Zur Begrüßung reicht Daniel Kunst das Handgelenk. „Hier glänzen nur die Instrumente“, entschuldigt er seine schwarz-öligen Hände. Dann öffnet der Mann in der Lederschürze die Schiebetür zu seinem privaten Werkzimmer, einem zehn Quadratmeter großen Teil der Werkstatt des Blechblasinstrumentenbauers.
Ein kleiner Holzofen spendet wohlige Wärme, in den Ecken stehen haufenweise dünne Messingrohre. An Wandhaken hängen messingfarbene Antik-Hörner, das jüngste aus dem frühen 20. Jahrhundert, das älteste von etwa 1820. Daneben einige Nachbauten, von Kunst und seinem Kollegen Michael Braßmeyer gefertigt – und eine Posaune aus China. „Die hängt da zum Ausschlachten“, erklärt Kunst. Wegkommen lässt der Meister im Instrumentenbau, der sowohl restauriert und repariert, als auch neue Instrumente entwirft und baut, so gut wie gar nichts. Wo selbst das Made-in-China-Ding recycled wird, ist die Zukunft eines nicht mehr zu rettenden Horns von 1920 keine Frage: Kunst verwertet jedes verwertbare Teil. Ein defektes Instrument in den Müll zu schmeißen, kommt einem Frevel gleich. „Ich schmeiße doch auch keinen Oldtimer weg“, sagt Kunst entrüstet.
Und doch passiert es leider allzu oft. Kunst nimmt ein fast 200 Jahre altes Böhmisches Inventionshorn zur Hand. Beulig und rissig ist es, wahrscheinlich lag es lange inmitten altem Krempel auf einem Dachboden. Ein wenig schmerzt dem Instrumentenbauer bei diesem Anblick das Herz. „Andererseits können wir froh sein, dass wir das überhaupt in die Hand kriegen und restaurieren können.“ Es in den Originalzustand zu versetzen, sodass der Eingriff kaum merklich ist, sei das Schwierigste als auch das Interessanteste zugleich – Herzblut eben.
Kunst liebt diese alten Hörner, sogenannte Naturhörner, ohne die Klappen und Ventile, die moderne Instrumente besitzen. Sein eigenes hängt auch an einem Haken, denn hier übt er auch. Mit elf Jahren hatte Kunst im städtischen Blasorchester seines Heimatortes Stühlingen nahe der Schweizer Grenze Hornbläser gesehen – und war sofort fasziniert. „Dann habe ich selbst Horn spielen angefangen und hatte meinen Traumberuf gefunden.“ Noch heute alterniert er die Arbeit in der Werkstatt, die er seit 2005 betreibt, mit Orchesterarbeit. Ein Foto, das ihn mit einer Gruppe junger Musiker vor dem Schloss Sanssouci zeigt, zeugt davon.
„Es ist die Kopie eines Wiener Horns, auf dem ich historische Stücke aus der Zeit spielen kann“, erläutert Kunst sein eigenes Instrument mit dem mehrere Meter langen Rohr, das vorne in ein trichterförmiges Schallstück mündet. Alles, von Barock bis Romantik, von Bach bis Brahms, spielt Kunst darauf.
Dann setzt er sein Wiener Horn an die Lippen und bläst die Backen auf: Mit einem Knarzen und Knurren schallt Händels Feuerwerksmusik durch seine zehn Quadratmeter. Glatt wie moderne Hörner klingt es nicht, aber gut. Alt, ausdrucksstark und charaktervoll eben. Das Knirschen käme vom engen Röhrenverlauf, erklärt der 47-Jährige. „Diese Musik ist für diese Instrumente komponiert worden. Ihre Vielfarbigkeit können moderne Instrument nicht mehr bieten.“ Zu zahm, fast langweilig, klängen neue Hörner.
Rohrlänge und Grundton sowie Kunsts von vorne in den Trichter eingeführte Hand bestimmen das, was sein Wiener Horn schließlich als Klang wiedergibt. Metallurgisches Labor und Lasercutter braucht Kunst für die Nachbauten nicht. Ein Schraubstock, diverse Hämmer, Öle und Fette, Zangen und Schraubenzieher, die in Haltern über der Werkbank stecken, mit Feilen, Bürsten und Schmirgelpapier gefüllte Kästen darunter, eine kleine Schmiede und ein paar geschickte Hände – das reicht vollkommen.
