Auch am zweiten Tag nach der Havarie der "Alexander von Humboldt II" ist noch nicht klar, wie hoch der entstandene Schaden ist. Am Mittwoch gestaltete sich das Abmontieren der zwei abgeknickten Querbalken komplizierter als zunächst gedacht. Arbeiter der Werft Stahlbau Nord mussten im Fischereihafen von Bremerhaven auch eine unbeschädigte Rahe – so der Fachbegriff – abmontieren, weil diese zwischen den beschädigten Stahlträgern lag. Bis zum Abend waren diese Arbeiten nicht beendet. Sie werden am Donnerstag fortgesetzt. Klärungsbedürftig ist laut Jürgen Hinrichs, Sprecher des Betreibers Deutsche Stiftung Sail Training (DSST) weiterhin, ob sich die Rahen in der Werft reparieren lassen. Neuanschaffungen wären angesichts der aktuell hohen Stahlpreise um ein Vielfaches teurer.
Wegen der noch offenen Schadenshöhe hat die DSST von ihrer Versicherung noch keine Zusage, dass diese die Reparatur bezahlt. Hinrichs unterstrich allerdings: „Wir sind versichert und die Versicherung wird greifen.“ Unabhängig von der Frage nach den Reparaturkosten ist klar, dass der Unfall für den Betreiber ein teures Nachspiel hat. Wie berichtet, sagte die DSST für drei Wochen sämtliche Törns ab, deren Einnahmen das finanzielle Rückgrat der Stiftung sind.
Ordnungswidrigkeit des Kapitäns
Der Unfall beschäftigt derweil auch die Wasserschutzpolizei. „Die Polizei ermittelt gegen den 67 Jahre alten Kapitän wegen einer Ordnungswidrigkeit, einem Verstoß gegen die Bremische Hafenordnung“, teilte Nils Matthiesen, Sprecher der Polizei Bremen, mit. Dabei gehe es um ähnliche Fragen wie nach einem Unfall im Straßenverkehr – wenn zum Beispiel ein Autofahrer von der Fahrbahn abkommt und mit einem geparkten Fahrzeug kollidiert.
Laut Polizei war die „Alex II“ am Montag beim Auslaufen aus dem Kaiserhafen mit 120 Passagieren besetzt. Dabei touchierte das Segelschiff den Schwimmkran Hercules, zwei Rahen knickten ab. „Beim Freikommen touchierte die Alexander von Humboldt mit ihrem Bug noch die Pieranlage und knickte hier ein Zaunelement leicht ein. An der Pieranlage und am Bug des Segelschiffes entstanden leichte Farbabriebe“, schilderte Matthiesen.
Die Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft – Körperschaft des öffentlichen Rechts und Träger der gesetzlichen Unfallversicherung – erteilte der „Alex II“ ein Weiterfahrverbot. Erst wenn nach Abschluss der Reparaturarbeiten die Seetauglichkeit bescheinigt wird, darf das Schiff wieder auf die Nordsee fahren.
Kollision im Video zu sehen
Die Ermittlungen der Polizei zum Unfallhergang dauern an. „Es steht aber nicht der Vorwurf im Raum, dass der Kapitän grob fahrlässig gehandelt hat“, versicherte DSST-Sprecher Hinrichs. Dies wäre für die Stiftung ein großes Problem, weil ein grob fahrlässiges Verhalten in Versicherungsverträgen in der Regel ein Ausschlusskriterium für die Kostenübernahme ist.
Der Moment der Kollision ist in einem kleinen Video festgehalten, das eine Passantin am Montag zufällig aufzeichnete. Die "Nordsee-Zeitung" hat es auf Youtube veröffentlicht. Zu sehen ist, wie sich die Klappbrücke des Jachthafens an der Schleusenstraße schließt, nachdem die „Alex II“ hindurchgefahren ist. Der Schwimmkran überragt den Dreimaster, der sich gefährlich nähert. Ein Horn ertönt, dann rumst es. Mit lautem Knarzen verbiegt sich der Stahl. Ein Mann schreit eine Art Kommando, doch es ist zu spät. Aktuell ist völlig unklar, wie lange es dauern wird, bis das Schiff und die Crew wieder in See stechen können.