Er ist bekennender Teetrinker, gelernter Werkzeugmacher und setzt sich seit 16 Jahren als Ortsamtsleiter für den Stadtteil Huchting ein: Uwe Martin hatte bereits seinen Ruhestand um drei Jahre nach hinten verschoben, doch nun ist endgültig Schluss. Karin Mörtel spricht mit dem 68-Jährigen über verschiedene Sorten von Gegenwind, die passenden Bohrer für besonders dicke Bretter und die Gründe für seinen Abschiedsschmerz.
Viele Menschen freuen sich auf ihren wohlverdienten Ruhestand. Sie dagegen haben ihn bereits aktiv hinausgezögert und scheinen sich auch jetzt noch nicht so recht von Ihrer Arbeit trennen zu können. Woran liegt das?
Uwe Martin: Ich hatte gehofft, dass das Rentenalter irgendwann auf 70 angehoben wird, doch das ist leider nicht passiert. Mir macht die Arbeit als Ortsamtsleiter einfach unglaublich Spaß. Wir sind hier im Ortsamt die Vermittler zwischen den Bürgern und der Politik sowie der Verwaltung. Und die Menschen akzeptieren diese Rolle, erwarten nicht zu viel, aber wenden sich immer wieder mit ihren Anliegen an uns. Besonders in diesem Stadtteil, in dem die Huchtinger so schön zusammenarbeiten, macht das unglaublich Spaß. Ich hatte immer tolle Jobs, aber dieser war für mich ein absoluter Glücksgriff. Ich hätte gerne noch weitergemacht, deswegen fällt mir das auch so schwer, hier aufzuhören.
Gibt es trotzdem etwas am Rentnerdasein, auf das Sie sich freuen können?
Ich freue mich darauf, morgens länger frühstücken zu können und ausgiebig die Süddeutsche Zeitung zu lesen. Dadurch wird mein Tag gleich besser, weil ich mir die Zeitung bisher immer für den Abend aufheben musste, weil ich beim Frühstück zu wenig Zeit dazu hatte.
Robert Bücking, der pensionierte Ortsamtsleiter von Mitte, hat es vorgemacht: Werden wir auch Sie in vier Jahren in der Bremischen Bürgerschaft als Abgeordneter wiedersehen?
Garantiert nicht. Ich war lange genug in der Politik, allein acht Jahre für die SPD im Beirat Mitte, das war eine gute und spannende Zeit und die Erfahrungen von damals sind mir jetzt noch eine Hilfe. Ich habe fünf Jahre lang morgens um fünf in einem Haus geputzt, um dann ab 9 Uhr für Politik frei zu haben. Ich habe das als meinen Job betrachtet, ohne Geld dafür zu bekommen. Auch ein Ortsamtsleiter macht einen politischen Job. In Zukunft bringe ich mich wieder ehrenamtlich in verschiedenen Initiativen mit ein, das ist für mich auch hochpolitisch, denn wenn es die vielen Initiativen nicht gäbe, würde so manche Parteipolitik bereits auf dem Boden liegen, das machen sich viele nur nicht klar.
Haben Sie da bereits ein besonderes Ehrenamt im Blick?
Ich habe mich noch nicht festgelegt, aber es gibt da besonders in Huchting eine Menge Möglichkeiten. Ich werde aber nicht der Vorlese-Onkel in Grundschulen. Ich brauche Bewegung, muss etwas entwickeln oder etwas Handwerkliches machen. Also würde ich eher mit den Schülern rausgehen, oder ich könnte mir auch vorstellen, mit und für Flüchtlinge eine Reparaturwerkstatt für Fahrräder zu betreuen. An Betätigung habe ich sicherlich genug, da habe ich gar keine Angst.
Sie sind als leidenschaftlicher Fahrradfahrer jeden Tag von Peterswerder nach Huchting gefahren. Werden nach dem Ende Ihrer Amtszeit die Wege kürzer?
Nein, eher länger! Ich brauche einfach diese Bewegung, da hole ich mir gute Laune und Schwung. Doch ich suche meine Wege auch nach dem Wind aus, denn ich muss ehrlich sagen: Gegenwind längs der Ochtum am Flughafen ist knallhart, das muss ich nicht haben.
Politischen Gegenwind haben Sie dagegen nie gescheut?
Lacht. Nein, der macht mir überhaupt nichts aus.
Sie sprechen immer wieder von dicken Brettern, die auf Stadtteilebene gebohrt werden müssen, um sich gegenüber der Landespolitik Gehör zu verschaffen. Ist Ihnen ein besonders dickes in Erinnerung geblieben, das Sie bewältigt haben?