Erst wenn Intonation, Klang und die voraussichtliche Nachfrage eines Instruments ihn überzeugen, beginnt die Rekonstruktion: Aus seiner Kollektion greift Kunst eine Zange, die eine scharfe, gebogene Spitze hat, um in den Rand eines zylindrisch zusammengerollten Messingblechs Zähnchen einzustanzen. Knack-knack-knack macht der Schnabel der Zange, dann ist die spätere Naht vorbereitet. Mit einem Draht Messinglot, Flussmittel und einem Lötbrenner verschließt Kunst die Verbindungsstelle.
„Es ist eine Gratwanderung zwischen glühen und verbrennen“, erklärt er das schwierige Verarbeiten des extrem dünnen Blechs. Mit einer bis zur Unsichtbarkeit verschmiedeten Naht stülpt er die Messingröhre auf eine in den Schraubstock gespannte konische Stahlvorlage. Darauf schiebt er einen flachen Hohlzylinder aus Stahl, Locheisen genannt. „Damit bekomme ich Beulen und Dellen raus.“ Dann stemmt Kunst seinen Fuß in etwas, das wie ein daran herunterhängender Steigbügel aussieht, und lässt das Eisen mit Druck über die Messingoberfläche gleiten.
Nun soll das gerade Rohr ein stark gekrümmter Sackbogen für ein Wiener Horn werden. Erst, nachdem er biegsames Metall in das Rohr gegossen hat, das er später wieder entfernt, kann Kunst das Rohr fixieren und mit kräftigen Händen zu sich ziehen. Leicht bauchig ist es schon, aber nicht sackförmig. Noch einmal spannt er die Arme an und zieht. Zur Kontrolle legt er das Rohr mit prüfendem Blick auf eine gezeichnete Papiervorlage. „Manchmal muss man Kräfte walten lassen“, sagt er und legt erneut los. Besonders angestrengt sieht er dabei nicht aus. „Wenn man das lange macht, hat man die Technik dafür.“ Und die ist wichtiger als reine Muskelkraft.
Ein formweise perfekter, aber von Falten knubbeliger Bogen ist nun fertig. „Würde ich feilen, hätte ich lauter Löcher“, sagt Kunst. Mit einem bogenförmigen Auspochstückchen, auf das er einen kleinen Hammer wieder und wieder sausen lässt, gleitet Kunst über die Oberfläche. „Bis alles glatt ist. Wenn jeder Durchmesser an jedem Punkt innen optimal ist, besonders beim Schallstück ist das wichtig, dann ist es gut. Erst dann sind die Töne in sich stimmig.“ Das gute Stück ist fertig.
Plötzlich geht die Schiebetür auf. Braßmeyer schaut, das Telefon in der Hand, herein. „Bis du Samstag hier? Ein Kunde hat eine Beule in seine Trompete reingehauen“, fragt er. Kunst guckt kurz in seinem Kalender nach, ja, der Termin passt. „Das ist so das Tagesgeschäft. Oder auch Schrauben ziehen, wenn die Ventile klemmen.“
Der Idealismus aber, der steckt im Restaurieren und Nachbauen der antiken Instrumente. Ein von Kunst entworfenes Barockhorn ist inzwischen Bestseller. Hornisten renommierter Orchester spielten es, auch im europäischen Ausland. „Man befindet sich in einer historischen Linie“, sagt Braßmeyer. Wenn man von so einem 200 Jahre alten Horn einen Neubau mache, fügt Kunst hinzu, erfülle ihn der Gedanke mit Ehrfurcht, dass 200 Jahre später ein anderer Musiker dieses Instrument in den Händen halte.
In unserer Serie „Zehn Quadratmeter Bremen“ besuchen wir Menschen, die auf engem Raum leben oder arbeiten. In Kürze können Sie die nächste Geschichte lesen.