Industriehäfen. Sie haben zig Demos organisiert, waren zweimal mit jeweils etwa 50 Omnibussen in Bonn und haben schließlich sogar eine Woche lang die Werft besetzt. Doch nichts von all dem hat den Beschäftigten der AG Weser am Ende geholfen: Am 14. Oktober 1983 entschied der Aufsichtsrat, die Gröpelinger Traditionswerft zum 31. Dezember 1983 zu schließen.
Mit Tränen in den Augen und mucksmäuschenstill mussten die 2000 Mitarbeiter in einer Betriebsversammlung diesen Beschluss zur Kenntnis nehmen. Er bedeutetet: Arbeitslosigkeit und den endgültigen Abschied von den langjährigen Kollegen.
Zum Glück war den Beschäftigten damals aber rechtzeitig klar, dass es mit der Schließung auch keinen Betriebsrat mehr geben würde, der zukünftig ihre Interessen würde vertreten können. Deshalb hatten sie am 19. Dezember 1983 den Arbeiterverein Use Akschen gegründet, der sich fortan darum kümmerte, dass die Forderungen aus Interessenausgleich, Sozialplan und Unterstützungskasse auch tatsächlich erfüllt wurden. Für viele Ehemalige wurde der Verein zu einer wichtigen Anlaufstelle, hier gab es Hilfe beim Umgang mit Arbeitsamt, Sozialgericht, Krankenkassen, Rentenversicherung, Unterstützungskasse und der Berufsgenossenschaft.
Treffen im einstigen „Arbeiteramt“
35 Jahre später befindet sich auf dem früheren Werftgelände an der Weser das Einkaufszentrum „Waterfront“ und kaum etwas deutet noch darauf hin, was auf diesem Gelände einmal los war. Aber: Schräg gegenüber, am einstigen AG-Weser-Verwaltungsgebäude am Schiffbauerweg, erinnert eine Informationstafel der Geschichtswerkstatt Gröpelingen an die Großwerft. Noch immer treffen sich außerdem an jedem Mittwoch die Mitglieder des Arbeitervereins in ihren Vereinsräumen im Lichthaus, dem einstigen „Arbeiteramt“.
Am Sonntag hatte der Verein zu seiner Jahreshauptversammlung eingeladen. Auch dieses Mal legten einige der rund 180 Vereinsmitglieder zum Teil weite Wege zurück, um die alten Kollegen bei Kaffee und Kuchen wiederzusehen. So reisten Ehemalige aus Nienburg, Zeven, Brokdorf, Itzehoe und Bayreuth an. Mit dabei war außerdem auch Fritz Bettelhäuser vom Betriebsrat der einstigen Konkurrenz. „Das war der einzige Vernünftige beim Bremer Vulkan“, versichert Use-Akschen-Vorsitzender Herbert Kienke halb im Scherz. Er konnte den Vereinsmitgliedern nun Erfreuliches berichten: Nachdem der Verein Anfang vergangenen Jahres finanziell so schlecht dastand, dass der Vorstand bereits laut über eine Vereinsauflösung nachdachte, steht er nun wieder auf sicheren Füßen. Etliche Mitglieder nämlich hatten nach der Hiobsbotschaft freiwillig ihre Beitragszahlungen erhöht; außerdem gingen einzelne größere Spenden ein. „Damit haben wir überhaupt nicht gerechnet“, freut sich Herbert Kienke über diesen noch immer ungebrochenen Zusammenhalt. Das finanzielle Polster reiche jetzt, um die nächsten fünf Jahre zu schaffen.
„Wir haben auch 2017 wieder genug Arbeit gehabt und freuen uns immer, wenn Schulklassen oder Schiffsbau-Interessierte zu uns kommen. Es freut uns auch, dass wir nicht in Vergessenheit geraten“, so Kienke außerdem. Regelmäßig nämlich bekommt der Verein Anfragen von Schülern und Studenten; 2017 suchten dort Studierende aus Berlin, Kiel und Münster nach alten Unterlagen und Geschäftsberichten, die auch tatsächlich noch vorhanden waren. Radio Bremen bekam vom Verein Use Akschen Unterstützung bei Recherchearbeiten zu Ölschiffen, es gab eine Anfrage zu einem Forschungsprojekt und ein Kölner Rechtsanwalt holte sich Rat in Sachen Betriebsrente. Auch mit dem Focke-Museum gab es 2017 eine gute Zusammenarbeit: Dort wird im Rahmen der Sonderausstellung „Protest und Neuanfang Bremen nach 68“ auch auf die AG Weser Bezug genommen. In Filmaufnahmen schildern Herbert Kienke und der ehemalige Werkmeister Heinz Rolappe, wie sie die Geschehnisse rund um die Werft in Erinnerung haben. Rolappe ist mit der berühmten Bewegung zu sehen, mit der er einst die Schließung kommentierte: „Die haben doch ‘nen Vogel!“ Ausgestellt ist auch das Demoschiff, das die Arbeiter damals auf einem Kinderwagen befestigt hatten und oft bei den Demonstrationen dabei hatten. Lob gab es von Herbert Kienke auch für den Ausstellungskatalog: „Da wird die Geschichte endlich mal richtig erzählt.“
Aus Itzehoe war Ingo Schmidtborn zur Jahreshauptversammlung gekommen, um die alten Kollegen wieder zu treffen. Von 1958 bis 1961 hatte er bei der Akschen Schiffbauer gelernt, später wurde er Betriebsleiter im Kernkraftwerk Brokdorf. „Schon als Schüler habe ich mich sehr für Schiffe interessiert und Zeitungsausschnitte gesammelt und eingeklebt“, erzählt er. Insbesondere Großtanker hatten es ihm angetan. „Gleich zu Beginn meiner Lehre lief bei der Akschen ein 45 000-Tonnen-Schiff vom Stapel und die Tanker nahmen ständig an Größe zu“, schildert er. Es sei aber auch einmal ein Segelschiff bei der Akschen gebaut worden, mit dem die Lehrlinge später viel auf der Weser lang schipperten und 1962 sogar einen Segeltörn auf der Ostsee machten. Für dieses Boot mussten dünnere Bleche als sonst geschweißt werden – eine kniffelige Angelegenheit, die einiges an Geschick erforderte. Auch der Schweißer, der diese anspruchsvolle Arbeit seinerzeit gut ausgeführt hatte, war bei der diesjährigen Versammlung wieder dabei. Das war nämlich Herbert Kienke, wie Schmidtborn den neugierigen Ex-Kollegen schließlich verriet.