Wir. Ich habe nichts alleine gemacht. Entweder mit dem Beirat, der Stadtteilgruppe oder ganz vielen anderen Aktiven aus dem Stadtteil. Mein Job ist es, anzuschieben, zu unterstützen und vielleicht an bestimmten Drähten zu ziehen. Das dickste Brett kommt aus meiner Anfangszeit hier in Huchting. Da haben wir jahrelang dafür kämpfen müssen, dass auch das letzte Stückchen der Huchtinger Heerstraße asphaltiert wird. Das war eine fürchterliche Geschichte, aber nach etwa sechs Jahren konnten wir uns mit unserer Hartnäckigkeit durchsetzen, das war toll.
Klingt ja erst einmal nicht nach einem Großprojekt.
Häufig sind es gerade die Kleinigkeiten, die aber für den Stadtteil ganz wichtig sind. Und in den Behörden verstehen sie nicht, warum wir uns für etwas scheinbar Unwichtiges so reinhängen. Die Kehrtwende haben wir schließlich erreicht, als die Anwohner die damalige Bausenatorin Frau Lemke eingeladen haben, eine Nacht dort zu schlafen und selbst zu hören, was sie belastet. Und dann hat das geklappt. Es gibt viele solche dicken Bretter, aber das Entscheidende ist, dass man nicht denken soll, man setzt einmal eine Säge an und hat es erledigt. Es geht immer um Geduld. Auch die dicksten Bretter kann man mit einem ganz kleinen Bohrer bearbeiten. Denn wenn man viele Löcher drin hat, dann bricht es.
Gibt es dennoch Bretter, die Sie unbezwungen hinterlassen müssen?
Natürlich, manches kann man auch gar nicht schaffen. Aber ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass man die Negativauswirkungen der Straßenbahnverlängerung doch noch abwenden kann, weil noch ein Umdenken und die Vernunft bei der Politik einsetzt. Ich finde es unglaublich, dass unter dem Ziel, die Anbindung für die Menschen zu verbessern, in Huchting ein ganzer Zweig abgesägt wird und die Wege zu entscheidenden Punkten wie dem Bürger- und Sozialzentrum oder dem Huchtinger Friedhof wesentlich länger und dadurch teurer werden. Die Gegenwehr in Huchting gegen die Verlängerung würde auf ein bisschen abschmelzen, wenn der Bausenator und die anderen Verantwortlichen endlich kapieren würden, dass der Wegfall der funktionierenden Ringbusverbindung eine zu große Zumutung für die Huchtinger bedeutet und ein anderer Weg gefunden werden muss. Das wurmt mich am meisten, dass ich das ungelöst hinterlassen muss.
Welches positive Erlebnis wird Ihnen aus den vergangenen 16 Jahren ganz besonders in Erinnerung bleiben?
Da gibt es viele, aber ich möchte mal zwei nennen. Das eine ist unser Kinder- und Jugendkulturfestival Aktionata. Sechs Jahre lang sind wir gemeinsam mit der Interessenvertretung Huchtinger Unternehmer, der Gewoba, dem Verein Mittelpunkt Huchting, Beirat und Ortsamt eine außergewöhnliche Kooperation eingegangen. In dieser Zeit haben wir 190 000 Euro dafür verwendet, dass Schüler mit Künstlern ganz hervorragende Projekte erarbeitet haben. Das wirkt bis heute nach. Die zweite Sache ist ein Schultag an der Grundschule Delfter Straße gewesen, an dem viele Akteure aus dem Stadtteil den Unterricht gestaltet haben, um dem kompletten Lehrerkollegium eine Fortbildung zum interkulturellen Verständnis zu ermöglichen. Alle haben dabei viel gelernt, das war toll!
Was werden Sie ab dem 1. Juli am meisten vermissen?
Das Eingebunden sein in diesen aktiven Stadtteil, in dem trotz aller Veränderungen die dörfliche Nachbarschaftshilfe immer noch funktioniert. Deshalb werde ich mir auch irgendetwas suchen, um weiterhin eingebunden zu sein. Ich muss lernen, eine andere Rolle einzunehmen, das ist mir klar. Und trotzdem will ich in der Truppe dabei bleiben, weil ich diesen Stadtteil einfach weiter unterstützen will.
Zur Person: Uwe Martin ist 68 Jahre alt, lebt im Ortsteil Peterswerder, hat eine erwachsene Tochter und ein Enkelkind. Er hat Sozialwissenschaften studiert, war lange in der Erwachsenenbildung tätig und vor seiner 16-jährigen Amtszeit als Ortsamtsleiter sieben Jahre als kommunaler Sachbearbeiter im Ortsamt Huchting beschäftigt. Sein letzter Arbeitstag ist der 26. Juni.