder dass sie einen soliden Grundstock ansparen.“

Auch das Berufsleben in den zuständigen Behörden ist nicht der sprichwörtliche Ponyhof: „Das öffentliche Veterinärwesen stellt andere Anforderungen als die Arbeit in einer Praxis. Da geht es auch um Ordnungswidrigkeitenrecht und Verwaltungskenntnisse“, sagt Bärbel Schröder, Vorsitzende der Vereinigung der Tierärzte des öffentlichen Veterinärwesens im Lande Bremen. „Und je nach dem: Die Belastung ist hoch. Im Tierschutz sitzt man als Amtstierarzt immer zwischen allen Stühlen: Für die einen tut man zu wenig, für die anderen ist es zu viel.“

Die Kleintierversorgung, egal ob in der Stadt oder auf dem Land, hält der Achimer Tierarzt Frank Mergenthal für sehr angespannt. „Viele müssen länger warten.“ Der stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes der praktizierenden Tierärztinnen und Tierärzte Niedersachen und Bremen hält besonders die Lage im Notdienst für „prekär“.

Das liege am Tierkliniksterben und auch daran, „dass der Beruf in den vergangenen 20 Jahren weiblich geworden ist und viele Kolleginnen nicht den Mut haben, ihre Praxis nachts zu öffnen“. Davon abgesehen, kritisiert Mergenthal „ein Anspruchsverhalten vieler Tierhalter“, das humanmedizinischen Standards entspreche. „Die zu erfüllen, ist nachts allein, ohne Tierärztliche Fachangestellte, nicht zu leisten.“

Tanja Ahlmann-Eltze führt den Andrang in den Praxen auch auf die Corona-Zeit zurück: Viele Frauchen und Herrchen seien ohnehin sehr aufmerksam. „Und jetzt sind die Leute öfter mit ihren Tieren zusammen und beobachten sie genauer. So fällt manches einfach eher auf.“

Zur Sache

Tierärztinnen in der Mehrzahl

Von 194 Mitgliedern der Bremer Tierärztekammer waren zu Jahresbeginn 117 weiblich. Vor allem altersbedingt waren es insgesamt acht weniger als 2019. Ende 2020 gab es 47 Tierarztpraxen im Land Bremen. Für das Land Bremen werden Kleintier-, Nutztier- und Pferdepraxen nicht gesondert von der Bundestierärztekammer erfasst. Insgesamt waren 37 Veterinärmedizinerinnen und 18 Veterinärmediziner niedergelassen.

Im Wintersemester 2020/2021 begannen 1001 Frauen und 118 Männer ein Tiermedizinstudium. Im Jahr 2020 bestanden nach Angaben der Kammer bundesweit 881 Studierende die Staatsprüfung. Unter ihnen 116 Männer.

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