Eine unscheinbare Metalltür verbirgt den Zugang zum Bremer Mittelalter. Sie liegt etwas versteckt hinter dem Lieferanteneingang des GOP-Theaters. Dieter Bischop von der Landesarchäologie Bremen führt gelegentlich Besuchergruppen durch diese Tür eine Treppe hinab in einen eigens errichteten Schauraum direkt unterhalb der Restaurantküche des Varieté-Theaters. Auf knapp 100 Quadratmetern ist dort ein Teil der bis zu fünf Meter mächtigen Grundmauer des „Bräutigam“ zu sehen. So nannten die Bremer den von 1524 bis 1534 errichteten Bastionsturm der damaligen Stadtmauer.

Unterhalb des GOP-Theaters zeigt ein eigens errichteter Schauraum die Überreste des Bastionturmes "Bräutigam" aus dem 16. Jahrhundert.
Als das Theater 2012 gebaut wurde, stieß man in der Baugrube auf die Überreste des Turms, der am 5. August 1647 durch eine gewaltige Explosion zerstört wurde. Ein Blitzschlag löste die Detonation aus, denn der Turm diente seinerzeit als Munitions- und Pulverlager. Noch heute sind die dadurch entstandenen Risse im Fundament gut sichtbar. Moderne LED-Lichterketten in den aufgeplatzten Wänden unterstreichen die Inszenierung der Überreste dieser mittelalterlichen Katastrophe. „Man hat als Archäologe nicht so oft eine Fundstelle, deren Entstehung man bis auf den genauen Tag zurückdatieren kann“, freut sich Bischop.

Landesarchäologe Dieter Bischop vor den 1647 durch eine Explosion entstandenen Rissen im Fundament der Stadtmauer unterhalb des GOP-Theaters.
Noch größer ist seine Freude darüber, dass der mächtige Fund an Ort und Stelle präsentiert werden kann. Die Investoren des Theaters waren bereit, ihre Bauplanung anzupassen und sogar noch die Errichtung des sogenanntes archäologischen Fensters zu finanzieren. „Das gelingt nicht bei jeder Ausgrabungsstätte“, kann der Landesarchäologe berichten. Die bereits ausgegrabenen Fundamente eines anderen Turms der Stadtmauer liegen wieder zugeschüttet unterhalb eines Parkplatzes, der immerhin den Namen „Fangturm“ trägt. Die Fundstelle zugänglich zu lassen, hätte zwei Parkplätze unweit der Schlachte gekostet. Die Turmumrisse im Straßenpflaster und eine Erklärungstafel mussten genügen.
Der Raum unterhalb des GOP ist dennoch nicht die einzige Stelle, an der Überreste der mittelalterlichen Stadtmauer noch besichtigt werden können. An vier weiteren Orten ist das theoretisch möglich, wenn auch nicht ohne praktische Hindernisse. Denn in vielen Fällen sind es wie beim GOP private Bauherren, die nicht verpflichtet sind, den Vorschlägen der Landesarchäologie zu folgen. Und auch, wo die Fundstellen erhalten blieben, sind sie nicht ohne Weiteres zugänglich.

Stadtmauer im Designhotel: In den Gästetoiletten des Hotels Überfluss wurden die archäologischen Funde als Kontrast integriert.
Im Hotel Überfluss an der Schlachte beispielsweise ist dafür der Besuch des Wellnessbereichs oder zumindest ein Gang zur Toilette notwendig. Denn im Keller der Herberge sind ebenfalls Mauerreste aus dem 16. Jahrhundert erhalten geblieben. Sie sind dort allerdings weniger Ausstellungsstück, als vielmehr Teil der modernen Architektur geworden. Wenn man nicht weiß, was man da vor sich hat, könnte man sich über den aus großen Findlingen zusammengesetzten Wandvorsprung wundern, über den man im Ruhebereich der Sauna steigen muss, um auf die Liegesessel darüber zu gelangen. Und auch auf der Toilette bildet die Steinmauer unterhalb einer Treppe einen wohl bewusst inszenierten Kontrast zum dunklen Design des Sanitärbereichs.

Eine Wand des Weihnachtsladens im Schnoor war einst Teil der ersten Bremer Stadtmauer aus dem 13. Jahrhundert.
Sehr viel einfacher sind dagegen Mauerreste im Bremer Schnoor in Augenschein zu nehmen. Es genügt der Besuch des Weihnachtsladens mit der Adresse Materburg 45. Man muss nur wissen, dass eine der Wände des ehemaligen Getreidespeichers schon im 13. Jahrhundert Teil der ersten Bremer Stadtmauer war. Gänzlich offen liegt ein Teil der alten Stadtmauer vor der Stephani-Kirche. Die unterste der Tressenstufen hinunter zur Schlachte bildete ursprünglich das Fundament. Graffitis zieren heute die 400 Jahre alten Steine.

Kaum bekannt, aber wer auf der untersten Stufe der Treppenanlage vor der Stephanikirche Platz nimmt, sitzt auf dem Fundament der alten Bremer Stadtmauer.

Auch im Keller eines Geschäftshauses im Altenwall sind die Mauerreste in Szene gesetzt.
Etwas komplizierter gestaltet sich der Besuch am Altenwall 9, schräg gegenüber der Kunsthalle, dem sogenannten Ankerhaus. Beim Bau 1951 stieß man auf die Reste eines Schalenturmes aus dem Jahre 1220. Als Teil der Stadtmauer stand er einst auf einer zwölf Meter unter dem Altenwall liegenden Ebene. Heute kann man den Fund im Keller des Geschäftshauses besichtigen – wenn man denn dort hineinkommt. Unter anderem einige Anwaltskanzleien, Steuerberater und einige Praxen sowie ein Verlag sorgen zwar für Publikumsverkehr und damit eine offene Haustür, der Keller aber ist gewöhnlich für Besucher verschlossen.
Im kommenden Jahr wird noch ein weiteres archäologisches Fenster gut sichtbar hinzukommen. Wo bis zum Großbrand 2015 das Modehaus Harms am Wall stand und nun das Wallkontor öffnet, wurde bei den Bauarbeiten 2018 das Fundament eines Halbturms der Stadtmauer ausgegraben. Ein Teil des Turmes wird 2024 in das Gebäude integriert werden und wohl die sogenannte Wallpassage bereichern, die durch das Gebäude hindurch direkt auf die dahinterliegende Museumsstraße führt.